Frauen in Japan haben weitaus schlechtere Chancen als Männer - im Bildungssektor, auf dem Arbeitsmarkt, in der Politik und der Gesellschaft insgesamt. Schnelle Veränderungen sind nicht in Sicht. Aus Tokio Julian Ryall.
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Fast 80 Prozent der Menschen in Japan glauben, dass die Gesellschaft des asiatischen Landes Männer gegenüber Frauen begünstigt. Das geht aus einer Untersuchung des Kabinettsbüros hervor. Nur 14,7 Prozent der Einwohner glauben demnach, dass Frauen in Japan gleichbehandelt werden. Die Studie unterstreicht die massive Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in allen Bereichen - von Politik über Bildung bis in "sozial akzeptierte Vorstellungen, Bräuche und Gepflogenheiten".
In welchen gesellschaftlichen Bereichen scheint die Ungleichheit am größten? In der Politik, antworteten knapp 82 Prozent der Befragten. Am Arbeitsplatz, finden mehr als 64 Prozent der Japanerinnen und Japaner. Außerdem hoben fast 60 Prozent das Familienleben hervor: Soziale Konventionen geben den Frauen vor, dass sie kochen, putzen, den Haushalt managen und die Kinder großziehen.
"Die Umfrageergebnisse überraschen mich nicht. Es ist bedauerlich, dass sich offenbar nichts zum Positiven verändert", sagt Chisato Kitanaka, Soziologieprofessorin und Ansprechperson für Fälle von Belästigung an der Universität Hiroshima.
"Das ist in allen Teilen der japanischen Gesellschaft ein Problem. Am offensichtlichsten ist es wohl in den Einkommensunterschieden und den Beschäftigungs- und Karrierechancen für Frauen", sagt Kitanaka gegenüber der DW. "Junge Frauen kommen von den Universitäten und Hochschulen mit den gleichen Fähigkeiten und Kenntnissen wie Männer. Aber die Unternehmen und Organisationen, die sie einstellen, stecken oft in altmodischen Denkmustern fest." Sie gingen von der Annahme aus, dass die Frauen nach ein paar Jahren die Firma wieder verließen, um zu heiraten und Kinder zu kriegen. "Es ergibt für sie also keinen Sinn, Frauen dieselben Ausbildungs- und Aufstiegschancen zu bieten wie männlichen Beschäftigten."
Wenigstens im Bildungssektor existiert eine Gleichheit der Geschlechter - das wurde jedenfalls lange angenommen. Aber auch das stimmt nicht, sagt Hiromi Murakami, Professorin für Politikwissenschaft am Standort Tokio der US-amerikanischen Temple University. "Die Ungleichheit ist vielleicht weniger offensichtlich. Aber es gab in den vergangenen Jahren ein paar Skandale, in denen Universitäten männliche Bewerber Frauen mit besseren Prüfungsergebnissen vorgezogen haben."
Japan aus der Sicht von Fotografinnen
Frauen waren in der japanischen Fotoszene lange Zeit nicht vertreten. Das Internationale Fotofestival Kyotographie in Kyoto widmet ihnen nun eine Sonderausstellung.
Bild: Ai Iwane
"Zaido"
Deprimiert von einer Reihe tragischer Unfälle folgte Yukari Chikura einem Traum, in dem ihr verstorbener Vater erschien und sie bat, ein abgelegenes Dorf in Tohoku zu besuchen. Dort nahm sie an dem 1.300 Jahre alten Fest "Zaido" teil und hielt es mit ihrer Kamera fest. "Zu sehen, wie die Menschen immer wieder für den Erhalt des Erbes kämpfen, gab mir den Mut, wieder zu leben", sagt Chikura.
Bild: Yukari Chikura
"Sawasawato"
Von 1959 bis 1984 verließen rund 93.000 Menschen im Rahmen eines Repatriierungsprogramms Japan in Richtung Nordkorea. Etwa 1.800 davon waren japanische Frauen, die koreanische Männer geheiratet hatten. Noriko Hayashi porträtiert diese Frauen in ihrer Serie "Sawasawato". "Ich bin ihren Erinnerungen nachgegangen, während ich zwischen Japan und Nordkorea hin- und hergereist bin", so Hayashi (oben).
Bild: Noriko Hayashi
"New Skin" - "Neue Haut"
Mayumi Hosokuras digitale Collagen lassen die Unterschiede zwischen den Geschlechtern verblassen. Für ihre Arbeiten verwendet sie Fotos von männlichen Akten und Museumsskulpturen, aber auch Selfies aus dem Internet und Zeitschriftenbilder. "Nicht nur in der Kunst, auch in unserem täglichen Leben könnte das Geschlecht etwas neutraler und enger miteinander verbunden sein", so Hosokura.
Bild: Mayumi Hosokura
"Eagle and Raven" - "Adler und Raben"
Nach einer Islandreise begann Ariko Inaoka, Zwillingsschwestern zu fotografieren, die sie dort kennengelernt hatte. Acht Jahre lang kehrte sie jedes Jahr zurück. Die Schwestern wurden zu ihren Musen: "Sie sagten mir: 'Wir träumen zusammendieselben Träume'. Sie brachten mich auf den Gedanken, dass wir, auch wenn wir im Schlaf nicht dasselbe träumen, doch dieselben Träume haben", so Inaoka.
Bild: Ariko Inaoka
"A New River" -"Ein neuer Fluss"
Als die Kirschblütenfeste, die normalerweise jedes Frühjahr in Japan stattfinden, wegen der Corona-Pandemie abgesagt wurden, hielt Ai Iwane die blühenden Bäume in der Dunkelheit fest. "Wenn ich im Dunkeln unter den Kirschblüten spazieren gehe, höre ich oft die Stimmen wilder Tiere, die Grenzen zwischen Mensch und Natur verschwimmen", erklärt die Künstlerin.
Bild: Ai Iwane
"Ilmatar"
Momo Okabes Serie "Ilmatar" ist durch ihre eigenen Erfahrungen inspiriert. Okabe, die sich selbst als asexuell bezeichnet, wurde durch eine künstliche Befruchtung schwanger. Sie ist der Meinung, dass es sich lohnt, diesen Prozess festzuhalten: "Unmögliche Dinge passieren. Wenn wir solchen Dingen mehr Aufmerksamkeit schenken und sie fotografieren, wird das Leben noch schöner", sagt sie,
Bild: Momo Okabe
"Mutation / Creation"
Die Serie von Harumi Shimizu dokumentiert die menschliche Faszination für Mutationen. Ihr Werk, eine Bestandsaufnahme tierischer und pflanzlicher Seltsamkeiten, hinterfragt das Konzept der Schönheit: "Die Menschen fühlen sich schon lange von mutierten Tieren und Pflanzen angezogen. Ich möchte mehr darüber wissen, also sammle ich diese rätselhaften Dinge und fotografiere sie."
Bild: Harumi Shimizu
"Hojo"
In "Hojo" nutzt Mayumi Suzuki ihre persönlichen Erfahrungen mit einer Unfruchtbarkeitsbehandlung, um über die Komplexität von Frauenkörpern zu sprechen. "Als ich auf den Markt ging - nachdem ich aufgegeben hatte -, fand ich all diese seltsam geformten, nicht verkauften Dinge. Ich dachte, sie sind genau wie ich. Ich wollte dieses vage Gefühl mit meinem eigenen Körper ausdrücken", sagt Suzuki.
Bild: Mayumi Suzuki
"Die of love" - "Aus Liebe sterben"
Hideka Tonomura erforscht die Intimität von Beziehungen durch unscharfe und sinnliche Bilder. Die Fotografie half ihr, eigene traumatische Erfahrungen zu verarbeiten: "Ich habe weiter fotografiert, um zu leben, um mich am Leben zu erhalten." Tonomura hat auch das Shining Woman Project ins Leben gerufen, das Frauen, die gegen Krebs kämpfen, unterstützt.
Bild: Hideka Tonomura
"Negative ecology" - "Negative Ökologie"
Tamaki Yoshidas Bilder zeigen atemberaubende Landschaften und wilde Tiere auf der Insel Hokkaido, die durch Umweltverschmutzung bedroht sind. "Ich war immer der Meinung, dass die Welt der Tiere und die Welt der Menschen gleichwertig sind. Anstatt zu überfallen oder überfallen zu werden, ist es besser, symbiotisch zu koexistieren. Ich glaube, dass die Menschen dazu in der Lage sind", so Yoshida.
Bild: Tamashi Yoshida
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Japans Gender Gap hat den EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte, Nicolas Schmit, augenscheinlich überrascht, als er jüngst für ein Treffen der G7-Arbeitsminister dort war. Man habe sich klare und starke Statements gewünscht, sagte Schmit anschließend der Nachrichtenagentur Kyodo News. Für gleiche Bezahlung und bessere Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt sei das weitgehend gelungen. Darüber hinaus gäbe es ein "starkes Bewusstsein der japanischen Seite, dass etwas getan werden muss".
Gegenwind von Konservativen
Das betont auch Japans Ministerpräsident Fumio Kishida. Er hat das Kabinett und Arbeitsmarktexperten angewiesen, dafür zu sorgen, dass die Führungspositionen großer japanischer Konzerne bis 2030 mit 30 Prozent Frauen besetzt sind. Höhere Gehälter, mehr Beförderungen und ein Ende der gesellschaftlichen Gewalt gegen Frauen, so Kishida, seien entscheidend, damit Frauen in Unternehmen mehr Toppositionen bekämen.
Wertkonservative Traditionalisten widersprechen der Behauptung, Frauen wären Männern am Arbeitsplatz unterlegen.
"Ich glaube nicht, dass Frauen in der japanischen Gesellschaft benachteiligt werden. Es gibt längst Gesetze, die ihnen die dieselben Rechte garantieren wie Männern", sagt Yoichi Shimada, Wissenschaftler an der Fukui Prefectural University. "Vielleicht liegt die Benachteiligung an den Erwartungen der Gesellschaft, dass Frauen in erster Linie Kinder aufziehen. Aber das ist kein ungewöhnliches Problem. Es ist die gleiche Situation in anderen Teilen der Welt, in den USA oder Europa. Das ist kein großes Thema."
Es ist genau diese Haltung, deretwegen die Soziologin Chisato Kitanaka die Chancen für wirkliche Veränderungen in Japan sehr pessimistisch beurteilt. "Diese Einstellungen sind so tief verankert in unserer Gesellschaft", sagt sie. "Vielleicht wird es einen Wandel geben. Aber er wird erst allmählich und sehr langsam kommen."
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert von Beate Hinrichs.
Journal Reporter - Heirate Dich selbst - Japans einsame Frauen