Kehrtwende: Lettland verlässt Frauenschutz-Abkommen
Veröffentlicht 31. Oktober 2025Zuletzt aktualisiert 31. Oktober 2025
Das Parlament in Lettland hat den Ausstieg aus der Istanbul-Konvention für den Schutz von Frauen gegen Gewalt beschlossen. Die Volksvertretung in Riga stimmte nach einer mehrstündigen Diskussion für den Rückzug des baltischen EU- und NATO-Landes aus dem Übereinkommen des Europarats.
Steht das Abkommen mit traditionellen Werten im Konflikt?
Gegner und Kritiker der Istanbul-Konvention sehen durch das Vertragswerk eine Ideologie gefördert, die traditionelle Familienwerte in Lettland untergrabe, auch weil die Konvention "Gender"-Theorien fördere. Der Europarat hat entsprechende Vorwürfe in der Vergangenheit wiederholt zurückgewiesen. Das Gesetz zum Austritt muss noch von Staatspräsident Edgars Rinkevics gebilligt werden. Lettland hatte die 2011 ausgearbeitete Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt erst im vergangenen Jahr ratifiziert - sie trat dort am 1. Mai 2024 in Kraft.
Der Ostseestaat wäre das erste Land der Europäischen Union, das sich aus dem Vertrag zurückzieht. Die Istanbul-Konvention stuft Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung ein. Zudem werden darin politische und rechtliche Maßnahmen definiert, mit denen die Unterzeichnerstaaten einen europaweit einheitlichen Rahmen für Prävention, Opferschutz und Strafverfolgung schaffen sollen.
Auch eine Regierungspartei stimmt für Rückzug
Der Ausstieg wurde mit einem Gesetzentwurf verabschiedet, der von der Opposition ins Parlament eingebracht worden war. Beschlossen wurde er mit Hilfe der Stimmen von einer der drei Koalitionsparteien der Mitte-Links-Regierung von Ministerpräsidentin Evika Silina. Ob dies Auswirkungen auf den Fortbestand der Regierung haben wird, blieb zunächst unklar.
Die Ratifizierung des Abkommens war ein wichtiges Anliegen nach dem Amtsantritt von Regierungschefin Silina im September 2023. Frauenrechtsorganisation und Institutionen, die mit Gewaltopfern arbeiten, befürchten, dass die Aufkündigung des Übereinkommens den Schutz von Frauen und die Bemühungen um die Gleichstellung der Geschlechter schwächen könnte.
Deutschland reagiert - wenn auch diplomatisch verklausuliert - mit Unverständnis auf die lettische Entscheidung. Für die Bundesregierung sei die "Istanbul-Konvention von hoher Bedeutung", machte die Sprecherin des Auswärtigen Amts, Kathrin Deschauer, klar. Üblicherweise würde die Bundesregierung mit ihren europäischen Partnern über solche Themen zunächst "im Binnenverhältnis sprechen, bevor ich mich öffentlich positionieren will", antwortete Deschauer in der Bundespressekonferenz in Berlin auf eine Frage der Deutschen Welle zum Thema.
In Deutschland war die Konvention Anfang 2018 in Kraft getreten. Seit 2023 gilt sie in der Bundesrepublik unbegrenzt. Die Türkei, in der die Konvention beschlossen worden war, hatte das Abkommen 2021 verlassen.
haz/se/AR/hf (dpa, afp, DW)