Doch kein Friedenspreis für Ruslan Kotsaba
10. Mai 2019Die Verwirrung um die Auszeichnung des ukrainischen Journalisten und Bloggers Ruslan Kotsaba mit dem diesjährigen Aachener Friedenspreis hat ein vorläufiges Ende. Wie der Vorstand des Vereins mitteilte, habe man sich nun doch "gegen eine Preisverleihung an den ukrainischen Pazifisten entschieden". Hintergrund seien Vorwürfe über frühere antisemitischen Äußerungen. Eine endgültige Entscheidung soll am 14. Juni die Mitgliederversammlung treffen.
Kontroverses Video
Anlass der Kritik ist ein Videoblog des Preisträgers in ukrainischer Sprache aus dem Jahr 2011. Am 22. Juni, dem Jahrestag des Angriffs Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion, spricht Kotsaba auf dem jüdischen Friedhof in seiner westukrainischen Heimatstadt Iwano-Frankiwsk über Kriegsopfer, Schuld und Versöhnung. Besonders problematisch aus Sicht der Kritiker ist die Passage in dem Video, in der Kotsaba den Juden eine Mitschuld am Holocaust unterstellt. Aus einer Youtube-Fassung wurde diese offenbar herausgeschnitten wurde. Auf anderen Videoportalen ist sie jedoch noch zu finden. So wurde sie etwa 2018 mitsamt einer deutschen Übersetzung auf der russischen Videoplattform Rutube publiziert.
Nachdem der Verein Aachener Friedenspreis Kotsaba zu einem seiner Preisträger gekürt hatte, hagelte es Kritik. Ukraine-Experten und Menschenrechtsorganisationen äußerten in sozialen Netzwerken ihre Bestürzung. Auch der Grünen-Politiker Volker Beck sprach sich auf Twitter gegen die Auszeichnung aus.
Der Linke-Abgeordnete Andrej Hunko, der Kotsaba für die Auszeichnung mit vorgeschlagen hatte, versuchte die Entscheidung noch zu retten. In einer gemeinsamen Erklärung mit seinem Wahkreismitarbeiter Darius Dunker heißt es: "Bis zur Bekanntgabe war uns das Video nicht bekannt… Die Aussagen Kotsabas in dem Video sind völlig inakzeptabel und wir weisen sie zurück." Auf ihrer Webseite veröffentlichten sie auch eine Stellungnahme des Bloggers, worin der Ukrainer seine Aussagen über Juden und den Holocaust aus dem Jahr 2011 bedauert und sie als explizit falsch bezeichnet. Er entschuldigt sich bei denen, die "sich verletzt gefühlt haben". Er habe durch seine Politisierung im Kontext des Krieges in der Ostukraine viele seiner Einstellungen überdacht und geändert, so Kotsaba.
Vor diesem Hintergrund erklärte Hunko, man sei der Meinung, Kotsaba habe den Preis doch verdient. Man habe ihn vorgeschlagen, weil er sich "von einem moderat nationalistisch eingestellten Ukrainer zu einem entschlossenen Kriegsgegner und Pazifisten" gewandelt habe.
Der Vereinsvorstand hat jedoch anders entschieden.
Wer ist Ruslan Kotsaba?
Der 52-jährige Ruslan Kotsaba arbeitete früher unter anderem beim ukrainischen Fernsehsender "112 Ukraine" und moderiert jetzt eine eigene Sendung beim TV-Sender "NewsOne". Beide Sender wurden aufgrund ihrer kritischen Haltung von ukrainischen Nationalisten mehrfach als angeblich ukrainefeindlich kritisiert. Das Parlament in Kiew versuchte erfolglos, Sanktionen gegen diese Sender zu erheben.
Kotsaba wurde im Februar 2015 wegen des Verdachts auf Landesverrat verhaftet. Anlass war unter anderem eine Videobotschaft an den damaligen Präsidenten Petro Poroschenko. Darin rief Kotsaba alle Ukrainer auf, sich der Mobilisierung wegen der Zuspitzung des Krieges in der Ostukraine zu verweigern. Der Journalist sprach von einem Bürgerkrieg und sagte, es gebe "so gut wie keine regulären russischen Truppen im Donbass, sondern nur lokale Jungs, die separat leben wollen".
Ein Gericht in Iwano-Frankiwsk sprach Kotsaba vom Vorwurf des Landesverrats frei, verurteilte ihn jedoch zu dreieinhalb Jahren Haft wegen Behinderung der ukrainischen Streitkräfte. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International stufte ihn als politischen Häftling ein. Kotsaba verbrachte mehr als ein Jahr hinter Gittern, wurde aber im Juli 2016 vorzeitig freigelassen. Das juristische Tauziehen geht jedoch weiter. Ein neues Verfahren im Fall Kotsaba ist für Juli 2019 geplant.
Preis für Aktivitäten von unten
Bei der Auszeichnung für Kotsaba habe man sich an der Grundsatzerklärung des Vereins ausgerichtet, so Lea Heuser, Sprecherin des Vereins. Der zufolge sollen vor allem Personen und Gruppen ausgezeichnet werden, "die sich von unten und ohne politische und sonstige hochrangige Ämter für Frieden und die zivile Lösung von Konflikten einsetzen". Ruslan Kotsaba habe den Mut, als Einzelner gegen den Krieg und für friedliche Lösungen einzutreten, hob der Verein in seiner ursprünglichen Meldung über die Auszeichnung auf seiner Webseite hervor.
Der Aachener Friedenspreis wurde 1988 gegründet. Er wird von dem gleichnamigen Verein verliehen, dem rund 350 Personen und 50 Organisationen angehören, darunter lokale Parteienvertreter von SPD, Grünen und der Linken sowie von Kirchen und Gewerkschaften. Die Verleihung des mit 2000 Euro dotierten Preises findet traditionell am 1. September statt, dem Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs, an den in Deutschland mit dem Weltfriedenstag erinnert wird.
Preisträger dürfen von jedem vorgeschlagen werden, auch von Personen außerhalb des Vereins. Die Entscheidung wird von den Vereinsmitgliedern mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit getroffen. Ausgezeichnet werden Friedensaktivisten aus Deutschland und aus dem Ausland. Aus dem postsowjetischen Raum wurden 2004 die "Petersburger Soldatenmütter" geehrt.