Kein Anschluss unter dieser Nummer
25. Juli 2003Seit der damalige Vizepräsident Al Gore das Internet erfand – oder das zumindest behauptete -, haben die beiden mächtigsten Männer der westlichen Welt E-Mailboxen. Unter president@whitehouse.gov beziehungsweise vice.president@whitehouse.gov können Amerikaner und Netzbürger aus der ganzen Welt loswerden, was ihnen auf dem Herzen liegt. Und das ist nicht wenig: Rund 15.000 Emails erreichen jeden Tag das Weiße Haus. Darin nicht eingeschlossen sind unwiderstehliche und absolut seriöse Angebote zur Refinanzierung besagten Weißen Hauses und zur erfolgreichen Vergrößerung präsidentialer Körperteile; dass die Junk-Mail-Filter des Weißen Hauses funktionieren, dürfen wir annehmen.
Loben oder kritisieren?
Seit einigen Tagen jedoch ist es selbst für aufrechte Amerikaner ein wenig schwieriger geworden, dem Präsidenten e-schriftlich die Meinung zu geigen. Mailschreiber müssen sich durch bis zu neun Seiten eines Online-Fragebogens hindurchklicken - und sie müssen gleich zu Beginn angeben, ob sie die Politik der Regierung lieber loben oder kritisieren wollen.
Das regt vor allem die Kritiker des Präsidenten auf, die auch in den USA langsam wieder zu ihrer Stimme finden. Tom Matzzie von der Bürgerrechtsorganisation AFL-CIO fragt, ob man denn nicht mal mehr eine einfache Frage stellen könne, ohne sich vorher als pro-Bush oder anti-Bush zu outen. Im Weißen Haus sieht man die neue Prozedur dagegen als Verbesserung des Email-Verkehrs an.
Vorgetäuschte Offenheit
"Yeah, right", wie der skeptische Amerikaner sagt. Als ob Bush (oder auch sein Vorgänger Clinton, oder jeder andere Spitzenpolitiker in jedem anderen Land mit Netzanschluss) die Post, elektronisch oder nicht, selbst öffnen würde. So gesehen, ist die neue Mailpolitik des Weißen Hauses sogar ehrlicher: Wer noch an die alte Adresse president@whitehouse.gov schreibe, könne sich nicht darauf verlassen, dass seine Nachricht auch gelesen werde, heißt es offiziell.
Bei aller vorgetäuschten Offenheit: Die beiden erfolgreichsten Methoden, die Aufmerksamkeit eines Präsidenten zu erlangen, haben auch im Jahr 2003 mit Email nichts zu tun. Die eine heißt "Meinungsumfragen" (auch wenn man im Weißen Haus so standhaft wie wahrheitswidrig behauptet, Umfragen zu ignorieren), die andere - "Wahlen".