Kein Eis mehr am Nordpol?
28. April 2005Die Inuit rund um den Nordpol bekamen die Auswirkungen als erste zu spüren: Früher mussten sie für die Jagd den kurzen Zeitraum abpassen, in dem das Meer eisfrei war. Die Abstände werden nun immer länger, das Eis taut schneller und friert später zu. Die veränderte Schnee-Qualität erschwert den Bau traditioneller Iglus, Menschen verlaufen sich in der Wildnis, weil auf die gewohnten Schneewehen zur Orientierung kein Verlass mehr ist.
Zahlen der Umweltorganisation WWF belegen: In den letzten 100 Jahren ist die durchschnittliche Lufttemperatur in der Arktis um fünf Grad Celsius angestiegen. Das hat ausgereicht, um eine Fläche von fast einer Million Quadratkilometern aufzutauen, ein Gebiet so groß wie Frankfreich und Spanien, ein Viertel des arktischen Eises.
Schnellere Erwärmung als erwartet
Bei der Generalversammlung der Europäischen Union der In Wien treffen sich bis zum 29. April 8000 Forscher zur Europäischen Union der Geowissenschaften. Dort wurde berichtet: Der Prozess der Erderwärmung schreitet wesentlich schneller voran, als noch vor wenigen Jahren angenommen. "In der Arktis erwärmt sich das Klima zwei- bis dreimal schneller als im globalen Durchschnitt", erklärt Peter Prokosch, Geschäftsführer vom WWF Deutschland. Je mehr Polar-Eis verschwindet, das die Sonnenenergie reflektiert und die Erde kühlt, desto stärker schreitet die Eisschmelze voran.
Eisfreier Nordpol?
Satellitenbilder zeigen: Jedes Jahr schwindet die eisbedeckte Meeresfläche um bis zu vier Prozent. Zusätzlich rechnet der WWF in den nächsten 100 Jahren mit einem Temperaturanstieg zwischen vier und sieben Grad. Unter diesen Bedingungen könnte bereits am Ende unseres Jahrhunderts die Arktis vollkommen eisfrei sein, so die düstere Prognose von Professor Peter Wadhams von der Universität Cambridge.
Professor Heinz Miller, stellvertretender Direktor des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven und Kongressteilnehmer in Wien, hält dieses Szenario allerdings für eine gewagte Prognose: "Derzeit beobachten wir nur einen flächenmäßigen Rückgang. Die Frage nach der Dicke der Eisflächen können wir derzeit noch schwer beantworten."
Weltweite Folgen
Grönland besteht zu 85 Prozent aus Eis. Wenn der Eissockel komplett schmelzen sollte, könnte der Wasserspiegel weltweit um fast sieben Meter ansteigen. Allein der Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter bedoht schon 17 Millionen Menschen: Betroffen wären einem neben Bangladesh und Teilen Indiens auch Florida und Louisiana. Sie liegen nur einen Meter über dem derzeitigen Meeresspiegel.
Als weitere Folge sieht der WWF den Bestand von schätzungsweise 22.000 Eisbären in Gefahr. Mit dem ewigen Eis schmilzt auch ihr natürlicher Lebensraum.
Zweite Eiszeit in Europa?
Zusätzlich zeichnet der WWF ein weiteres "apokalyptisches Szenario": Die gewaltigen Mengen freigesetzten Schmelzwassers könnten die Meereströmungen beeinflussen, weil sie den Salzgehalt der Ozeane verdünnen. "Besonders betroffen wäre der Golfstrom, die Warmwasserheizung Europas", erklärt Miller vom AWI. "Zwar droht uns keine neue Eiszeit, aber die Störung des Golfstromes brächte uns in Nordeuropa und Skandinavien ein Klima, vergleichbar mit dem in Neufundland.
Suche nach dem Schuldigen
Während für Prokosch vom WWF klar ist: "Die Industrienationen müssen mehr tun, um ihren Treibhausgasaustoß möglichst schnell herunter zu fahren", gibt Professor Miller zu bedenken: "Die Ursachen für die Erwärmung sind schwer zu differenzieren, denn wir befinden uns in einer natürlichen Warmzeit." Seiner Meinung nach sind nur 40 bis 50 Prozent des derzeitigen Klimawandels auf menschliche Einflüsse zurückzuführen.
Gegenmaßnahmen brauchen Zeit
Auch wenn Forscher mittlerweile Problem und Ursachen definieren können, wird es dauern, zumindest einen Teil des ewigen Eises zu retten: "Selbst wenn wir sofort den weltweiten Kohlendioxyd-Ausstoß auf Null reduzieren würden, würde es 50 bis 100 Jahre dauern, bis das Klima reagiert", erklärt Miller.