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Kein Ende des Lieferketten-Lottos

Dirk Kaufmann
7. Oktober 2022

Pandemie, Krieg und Inflation: Das belastet die deutsche Wirtschaft extrem - Rezessionsangst macht sich breit. Der Handel hofft auf eine Stabilisierung der Lieferketten. Zu Recht oder kommt das dicke Ende erst noch?

Taufe des weltgrößten Containerschiffs «MSC Zoe» in Hamburg
Bild: Bodo Marks/dpa/picture alliance

Es gibt Daten, die nahelegen, dass der internationale Handel inzwischen wieder runder läuft als in den vergangenen beiden Jahren. Das augenfälligste Indiz aus deutscher Sicht ist, dass sich der Stau von Containerschiffen in der Deutschen Bucht aufzulösen beginnt: Warteten im vergangenen Monat noch 19 Schiffe vor Bremerhaven und Hamburg, so sind es nach Angaben des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW) derzeit gerade noch 12, und der Trend ist positiv.

Außerdem sanken die Kosten für Container und Schiffe wieder. Die Corona-Pandemie hatte seit 2020 den globalen Warenverkehr durcheinandergewirbelt - die Verfügbarkeit von Frachtkapazität sank, die Nachfrage insbesondere nach Gütern aus Fernost stieg. Die Frachtraten stiegen zwischenzeitlich teilweise auf das Zehnfache der lange Jahre üblichen Transportkosten.

Der Stau vor dem Hamburger Hafen löst sich langsam auf - doch noch immer liegen 12 Schiffe auf ReedeBild: Hinrich Bäsemann/picture alliance

Leichte Entspannung

Dass es gegenwärtig im Welthandel etwas runder läuft, bestätigt auch Vincent Stamer, Handelsexperte am IfW. "In den vergangenen Monaten gab es zunehmend Zeichen der Entspannung: "Der Global Supply Chain Pressure Index beispielsweise misst das Ausmaß der globalen Lieferengpässe und ist seit Beginn des Jahres merklich gefallen."

Den Rückgang der Frachtraten erklärt er mit dem aktuell veränderten Konsumverhalten in Europa: "Ausgelöst durch Rezessionsängste und Inflation scheint die Nachfrage nach Konsumgütern aus Fernost zurückzugehen. Ein Rückgang dieser Importe zeigt sich dann auch in einem Rückgang der Transportkosten auf diesen Routen, weil weniger Güter transportiert werden müssen", so Stamer zur DW.

VW-Elektroautos vor der Auslieferung - wegen Chipmangels hatte die Produktion bereits einmal eingestellt werden müssenBild: Peter Steffen/picture alliance/dpa

Erste Reaktionen

Inzwischen haben aber auch viele Unternehmen ihre Einkaufswege geändert oder diversifiziert. Das hatte das Münchener Ifo-Institut in einer Umfrage in diesem Sommer festgestellt: Fast 90 Prozent der deutschen Industriebetriebe haben bereits auf die globalen Lieferkettenprobleme reagiert.

Zwar hätten nur rund 13 Prozent der Firmen bislang ausgelagerte Produktionsprozesse wieder ins eigene Unternehmen eingegliedert. Doch 68 Prozent der Unternehmen erhöhten ihre Lagerbestände. 65 Prozent stellten ihre Beziehungen breiter auf, indem sie die Zulieferbasis durch neue Lieferanten und Bezugsquellen erweitern.

"Diese Krise ist eine Chance!"

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"Wir beobachten unterschiedliche Strategien bei kleinen und großen Firmen", erläuterte Andreas Baur vom Ifo-Institut. Große Unternehmen seien aktiver als kleine und mittlere. Sie hätten vor allem Strukturen diversifiziert und ihre Lieferketten stärker überwacht. Kleine und mittlere Firmen setzten dagegen eher auf eine verstärkte Lagerhaltung.

Kurzes Zwischenhoch

Die Welthandelsorganisation WTO warnte an diesem Mittwoch (05.10.2022), der Welthandel werde sich wegen des Ukraine-Krieges, der Pandemie und der Folgen des Klimawandels deutlich abkühlen. Sie senkte ihre Wachstumsprognose für 2023 von 3,4 auf 1,0 Prozent. In diesem Jahr dürfte der globale Handel dagegen stärker wachsen, als noch im Frühjahr angenommen. Davon könnte die exportlastige deutsche Wirtschaft noch einmal profitieren.

Das geschähe aber nur, wenn die Rahmenbedingungen passten, also die Lieferketten wieder reibungslos funktionierten, so Vincent Stamer: "Die deutsche Industrie leidet noch immer unter Lieferengpässen, insbesondere der für Deutschland wichtige Maschinenbau. Das lässt sich daran erkennen, dass deutsche Firmen auf einem dicken Auftragspolster sitzen, aber wegen Engpässen nicht alle Aufträge abarbeiten können."

Die Stromversorgung könnte zur größten Herausforderung für die deutsche Wirtschaft im kommenden Winter werdenBild: Karl-Josef Hildenbrand/dpa/picture alliance

Auch Ifo-Präsident Clemens Fuest ist nicht optimistischer. Im DW-Interview sagte er: "Die Auftragsbücher sind in vielen Bereichen sehr gut gefüllt." Aber "viele Unternehmen wollen produzieren, sie können es aber nicht". Sie litten unter hohen Kosten oder einem Mangel an Vorprodukten.

Hier zeigt sich wieder: Das reibungsfreie Zusammenspiel der Lieferketten hängt von einem florierenden Welthandel ab, wie umgekehrt der Handel auf das Funktionieren der globalen Lieferketten angewiesen ist.

Furcht "vor einem kalten Exportwinter"

Zwar sind Deutschlands Exporte im August wieder leicht gestiegen - Wirtschaftsvertretern zufolge zeichnet sich aber insgesamt für das dritte Quartal ein Minus ab. Die Kostensteigerungen für Energie und eine durch Inflation weltweit geschwächte Kaufkraft "lasten wie Blei auf der deutschen Exportwirtschaft", so der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK.) So sei das kleine August-Plus nur "ein letztes Aufflackern vor einem kalten Exportwinter".

Die in Deutschland "besonders ausgeprägten" Energiepreissteigerungen gingen zu Lasten der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, erklärte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. Dies drücke die Exporte. Auch laut Ifo-Umfrage von vergangener Woche sind die Erwartungen der Exporteure im Keller. Der Ifo-Geschäftsklimaindex fiel im September auf den tiefsten Stand seit Mai 2020.

Für Handelsexperte Vincent Stamer ist klar: "Für deutsche Firmen sind nicht alle Herausforderungen aus der Welt: Sie müssen nun vor allem hohe Energiekosten und eine schwache Nachfrage bewältigen." Auch Clemens Fuest vom Ifo-Institut sieht keinen Silberstreif am Konjunkturhorizont: "Die Unternehmer sagen, dass die aktuelle Lage noch so einigermaßen gehe, aber die Aussichten für den Winter sind schlimm, weil die Erwartung vorherrscht, dass die Energieknappheit sich verschärft."

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