Der Präsident muss zustimmen
29. Juni 2012Nahezu alle Bundespräsidenten, die es in Deutschland bislang gab, haben während ihrer Amtszeit mindestens einmal geplanten Gesetzen ihre Zustimmung dadurch verweigert, dass sie die Texte nicht unterschrieben haben. Wie kamen sie dazu ?
In Deutschland soll alles seine Ordnung haben. Vor allem sollen Unrecht und Willkür vermieden werden. So legten die Frauen und Männer, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Verfassung schrieben, als wichtigste Regel fest, dass sich alle Verfassungsorgane gegenseitig kontrollieren. Das sieht konkret so aus: Gesetze werden von den Abgeordneten im Bundestag angeregt oder von den Ministern im Kabinett der jeweiligen Regierung. Im Bundestag wird nach drei Lesungen über die Gesetze abgestimmt. Allen Gesetzen, die die Bundesländer betreffen, muss der Bundesrat mit den Landesvertretern zustimmen. Bleibt seine Zustimmung aus, wird in einem Vermittlungsausschuss um einen Kompromiß gerungen.
Als eine weitere wichtige Kontrollinstanz kommt dem Bundespräsidenten danach das Recht, aber auch die Pflicht zu, alle Gesetze noch einmal zu kontrollieren. Dabei zählt natürlich nicht, ob dem Bundespräsidenten ein Gesetz nach seiner politischen Auffassung oder seiner persönlichen Meinung passt oder nicht. Zu prüfen hat er mit einem Beraterstab im Präsidialamt alleine, ob ein vom Bundestag oder Bundesrat verabschiedetes Gesetz auch der deutschen Verfassung entspricht. Gibt es Bedenken, muss als allerletzte Instanz das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht, entscheiden. Ohne eine Zustimmung des Bundespräsidenten kann kein Gesetz in Deutschland in Kraft treten.
Seit Bestehen der Bundesrepublik stoppten Staatsoberhäupter in acht Fällen Gesetze. Es ging dabei zum Beispiel um Gesetze, die regeln sollten, wann der Staat haftet und wie Parteien finanziert werden dürfen. Oft ging es aber um viel mehr.
Kein Abschuss von Flugzeugen
Ein Beispiel: Im Krisenfall sollte ein von Terroristen entführtes Flugzeug von der Bundeswehr abgeschossen werden dürfen. So sollte verhindert werden, dass Extremisten ein Flugzeug auf ein Atomkraftwerk abstürzen lassen. Diese Möglichkeit war in ein Gesetz zur "Luftsicherheit" verpackt worden. Bundespräsident Horst Köhler unterschrieb das Gesetz 2005 zwar nach langer juristischer Prüfung. Aber er sorgte dafür, dass sich das Bundesverfassungsgericht damit beschäftigte. Das Gericht verwies auf die unantastbare Menschenwürde und das Gesetz kam nicht zustande.
Im Jahr 2002 ging es um ein Gesetz, mit dem die Bedingungen für die Zuwanderung nach Deutschland neu geregelt werden sollten. Bis dahin wurden zum Beispiel Bürgerkriegsflüchtlinge oder Folteropfer in der Bundesrepublik nur geduldet. Sie hatten keinen festen Aufenthaltsstatus, wurden aber auch nicht abgeschoben. Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily wollte diese Duldung abschaffen. Nach Angaben von Flüchtlingsexperten wären dadurch rund zwei Drittel der damals 260.000 Betroffenen schlechter gestellt worden, weil der Abschiebeschutz stark eingeschränkt worden wäre. Viele Betroffene rechneten mit ihrer Ausweisung. Bundespräsident Johannes Rau zögerte damals. Immerhin wollten die Sozialdemokraten das Gesetz - und damit die Partei, der auch Johannes Rau angehörte. Schließlich griff Rau zu einer Methode, die sich in den vergangenen Jahren durchgesetzt hat: Er erklärte öffentlich seine Bedenken gegen das Gesetz und verwies den Vorgang an das Bundesverfassungsgericht. Das lehnte die geplanten Bestimmungen als verfassungswidrig ab.
1994 sollten die Sicherheitsbestimmungen für Atomkraftwerke in Deutschland verschärft werden. Im geplanten Atomgesetz waren aber die strengeren Regeln ausgerechnet für die bereits bestehenden Meiler nicht vorgesehen. Der damalige Bundespräsident Roman Herzog stellte sich quer.
Ein anderer Fall: Die Flugsicherung in Deutschland sollte privatisiert werden. Diese verantwortungsvolle Aufgabe war nach dem Grundgesetz einzig einer staatlichen Bundesbehörde erlaubt. Sicherheitsaspekte sollten immer Vorrang vor betriebswirtschaftlichen und kommerziellen Überlegungen einer privaten Firma haben. Bundespräsident Richard von Weizsäcker verweigerte daher 1991 seine Unterschrift. Der Bundestag musste neu verhandeln und das Grundgesetz ergänzen.
Sinnvolle Kontrollinstanz
Auch die ersten Bundespräsidenten der Republik Theodor Heuss, Heinrich Lübke und Walter Scheel verweigerten ihre Unterschriften zu Gesetzen. Meist allerdings aus formalen Gründen, weil sie für die jeweiligen Gesetze eine Zustimmung des Bundesrates vermissten oder den Bund für ein Gesetzesvorhaben gar nicht in der Zuständigkeit sahen. Weltweit gilt das deutsche Kontrollsystem für Gesetze als vorbildlich, wie die internationale Juristenkommission in Genf auf ihrer letzten Konferenz bestätigte.