Militärputsche, Corona und umstrittene Wahlen: Afrikas Demokratie stand 2021 unter enormen Druck. Nächstes Jahr stehen weitere wichtige Stimmungstests an. Und doch gibt es auch positive Zeichen.
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Tschad, Mali, Guinea, Sudan: Vier Putsche in einem Jahr gab es in Afrika lange nicht mehr. Und die Militärs klammern sich in allen Ländern weiter an die Macht. Erinnerungen an finstere Zeiten werden wach: In den 1970er und 80er Jahren putschen Soldaten regelmäßig gegen zivile Regierungen - und der Rest des Kontinents schaute weg.
Doch das hat sich geändert: "Die gute Nachricht im Blick auf die Putsche heute ist, dass die Menschen nicht mehr bereit sind, sie einfach hinzunehmen oder sich zu Komplizen der Putschisten machen zu lassen", sagt Christopher Fomunyoh, Regionaldirektor für West- und Zentralafrika am National Democratic Institute in den USA der DW.
Auch afrikanischen Organisationen handeln härter als früher. "Ein Lichtblick für mich war die relativ konsequente Reaktion der Regionalorganisation, vor allem der Afrikanischen Union. Der Sudan zum Beispiel wurde nach dem Putsch suspendiert", sagt Julia Grauvogel vom GIGA-Institut für Afrika-Studien der DW.
So deutlich war die Afrikanische Union 2021 aber nicht immer. Zum Beispiel blieb sie stumm, als sich Ugandas Langzeitherrscher Yoweri Museveni im Januar zu einer sechsten Amtszeit wählen ließ. Offiziell gewann er die Wahlen mit rund 58 Prozent. "Es war der größte Wahlbetrug in der Geschichte Ugandas", wetterte dagegen sein Herausforderer Bobi Wine im DW-Interview. Vor und während der Wahlen waren viele seiner Unterstützer verhaftet worden oder verschwanden unter ungeklärten Umständen. Wine selbst stand nach der Wahl unter Hausarrest.
Autokraten wie Museveni konnten ihre Macht 2021 sogar noch einfacher ausbauen. "Die Einschränkunge,n die mit den Maßnahmen gegen COVID-19 einhergingen, machten es für Menschen schwerer sich zu treffen. Pro-Demokratie-Aktivisten konnten nicht so mobilisieren wie in der Vergangenheit oder sich mit Parlamenten, Parteien oder der Zivilgesellschaft vernetzen", sagt Experte Fomunyoh. Und Autokraten nutzen die Regelungen gegen Gegner. So ging Ugandas Polizei nach Berichten besonders hart gegen Oppositionsanhänger vor. Begründung: Sie hätten sich nicht an die Corona-Regeln gehalten.
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Die Bevölkerung geht auf die Straße
Viele Menschen in Afrika lehnen autoritäre Staatschefs ab. "Es ist nach wie vor so, dass die Bevölkerung auf dem Kontinent Demokratie jeder anderen Regierungsform vorzieht. Das heißt, es gibt einen sehr starken Wunsch nach Demokratie", sagt GIGA-Expertin Grauvogel.
Das zeigen die Massenproteste in vielen afrikanischen Ländern - nicht nur im Sudan. Im Senegal gingen vor allem junge Menschen unter dem Hashtag #FreeSenegal gegen den immer autoritärer regierenden Staatschef Macky Sall auf die Straße. Auch in Eswatini brachen gewalttätige Demonstrationen gegen den autoritär regierenden König Mswati III. aus. Armee und Polizei schlugen sie blutig nieder.
Ugandas Polit-Star Bobi Wine, selbst erst 39, hofft, dass solche Beispiele Schule machen: "In Uganda und vielen Teilen Afrikas beschränken sich die Mächtigen, die Regierung, auf Selbstverherrlichung und Selbstbereicherung. Das wird nur aufhören, wenn die jungen Menschen dagegen aufstehen und ihre Rechte nicht nur verbal geltend machen", sagte er der DW.
Einige Lichtblicke
In anderen Ländern funktionierten aber auch die demokratischen Institutionen: In Sambia führten die Wahlen im August zu einem friedlichen Machtwechsel. In Südafrika schickte ein Gericht Ex-Präsident Jacob Zuma ins Gefängnis. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Zuma bald wieder freikam - aus "gesundheitlichen Gründen". Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen. Im Dezember entschied ein Gericht, dass die Freilassung nicht rechtmäßig war. Doch dagegen wehrt sich der Ex-Präsident.
2022 wird weitere Stimmungstests für Afrikas Demokratie mit sich bringen: In Angola bewirbt sich Präsident João Manuel Lourenço um eine zweite Amtszeit. 2017 hatte er Langzeitpräsident José Eduardo dos Santos nach fast 40 Jahren abgelöst. Lourenço, wie sein Vorgänger Mitglied der Regierungspartei MPLA, hat einen vorsichtigen Reformkurs eingeleitet. Viele Beobachter sind gespannt, wie frei und fair die Wahlen ablaufen werden - es ist ein Indiz, wie ernst seine Reformversprechen zu nehmen sind.
Auch in Kenia geht es um viel. Präsident Kenyatta wird nach zwei Amtszeiten abtreten. Die letzten Wahlen 2017 waren von massiven Betrugsvorwürfen überschattet worden. Schließlich forderte das Verfassungsgericht eine Wiederholung. Mehr als 90 Menschen starben nach Angaben der staatlichen Menschenrechtskommission bei Unruhen.
Doch trotz aller Herausforderungen ist Experte Fomunyoh optimistisch: "Ich glaube, dass die gemeinsamen Bemühungen der vibranten afrikanischen Zivilgesellschaft, der vielen jungen Menschen, die besser regiert werden wollen und der Bemühungen westlicher Partner helfen wird, die Demokratie in Afrika 2022 zu konsolidieren."
So war das Jahr 2021 in Afrika
Tigray, Sahel, Cabo Delgado: An Krisen hat es 2021 in Afrika nicht gefehlt. Doch es gab auch viele Lichtblicke. Eine Präsidentin vollzog die Kehrtwende in der Corona-Politik und es gab bedeutende Rückkehrer.
Bild: Moses Sawasawa/AFP/Getty Images
Tansanische Kehrtwende
"Corona? Gibt's hier nicht!" So ließe sich die Haltung von Tansanias Präsident John Pombe Magufuli in der Pandemie zusammenfassen. Bis, ja, bis Magufuli im März überraschend verstarb. An Herzversagen, wie offiziell vermeldet wurde. Auf ihn folgte - als erste Frau in diesem Amt - Samia Suluhu Hassan. Sie erkannte die Gefahr durch COVID-19 nicht nur an, sondern ging auch mit gutem Beispiel voran.
Bild: Ericky Boniphase/DW
An der Spitze des Welthandels
Mit Ngozi Okonjo-Iweala führt seit März eine afrikanische Wirtschaftsexpertin die Welthandelsorganisation. Zu den Schwerpunkten der ehemaligen nigerianischen Finanz- und Außenministerin und einstigen Vorstandsvorsitzenden der globalen Impfallianz GAVI gehört Impfgerechtigkeit und eine bessere Teilhabe der sogenannten Entwicklungsländer.
Bild: Luca Bruno/AP Photo/picture alliance
Gewonnen - verstorben - beerbt
Binnen 30 Jahren machte Idriss Déby Itno den Tschad zum militärischen Zentrum des Sahel und wichtigen Partner Europas. Die Demokratie beschränkte sich auf Ritualhandlungen. Stunden nach seiner Wiederwahl vermeldete die Armeeführung im April Débys Tod bei einem Truppenbesuch im Kampfeinsatz gegen Rebellen. Die Machtübergabe an Sohn Mahamat Idriss verlief geräuschlos, manche werteten es als Putsch.
Bild: MARCO LONGARI/AFP
Es wird wieder geputscht
Auch andere Staaten erlebten gewalttätige Führungswechsel: Im Mai putschte das Militär in Mali zum zweiten Mal binnen neun Monaten, im September beendete Mamady Doumbouya (Foto) das Regime von Alpha Condé in Guinea und im Oktober wurde die Übergangsregierung im Sudan abgesetzt. Seit Wochen demonstriert die Bevölkerung im Sudan dagegen auf den Straßen.
Bild: CELLOU BINANI/AFP/ Getty Images
Mal wieder kalt erwischt
Eigentlich soll in Goma ein Frühwarnsystem vor Vulkanausbrüchen warnen. Doch dem Observatorium war wegen des Verdachts auf Scheinbeschäftigung und Korruption der Geldhahn abgedreht worden. Folgerichtig traf der Ausbruch des Nyiragongo im Mai die Stadt im Osten der Demokratischen Republik Kongo wie schon 2002 völlig unvorbereitet. Hunderttausende mussten fliehen, Dutzende kamen ums Leben.
Bild: Moses Sawasawa/AFP/Getty Images
Gemeinsam Stärke zeigen
Von einer "beispielhaften Zusammenarbeit" spricht Mosambiks Präsident Filipe Nyusi: Seit Juli beteiligt sich Ruanda mit rund Tausend Soldaten am Kampf gegen Islamisten in der Provinz Cabo Delgado. Ruandas Präsident Paul Kagame (Mitte links) kam zur Stippvisite. Weniger medienwirksam unterstützen auch Truppen des südafrikanischen Staatenbunds SADC.
Bild: Estácio Valoi/DW
Äthiopiens Bürgerkrieg trifft die Schutzlosen
Alles Hoffen, Äthiopiens Premierminister und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed könne sich im Tigray-Konflikt gesprächsbereit zeigen, blieb 2021 vergebens. Auch die Gegenseite setzt auf Waffen. Oft trifft die Gewalt Zivillisten wie diese 17-Jährige. Ein Kämpfer sei in ihr Haus gekommen und habe geschossen. Die menschenverachtende Rhetorik lässt Beobachter einen bevorstehenden Genozid fürchten.
Bild: Maria Gerth-Niculescu/DW
Alleingelassen
Südafrika hat seit 2020 sehr unter der Corona-Pandemie gelitten: Mehr als 3,3 Millionen bestätigte Infektionen, 90.000 Menschen sind am Virus gestorben. Im November entdeckten Forschende die Omikron-Variante. Der Dank dafür war eine internationale Isolation, viele Reisen wurden untersagt. Präsident Cyril Ramaphosa warf dem globalen Norden bei der Verteilung der Vakzine "Impfstoffapartheid" vor.
Bild: Jerome Delay/AP Photo/picture alliance
Gefeierte Rückkehr
Im jahrzehntelangen Streit um afrikanisches kulturelles Erbe markiert 2021 einen Wendepunkt. Frankreich, Deutschland, Belgien, Großbritannien haben erkannt: Objekte, die aus den einstigen Kolonien gestohlen wurden, gehören zurück nach Afrika - und zwar besser heute als morgen. In Benin gab es im November militärische Ehren für den Thron des Dahomey-Königs Guézo, der bisher in Paris zu sehen war.
Bild: Seraphin Zounyekpe/Presidence of Benin/Xinhua/picture alliance
Frankreich tritt ab, Mali will führen
Nach fast neun Jahren zog sich Frankreichs - geliebtes und gehasstes - Militär im Dezember aus Timbuktu im Norden Malis zurück. Dort begann 2013 die Offensive gegen den islamistischen Vormarsch. Im Süden bleibt Frankreich präsent. Malis Außenminister unterstreicht im DW-Gespräch den Wunsch, den Dialog "konstruktiv und offen" fortzuführen. Aber Mali müsse für die Führung ausgestattet werden.
Bild: Blondet Eliot/ABACA/picture alliance
Afrika kann Weltliteratur
Traditionell bestimmt der Westen den Kanon internationaler Literaturpreise. Das war 2021 anders: Der auf Sansibar geborene Abdulrazak Gurnah erhielt den Literaturnobelpreis, der Booker Prize ging an den Südafrikaner Damon Galgut, der Friedenspreis des deutschen Buchhandels an die Simbabwerin Tsitsi Dangarembga (Bild) und der Prix Goncourt an den Senegalesen Mohamed Mbougar Sarr.
Bild: Thomas Lohnes/dpa/picture alliance
Es darf getanzt werden
Ganz Afrika tanzt zur kongolesischen Rumba. Besonders in den beiden Kongo-Republiken ist sie nicht nur Musik, sondern Lebensgefühl. "Ohne die Rumba ist Chaos", sagt ein DW-Hörer. Dass sie jetzt - fünf Jahre nach dem Tod ihrer ikonischen Figur Papa Wemba - zum immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe zählt, erfüllt Präsident Félix Tshisekedi mit "Freude und Stolz".