Kein Masterplan für die künftige Arbeitswelt
15. Juli 2021Wissens- und Verwaltungsarbeiter und -arbeiterinnen werden künftig ihre Aufgaben öfter nicht nur an ihrem alten Schreibtisch erledigen. Das neue Normal nach Corona ist hybrid: eine Mischung aus Präsenz in Büro und Online-Arbeit in unterschiedlichen Verhältnissen und an verschiedenen Orten.
Die Lockdown-Monate haben gezeigt, dass es mit dem Homeoffice im Großen und Ganzen klappt, selbst im zuvor skeptischen Mittelstand. 30 bis 40 Prozent der Belegschaften hatten ihre Arbeit zuhause erledigen können, melden die Arbeitgeberverbände Ruhr/Westfalen, ein Zusammenschluss von rund 430 meist mittelständischer produzierender Unternehmen. "Diese hohe Zahl hat uns selbst überrascht, da unsere Mitglieder zumeist im industriellen Sektor tätig sind", so Hauptgeschäftsführer Dirk Erlhöfer.
Überwiegend vorteilhaft
Neben dem Infektionsschutz gebe es weitere positive Effekte: Die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf habe die Motivation und die Effizienz gesteigert, die Nutzung virtueller Kommunikation wurde zur Selbstverständlichkeit. Es habe deutlich weniger Krankmeldungen gegeben. Zudem sei ein Homeoffice-Angebot attraktiv für potenzielle neue Fach- und Führungskräfte.
Also alles super? Laut Erlhöfer gebe es natürlich auch ein paar Probleme: "Etwa zähe Abstimmungsprozesse zwischen Verwaltung und Produktion, technische Schwierigkeiten oder die Entstehung einer 'Zweiklassengesellschaft' im Unternehmen, was den Betriebsfrieden stören kann. Für unsere Mitglieder überwiegen aber die Vorteile". 80 Prozent planen für die Zukunft mehr mobiles Arbeiten.
Ein höheres Maß an Flexibilität
Der Chemiekonzern BASF entwickelt derzeit ein Hybridmodell, bei dem Kollegen und Kolleginnen teils vor Ort, teils virtuell zusammenkommen. Dabei will der Konzern bewusst auf die Vorgabe starrer oder global gültiger Regeln verzichten. "Wir werden künftig unseren Teams ein höheres Maß an Flexibilität ermöglichen, um ihre Arbeit zu erledigen", sagt Unternehmenssprecherin Valeska Schößler. "Wie viele Tage und wie genau künftig mobil gearbeitet werden kann, besprechen Mitarbeiter und Führungskraft unter Berücksichtigung der betrieblichen Gegebenheiten".
"Ein Versuch im Labor oder das Betreiben und die Reparatur einer Anlage lassen sich nicht virtuell von daheim erledigen. Auch haben nicht alle Mitarbeitenden die geeigneten Voraussetzungen für die Arbeit zuhause. Wiederum andere schätzen gerade die klare räumliche Trennung von Büro und privatem Bereich", sagt Schößler. "Und ganz besonders, wenn es um kreative Entwicklung von Ideen geht, sind die persönliche Nähe und der direkte Austausch oft der Schlüssel zum Erfolg".
Das Büro wird zum Treffpunkt umgebaut
Das Treffen am Kaffeeautomaten, das Geplauder in der Pause und der Flurfunk als sozialer Kitt und Kreativitätsimpuls rücken dank Corona mehr in den Fokus. Das Büro der Zukunft wird daher neu definiert. Es werde Räume für ungestörtes Schaffen, für Besprechungen und Projekte wie auch offene Arbeits- und Kommunikationsflächen und digitale Buchungssysteme geben, so ein aktuelles Papier des HR-Kreises der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, acatech, der die Personalvorstände vieler namhafter Unternehmen versammelt. Für konzentriertes Arbeiten oder für Routinetätigkeiten würde man sich vielleicht auch nach Hause oder an andere Orte außerhalb des Büros zurückziehen.
Besonders junge Firmen brachte das Arbeiten auf Distanz einige Vorteile: Die Teilnahme an Konferenzen war plötzlich ohne großes Reisebudget möglich. Fachkräfte standen dank Zoom &Co., Echtzeit-Übersetzungen und Blockchain-gesicherter Verträge weltweit zur Verfügung.
Die Techies regten das informelle Miteinander auch mit digitalen Mitteln an. OroraTech aus München, ein Spezialist für Waldbrandfrüherkennung per Satellit, hat z.B. "Donut-Calls" benutzt, um in den virtuellen Kaffeepausen Leute nach Zufallsprinzip ins Gespräch zu bringen. Das Team von Cloud & Heat, einem Anbieter energieeffizienter Rechenzentren, hatte sich im Lockdown zu virtuellen Spielerunden nach Feierabend verabredet.
Experimentierzonen einrichten
Doch die ausufernde digitale Kommunikation kann auch problematisch werden. Die Jobsuche-Plattform Campusjäger etwa nahm an einem Forschungsversuch teil: Die Mitarbeitenden trugen Brustgurte, um anhand der Pulsfrequenz zu messen, wie sehr sie das ständige Piepen ihrer Teamarbeit-Apps ablenkt und stresst. Es stellte sich heraus: Das Ausschalten des Signals konnte im Büro den Flow-Zustand um 19 Prozent verlängern, im Homeoffice sogar noch mehr.
Wenn Anwesenheit nicht mehr das Maß fürs Schaffen ist, werde Vertrauen sehr wichtig, betont acatech - und zwar in alle Richtungen. So sollten anstelle starrer jährlicher Leistungsbeurteilungen Ad-hoc- oder Peer-Feedback treten. Eingefahrene Routinen müssten aufgebrochen werden, man müsse sich zum Thema Erreichbarkeit absprechen.
Dafür bräuchte es Experimentierzonen, so acatech: "Es gibt keinen Masterplan für die Gestaltung der zukünftigen Arbeitswelt, der alle denkbaren Entwicklungen bereits antizipieren und entsprechende Regelungen treffen könnte".
Eine solche Experimentierzone richtet BASF an seinem Firmensitz in Ludwigshafen ein. "Im Rahmen des Projekts Flex Work werden wir in diesem Jahr Grundlagen für flexibles Arbeiten wie Bürokonzepte, IT-Lösungen sowie Tipps und Tricks für die Zusammenarbeit im Team entwickeln", sagt Valeska Schößler. "Erarbeitet und umgesetzt werden sie im ersten Schritt gemeinsam mit Pilot-Einheiten". Ein digitaler Werkzeugkoffer beinhalte z.B. Tools für Workshops, Umfragen, Kreatives und Organisatorisches. Speziell für Führungskräfte gebe es seit Beginn der Pandemie eine digitale Veranstaltungsreihe zum Führen auf Distanz.