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Kein Sand am Meer

Harald Franzen
28. November 2017

Sand ist quasi ein Synonym für "unerschöpflich", aber die Welt verbraucht ihn schneller als fast jede andere Ressource auf dem Planeten. Wie lange kann das gut gehen?

Sanddünen in der Wüsten der Vereinigte Arabische Emirate
Bild: Getty Images/AFP/K. Sahib

An Teilen der Küste der marokkanischen Stadt Tanger scheint etwas zu fehlen. Das Meer ist da, die Wellen rauschen, wie seit Menschengedenken, aber es ist kein Ort für lange faule Tage im weichen Sand. Weil es keinen gibt.

Anstelle von weißen Sandstränden findet man eine felsige Mondlandschaft. Wenngleich sie beeindruckend anzusehen ist, so ist sie doch kein natürliches Phänomen. Es sind ehemalige Strände, an denen in großem Rahmen Sand gestohlen wurde, bis keiner mehr übrig war.

Aber warum sollte jemand Sand stehlen? "Wir haben zwar viel Sand, wir haben aber auch viele Begehrlichkeiten", sagte Hermann Kessler vom Umweltbundesamt (UBA) gegenüber DW.

Und wir verwenden ihn überall. Von Zahnpasta und Putz bis zu Geschirr, Waschbecken und Toilettenschüsseln, von Fenstern und Bierflaschen bis zu Computerchips, die alles von Smartphones bis zu Autos steuern.

Stranderosion trifft diejenigen, die in unmittelbarer Nähe leben am härtestenBild: DW/N. Tadégnon

Der mit Abstand größte Verbraucher ist die Bauindustrie, die Sand für Ziegelsteine, Asphalt und Beton braucht. Man benötigt etwa 200 Tonnen Sand, um ein Einfamilienhaus zu bauen, ein Kilometer Autobahn verbraucht 30.000 Tonnen, ein Atomkraftwerk 12 Millionen Tonnen.

Eine Studie des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) schätzt den weltweiten jährlichen Verbrauch von Sand und Kies auf mehr als 40 Milliarden Tonnen.

"Sand ist eine fossile Ressource. Seine Entstehung braucht Millionen von Jahren, aber eine Mine kann innerhalb eines Jahrzehnts erschöpft sein", sagt Kiran Pereira, die "Sandstories.org" gegründet hat, um auf das Problem aufmerksam zu machen. "Wir müssen uns der Ökosystemdienstleistungen bewusst werden, die Sand leistet, von denen viele unersetzbar sind."

Bau, Korruption und Kriminalität

Wie kritisch die Situation ist, hängt stark davon ab, wo man ist.

"Uns in Deutschland geht der Sand nicht aus", sagt Kessler, Leiter des Fachgebiets Ressourcenschonung, Stoffkreisläufe, Mineral- und Metallindustrie beim UBA. "Aber international sieht das ganz anders aus."

Der größte Sandimporteur der Welt ist Singapur. In den vergangenen 40 Jahren hat die kleine, überfüllte Insel in großem Stil Neulandgewinnung betrieben - ein Prozess, bei dem das Flachwasser mit Sand oder Steinen aufgeschüttet wird, um auf dem neu entstehenden Land bauen zu können. Dieser Prozess bedarf riesiger Mengen an Sand, und der Stadtstaat hat sein Territorium damit um 130 Quadratkilometer erweitert.

Singapur ist der größte Sandimporteur der Welt. Der Stadtstaat nutzt ihn zur Neulandgewinnung und um seine vielen Wolkenkratzer und anderen Gebäude zu bauenBild: Fotolia/asab974

Lange kam der größte Teil des Sandes aus den Nachbarstaaten Indonesien, Malaysia, Vietnam und Kambodscha, aber alle vier haben inzwischen den Export nach Singapur verboten, wodurch der Preis für eine Tonne Sand von umgerechnet 2,55 Euro auf 161 Euro geschossen ist. Und dieser Preisanstieg blieb nicht ohne Folgen.

"Das Sandgeschäft ist sehr korrupt", sagt Kessler und fügt hinzu, dass es dabei oft illegal zugeht. Und viele der Akteure "schrecken auch vor Drohungen und sogar Mord nicht zurück."

Kriminelle Gangs stehlen Sand in Ländern von Jamaika bis Nigeria. Indien hat sogar eine richtige Sand-Mafia, die für ihrer Skrupellosigkeit bekannt ist. Manche Gangs fahren mit Baggern und Lastwagen auf den Strand und bedienen sich unverfroren, während andere mit einfachen Handwerkzeugen Säcke füllen, diese auf Maulesel packen und zu nahe gelegenen Baustellen bringen.

Umweltzerstörung

Eine weitere Methode, Sand abzubauen, sind Saugschiffe, die wie gigantische Staubsauger den Sand in Küstennähe vom Meeresboden hochpumpen.

"Alles, was durch diesen Saugbagger nach oben gepumpt wird, ist eigentlich tot", sagt Kim Detloff, Leiter Meeresschutz beim Naturschutzbund Deutschland (NABU). Und sie können auch am Meeresboden Verwüstung anrichten. "Es gibt Studien dazu, die zeigen, dass sandige Lebensräume sich danach überhaupt nicht mehr regenerieren."

Natürliche Erosionsprozesse werden oft bekämpft, indem Sand vom Meeresboden aufgesaugt und an den Strand gespült wird. Die Auswirkungen für Meeresorganismen in der Umgebung sind verheerendBild: picture-alliance/radio tele nord

Diese Praxis, genauso wie das Abtragen von ganzen Strandabschnitten in einer Nacht- und Nebel-Aktion, kann auch zu Küstenerosion führen. Wenn man im abschüssigen Flachwasser zu viel Sand abträgt, rutscht der höher gelegene Meeresboden nach und irgendwann auch der Strand selbst. Ohne den Strand ist die Küste der Wucht der Wellen schutzlos ausgeliefert.

Sandabbau an Land kann weniger zerstörerisch sein, wenn er effizient und umweltgerecht betrieben wird, aber das ist nicht immer der Fall.

"Wenn dabei die Grundwasserschicht angeschnitten wird, was meistens geschieht, dann ist da immer die Gefahr, dass Verunreinigungen ins Grundwasser kommen", sagte Till Hopf, Leiter Naturschutz und Landnutzung beim NABU. Das können Chemikalien sein, die beim Sandabbau freigesetzt werden oder biologische Verunreinigungen wie Bakterien, die im Oberflächenwasser normal sind, aber herausgefiltert werden, wenn dieses Wasser durch die verschiedenen Bodenschichten sickert.

Keine einfache Lösung

Es gibt keine Wunderwaffe, mit der sich das Problem lösen lässt, aber immerhin gibt es verschiedene Bestrebungen, um Alternativen zu finden.

Zwei deutsche Unternehmer experimentieren damit, Wüstensand für den Bau zu verwenden. Dessen Körner sind normalerweise durch den Wind zu glatt geschliffen, um ihn für Beton zu verwenden. Daher gehören die reichen Wüstenstaaten am Persischen Golf, die eigentlich über jede Menge Sand verfügen, zu den größten Sandimporteuren der Welt.

Die Lösung könnte die Kombination des glatten Wüstensands mit Kunstharz sein. Daraus wird ein Polymerbeton, der sogar haltbarer ist, als die konventionelle Variante.

Eine andere Möglichkeit ist Betonrecycling, aber damit das ökonomisch und ökologisch sinnvoll wird, muss es in der Nähe der neuen Baustelle genug alten Beton geben.

Die Bauindustrie verbraucht riesige Mengen Sand. Für einen einzigen Kilometer Autobahn braucht man 30.000 TonnenBild: picture-alliance/dpa/T. Eisenhuth

Auch der verstärkte Einsatz von Holz im Bau und effizientere Bergbaumethoden könnten helfen, den Sandverbrauch zu reduzieren. Bisher konzentrierten sich Minenbetreiber beim Abbau meist auf eine spezielle Korngröße und entsorgten den Rest. Aber der könnte oft ebenfalls im Bau verwendet werden, wodurch insgesamt weniger Sand abgebaut werden müsste.

Leider bietet keiner dieser Ansätze eine sofortige Lösung für dieses gigantische Problem. Die Situation wird zusätzlich dadurch erschwert, dass die gesamte Bauindustrie auf das Bauen mit Beton ausgerichtet ist. Architekten, Ingenieure und Bauunternehmen, sie alle wissen, wie man mit Beton arbeitet, und sie haben die Werkzeuge dafür. Das bremst tiefgreifende Innovation.

Diesbezüglich ist Beton - und damit Sand - sehr ähnlich wie Erdöl. Wir setzen ihn ein, um viele verschiedene Probleme zu lösen, für die es durchaus alternative Lösungen gäbe. Diese zu finden würde aber zusätzliche Anstrengungen bedeuten.

"Wir brauchen Sand, ohne geht's nicht", sagt Kessler. "Aber man kann schon schauen, dass man ökologisch arbeitet."