Kein Stromkabel zwischen Griechenland, Zypern und Israel?
12. September 2025
Tot - aber noch nicht begraben? Diese Frage stellt sich derzeit in Bezug auf das milliardenschwere Stromkabel-Projekt "Great Sea Interconnector" (GSI), das Griechenland mit Zypern und Israel verbinden soll. Es soll die Republik Zypern an das europäische Stromnetz anschließen und die Energie-Sicherheit der zwei EU-Mitglieder fördern. Doch obwohl der Startschuss zu dem Projekt schon im Oktober 2022 gefallen war und es bis Ende 2023 fertiggestellt sein sollte, ist derzeit unsicher, ob es je verwirklicht wird.
Denn der GSI ist teuer, technisch schwierig und steht vor gewaltigen geopolitischen Herausforderungen. Nun kommt auch noch der Verdacht auf Korruption hinzu. Dabei klang alles so vielversprechend, als Vertreter Griechenlands, Zyperns und Israels im Oktober 2022 mit einer feierlichen Zeremonie den Startschuss gaben: Ein 1208 Kilometer langes Stromkabel am Grund des Mittelmeers in mehr als zwei Kilometer Tiefe soll Israel mit Zypern und mit Griechenland verbinden.
Es wäre eine der tiefsten und längsten Unterseeverbindungen weltweit. Sie würde Zypern erstmals an das europäische Stromnetz anschließen und die EU mit den Energiemärkten Asiens verbinden. Zwei Milliarden Euro waren veranschlagt, mehr als 650 Millionen davon will die EU tragen.
Spannungen und unklare Seegrenzen
Doch ein Blick auf die Karte genügt, um zu verstehen, wie explosiv die Lage in der östlichen Mittelmeerregion ist. Syrien und Libyen sind instabile Länder, Israel führt Krieg im inzwischen fast vollständig zerstörten Gazastreifen und immer wieder auch im Libanon und in Syrien. Die Türkei ist im Moment mit Israel verfeindet, versucht aber ihre Beziehungen mit Ägypten zu verbessern. Die beiden NATO-Mitglieder Griechenland und Türkei stecken derzeit auch in der Krise. Zypern ist geteilt, der nördliche Teil der Insel von der Türkei besetzt. Es ist also schwierig, den nötigen Konsens für die Umsetzung von internationalen Großprojekten im östlichen Mittelmeer zu schaffen.
Darüber hinaus gibt es in dieser Region nicht überall eindeutige Seegrenzen und klar definierte wirtschaftliche Meereszonen. Griechenland hat kein Abkommen zur Abgrenzung von Seegebieten mit der Türkei und mit Libyen. Zypern hat ebenfalls kein Abkommen mit der Türkei, wird von Ankara nicht einmal als Staat anerkannt. Die Türkei hat 2019 ein Abkommen mit Libyen unterschrieben, das die Existenz Kretas und der Dodekanes-Inseln jedoch ignoriert. Diese Vereinbarung ist laut Griechenland "illegal" und wird auch von der EU nicht anerkannt. Ägypten hat seit 2020 eine Teilvereinbarung mit Griechenland, die aber wiederum das Gebiet des türkisch-libyschen Abkommens durchkreuzt.
Die Türkei will mitreden
Inmitten dieses Durcheinanders müssen die Tiefseemessungen für das Projekt GSI durchgeführt werden, damit irgendwann das Stromkabel verlegt werden kann. Es soll in einem ersten Schritt Kreta und Zypern miteinander verbinden. Die Insel Kreta wurde im Mai dieses Jahres mit einem Kabel an das griechische Netz angeschlossen. Die Verbindung mit Israel soll später folgen.
Im Sommer 2024 verhinderte die Türkei die Messungen vor der Küste der Insel Kasos, indem sie Kriegsschiffe schickte. Sie war der Ansicht, dass sie gefragt werden müsse. Griechenland weist dies zurück und vertritt die Meinung, dass nach internationalem Recht keine Genehmigung der Türkei erforderlich ist, um das Stromkabel-Projekt umzusetzen. Denn auf dem Meeresgrund soll nicht gegraben, sondern einfach ein Kabel ausgelegt werden. Ankara jedoch besteht darauf, dass in seiner Nachbarschaft nichts ohne seine Zustimmung geschehen darf. Bislang mit Erfolg, denn seit Sommer 2024 sind die Untersuchungen zur Verlegung des Kabels nicht vorangekommen.
Zypern hat Einwände
Die großen Verzögerungen bei der Umsetzung des Projekts GSI sind jedoch nicht nur auf den Unmut Ankaras zurückzuführen. Auch die Regierung in Nikosia hat plötzlich Bedenken. Zypern hält das Projekt inzwischen für zu teuer und unrentabel. Der zyprische Finanzminister Makis Keravnos erklärte in einem Interview mit der Zeitung Kathimerini Cyprus am 2.09.2025: "Ich habe zwei Studien von unabhängigen und seriösen Organisationen vorliegen, die zu dem Schluss kommen, dass dieses Projekt unter den gegebenen Bedingungen nicht tragfähig ist." Er stellte den zyprischen Beitrag zur Finanzierung in Frage.
Seine Äußerungen schlugen in der griechischen Hauptstadt Athen ein wie ein Blitz. Der griechische Außenminister Giorgos Gerapetritis, der immer wieder betont, dass "das Projekt umgesetzt wird", versuchte zwar zunächst, die zyprische "Bombe", wie die Presse schrieb, zu ignorieren. Doch dann ging er in die Offensive und warf Nikosia nicht näher benannte wirtschaftliche Interessen vor. Die zyprische Regierung wolle die Energieverbindung zwischen Zypern und Griechenland nicht, um ihre beherrschende Position auf dem zyprischen Energiemarkt zu behalten.
Mitsotakis hält an Projekt fest
Premierminister Kyriakos Mitsotakis sagte bei seiner jährlichen Pressekonferenz im Rahmen der Thessaloniki International Fair (TIF), dass es einer konkreten Verpflichtung seitens Zyperns bedürfe, um das Projekt voranzubringen.
Mitsotakis beschrieb den GSI als ein sehr wichtiges Energie-Projekt, von dem in erster Linie Zypern profitieren werde, das nach wie vor energieisoliert sei. Die Europäische Union habe die strategische Bedeutung des Projekts anerkannt und eine großzügige Finanzhilfe von über 650 Millionen Euro bewilligt, um die Einbindung Zyperns in das europäische Energiesystem sicherzustellen.
Eine konkrete Antwort kam aus Nikosia nicht. Der Präsident Zyperns, Nikos Christodoulides, sei sich mit Mitsotakis über die Notwendigkeit der Umsetzung dieses Projekts einig, das auch von europäischem Interesse sei. Aber eine feste Zusage, dass Zypern die erforderlichen 25 Millionen Euro pro Jahr an ADMIE, das Unternehmen, das mit der Durchführung des Projekts beauftragt wurde, überweisen wird, gab Christodoulides nicht.
EU Verfahren gegen GSI
Die Umsetzung des Projekts ist also in der Schwebe: wegen der Drohungen aus Ankara, wegen der Einwände aus Nikosia aber auch wegen Ermittlungen der Europäischen Staatsanwaltschaft. Wie Präsident Christodoulides am 3.09.2025 bekanntgab, hat die europäische Chefanklägerin Laura Codruta Kövesi ein Verfahren zur Untersuchung möglicher Straftaten im Zusammenhang mit dem GSI-Projekt eröffnet.
Die Ermittler untersuchen zunächst den Zeitraum vor dem Verkauf des Projekts an den öffentlichen griechischen Stromnetzbetreiber ADMIE durch das zyprische Privatunternehmen EuroAsia Interconnector. Dieses Unternehmen, das das Projekt ins Leben gerufen hatte, verfügte nicht über das erforderliche Fachwissen, wurde jedoch von der Republik Zypern und der Europäischen Kommission unterstützt und finanziert.
Wenige Monate nach ihrem Einstieg in das Projekt drängte die Generaldirektion Energie der EU auf den Rückzug des Eigentümers von EuroAsia Interconnector, da dieser keinen Zugang zu Krediten in Millionenhöhe finden konnte. So kam der griechische Betreiber ADMIE ins Spiel, der das Projekt 2023 für rund 48 Millionen Euro von EuroAsia Interconnector kaufte.
Im Fadenkreuz der EU-Ermittler sind mindestens eine hochgestellte politische Person, deren Familienangehörige, ein Funktionär der EU-Kommission und zyprische Regierungsbeamte.