Russland Putin Wahlprogramm
12. Januar 2012"Man sollte das, was Putin verspricht, entweder sehr vorsichtig oder mit Humor nehmen", sagt Lilija Schewzowa, leitende Politik-Expertin des Carnegie-Zentrums in Moskau. Der russische Premierminister und Präsidentschaftsanwärter sei ein Pragmatiker, der versuche, "keine Akzente zu setzen und jegliche Verantwortung für seine Entscheidungen zu vermeiden". Sein Wahlprogramm werde "genauso ein Blatt Papier bleiben wie die vorherigen", sagt Schewzowa.
Wenig schmeichelhaft fallen auch die Meinungen ihrer Kollegen sowohl in Russland als auch im Ausland aus. "Nichts Neues", "Lippenbekenntnisse", "Stillstand" - so lauten die Urteile über das Programm des wohl aussichtsreichsten Kandidaten bei der Präsidentenwahl am 4. März. Das Dokument trägt den schlichten Titel "Wladimir Putin 2012" und ist seit Donnerstag (12.01.2012) auf einer extra eingerichteten Internetseite zu lesen.
Ein Grundsatzpapier der Kreml-Partei
In sechs Kapiteln wird Bilanz der vorherigen Amtszeiten gezogen und ein Blick auf die angestrebte Rückkehr Putins in den Kreml geworfen. "Die politische Stabilität hat eine Periode des Wirtschaftswachstums gewährleistet", heißt es in dem Papier. Die Zahl der Russen, die unter der Armutsgrenze leben, habe sich halbiert. Gehälter und Renten seien gewachsen, die Arbeitslosigkeit gesunken und die Geburtenrate zwischen seit 2000 um 40 Prozent gestiegen.
Genau so soll es weiter gehen, so die Botschaft des Programms, in dem der Fokus auf soziale Leistungen gelegt wird. Es gibt viele allgemeine Sätze wie "Russland wird ein Land, in dem man bequem leben und seine Kinder und Enkel großziehen kann". Konkrete Versprechungen sind dagegen selten. Das Papier wurde laut Putins Pressesprecher von der Kreml-Partei "Geeintes Russland" entwickelt, die den Premierminister als Präsidentschaftskandidaten nominiert hat. Das "eigentliche Programm", an dem Putin persönlich arbeiten soll, werde später veröffentlicht.
Es fällt auf, dass der Name "Geeintes Russland" im dem Wahlpapier an keiner Stelle auftaucht. Stattdessen wird auf die so genannte "Gesamtrussische Volksfront", eine im vergangenen Jahr gegründete gesellschaftliche Vereinigung verwiesen. Damit versuche Putin, sich von der Kreml-Partei zu distanzieren, mutmaßen Beobachter in Moskau. "Geeintes Russland" musste bei der Parlamentswahl im Dezember 2011 massive Stimmverluste hinnehmen und sah sich auch mit Fälschungsvorwürfen konfrontiert.
Experten: Putin hat nicht verstanden
Auf diese Fälschungsvorwürfe, die zu Massenprotesten in Moskau und anderen russischen Städten geführt hatten, wird in Putins Wahlprogramm nicht eingegangen. "Die Proteste haben ihn überrascht und verunsichern ihn offenbar", meint Eberhard Schneider, Experte des Brüssler Zentrums "EU-Russland". Putin wisse nicht, wie er auf die Proteste reagieren soll. Im Text des Wahlprogramms gebe es nur eine Stelle, die als eine indirekte Reaktion auf die jüngsten politischen Ereignisse in Russland interpretiert werden könne. Der Text kritisiere übertriebene Repressionsmaßnahmen der Sicherheitskräfte, sagt Schneider. Die beiden großen Kundgebungen "Für faire Wahlen" im Dezember in Moskau sind allerdings friedlich verlaufen. Ob man in Russland auch künftig an Demonstrationen teilnehmen kann, ohne von der Polizei verprügelt zu werden, sei aber noch nicht klar, sagt Schneider.
Auch Alexander Rahr, Leiter des Berthold-Beitz-Zentrums der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin, vermisst eine wichtige Botschaft im Putin-Programm. Putin habe offenbar noch nicht verstanden, dass Russland sich verändert hat und eine starke Mittelschicht mehr politische Freiheiten fordert. "Ich glaube, es fehlt kein Lippenbekenntnis, sondern ein ganz eindeutiges strategisches Bekenntnis dazu, dass Russland Richtung Demokratie geht", sagt Rahr. Er verweist aber darauf, dass sich ein Großteil der Russen offenbar noch immer mehr für soziale Fragen und Wohlstand und weniger für demokratische Freiheiten interessiere. Aus dieser Sicht sei Putins Programm zumindest teilweise nachvollziehbar, meint Rahr.
Mehr Fragen als Antworten
Lilija Schewzowa vom Carnegie-Zentrum in Moskau jedenfalls glaubt nicht daran, dass Putin seine Ziele erreichen kann. Nachdem sie das Programmpapier im Internet gelesen hat, seien bei ihr mehr Fragen als Antworten geblieben, so die Expertin. "Wie kann Putin das schaffen, was er in den vergangenen zwölf Jahren nicht geschafft hat?" fragt Schewzowa. "Wie kann man Aufgaben lösen und in erster Linie die Korruption bekämpfen, wenn es in Russland keine unabhängigen Gerichte und keine Rechtsstaatlichkeit gibt?"
Autor: Roman Goncharenko
Redaktion: Bernd Johann