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Keine Anklagen nach tödlicher Ahrtal-Flut

18. April 2024

Fast drei Jahre nach der verheerenden Flutwelle im Ahrtal hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen einen ehemaligen Landrat und einen Krisenstabmitarbeiter eingestellt.

Nach dem Unwetter in Rheinland-Pfalz
Bild: Thomas Frey/picture alliance/dpa

Es habe sich kein hinreichender Tatverdacht gegen den ehemaligen Landrat Jürgen Pföhler und einen Mitarbeiter aus dem Krisenstab ergeben, sagte der Leiter der Staatsanwaltschaft Koblenz, Mario Mannweiler. Hintergrund der Ermittlungen war, dass der Vorwurf im Raum stand, der Landkreis Ahrweiler mit Pföhler an der Spitze habe womöglich zu spät vor der Flutkatastrophe im Juli 2021 im Ahrtal gewarnt.

Mario Mannweiler, Leitender Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft KoblenzBild: Thomas Frey/dpa/picture alliance

Die Staatsanwaltschaft ermittelte mehr als zweieinhalb Jahre wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung in 135 Fällen und der fahrlässigen Körperverletzung im Amt durch Unterlassen. Pföhler hatte die Vorwürfe stets zurückgewiesen. Auch der Mitarbeiter hatte zuvor über seinen Anwalt bestritten, sich strafbar gemacht zu haben.

Bei der Flutkatastrophe waren in Rheinland-Pfalz 136 Menschen gestorben, davon 135 in der Ahr-Region und eine Person im Raum Trier. Tausende Häuser wurden zerstört, Straßen und Brücken weggespült. Ein Mensch gilt zudem weiterhin als vermisst. Mehr als 30 weitere Tote gab es in überfluteten Regionen im benachbarten Bundesland Nordrhein-Westfalen.

Ereignis jenseits der Vorstellungskraft

Die Staatsanwaltschaft kam zu dem Schluss, dass es sich um eine außergewöhnliche Naturkatastrophe gehandelt habe, deren extremes Ausmaß für die Verantwortlichen des Landkreises Ahrweiler nicht konkret vorhersehbar gewesen sei. "Ein vergleichbares Hochwasser hat es in menschenerdenklicher Zeit an der Ahr noch nicht gegeben", betonte Mannweiler. Die Flut sei für Anwohner, Betroffene und Einsatzkräfte sowie Einsatzverantwortliche unvorstellbar gewesen.

Zerstörte Häuser im Ort Schuld im Ahrtal nach der Flut von 2021 (Archiv)Bild: Thomas Frey/dpa/picture alliance

Zwar sei der Katastrophenschutz im Landkreis Ahrweiler unzureichend organisiert gewesen, und das Führungssystem des Katastrophenschutzes habe eine ganze Reihe von Mängeln aufgewiesen. "Die Verantwortung dafür trägt in erster Linie der politisch und administrativ gesamtverantwortliche ehemalige Landrat", sagte Mannweiler. Diese "durchaus beachtlichen Mängel", die ein Gutachter festgestellt habe, begründeten aus Sicht der Staatsanwaltschaft aber keine Strafbarkeit.

Kein Urteil über Charakter oder Pflichterfüllung

"Uns ist bewusst, dass die Ahrflut unsägliches Leid über die Menschen im Ahrtal gebracht hat. Wir wissen, wie viel Trauer und Erschütterung die Katastrophe ausgelöst hat und wie viele traumatisiert zurückgeblieben sind", sagte der Leitende Oberstaatsanwalt und sprach den Hinterbliebenen und Opfern der Flutkatastrophe sein tiefes Mitgefühl aus. Dennoch sei es bei den Ermittlungen um eine rein strafrechtliche Aufarbeitung gegangen.

"Es geht um die individuelle Schuld des Einzelnen. Wir haben nicht die Aufgabe, eine Naturkatastrophe als solche aufzuarbeiten, auch nicht das Katastrophenschutzsystem in seiner Gesamtheit", erläuterte Mannweiler. Ebenso wenig habe die Staatsanwaltschaft nicht darüber zu befinden, ob im vorliegenden Fall jemand charakterlich versagt habe. Es sei auch nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft, politische Verantwortung zu bewerten oder ein moralisches Werturteil zu fällen.

Riesige Datenmengen ausgewertet

Die Ermittlungen hätten sich auch wegen der bisher nicht gekannten Dimension lange hingezogen, betonte der Leiter des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz, Mario Germano. Zudem seien die im Zuge der Ermittlungen befragten Menschen zum Teil stark traumatisiert gewesen. Mehr als 300 Zeugen wurden demnach vernommen. Dabei habe es sich vor allem um Mitarbeiter von Feuerwehren und Kommunen oder um Betroffene der Flut gehandelt, sagte Germano.

Mario Germano, Leiter des rheinland-pfälzischen LandeskriminalamtesBild: Thomas Frey/dpa/picture alliance

Das Gros der Vernehmungen sei bis zum Frühjahr 2022 abgeschlossen gewesen. Mehr als 20 Terabyte an digitalen Daten seien gesichert und ausgewertet worden, mehr als 300 Gigabyte seien potenziell verfahrensrelevant gewesen. Es habe außerdem viele Durchsuchungen gegeben, umfangreiches Schriftgut und digitale Beweismittel wurde sichergestellt. Für den Zeitraum der Flut vom 14. bis 15. Juli seien bei Leitstellen der Feuerwehr und Polizei 15.500 Notrufe gesichert worden, davon waren 6200 für das Ermittlungsverfahren von Interesse. Hierbei seien alle Notrufe im Fokus gewesen, die unmittelbar mit dem Flutgeschehen in Verbindung standen, sagte Germano.

mak/gri (afp, dpa)

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