1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Keine baldige Rückkehr der Rohingya

24. Dezember 2018

Mehr als 700.000 Rohingya-Flüchtlinge sitzen in Flüchtlingslagern an der Grenze zwischen Bangladesch und Myanmar fest. Die viel diskutierte Repatriierung ist aktuell nicht möglich. Welche Optionen bleiben für 2019?

Rohingya Flüchtlingslager
Bild: Getty Images/P. Bronstein

Mehr als ein Jahr Mangel, Enge und Ungewissheit. So weit das Auge reicht, reihen sich Notunterkünfte aus Bambus, Plastikplanen und Blättern über das hügelige Land im weltgrößten Flüchtlingslager Kutupalong in Cox's Bazar. 500.000 Menschen, fast alle Rohingya, haben allein hier Zuflucht gefunden. Im August 2017 hatte die Armee Myanmars Dörfer der Rohingya in Brand gesteckt und Hunderte Zivilisten getötet, nachdem muslimische Aufständische der "Arakan Rohingya Salvation Army" (ARSA) Polizei- und Militärposten angegriffen hatten. 

Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks sind insgesamt etwa 700.000 Rohingya über die Grenze nach Bangladesch geflohen. Dort hielten sich bereits 300.000 Rohingya-Angehörige auf, die teilweise schon vor Jahrzehnten nach Bangladesch geflohen waren. Die Neuankömmlinge berichteten von Gräueltaten: Vertreibung, Mord und Vergewaltigung. Die Vereinten Nationen sprachen von "ethnischen Säuberungen". Die Regierung Myanmars leugnet die Gräueltaten bis heute. Eine unabhängige Untersuchung vor Ort unter Einbeziehung aller Seiten des Konflikts hat es bis heute nicht gegeben.

"Wir sind vor einem Jahr und vier Monaten hierher gekommen. Wir wollen hier nicht für immer leben, aber wir sind dankbar, dass Bangladesch uns Zuflucht gewährt hat. (Moulovi Abdul Mannan war vor der Flucht ein Arabischlehrer an einer Madrassa in Maungdaw).Bild: DW/Abdul Aziz

Notlage ohne Aussicht auf Besserung

Fast 500 Tage sind seit Beginn der Krise vergangen. Die meisten Flüchtlinge kamen zwischen September und Dezember 2017. Sie sind also seit mindestens einem Jahr in den Lagern und versuchen, ihr Leben so gut es eben geht zu organisieren. Jennifer Bose von der Hilfsorganisation Care International, die in Kutupalong tagtäglich 11.000 Flüchtlinge versorgt, sagte der Deutschen Welle: "Die Lage ist zwar nicht mehr ganz so chaotisch wie Anfang 2018, aber sie ist immer noch katastrophal. Die Menschen brauchen noch immer alles. Es ist nach wie vor eine Nothilfesituation." Hilfsorganisationen versorgen die Menschen mit dem Nötigsten: Essen, Unterkunft, medizinische und psychologische Grundversorgung. Mehr ist kaum möglich, wie Bose sagt: "Die Masse an Menschen übersteigt die Kapazitäten von vielen Hilfsorganisationen."

"Wir sind nach Bangladesch geflohen, da uns ein buddhistischer Mob und das Militär Myanmars gefoltert haben. Sie haben unsere Kinder getötet. Sie töteten meine Eltern und meinen Ehemann. Ich will Gerechtigkeit. Ich will zurück nach Myanmar. Aber nur, wenn sie mich respektieren." (Gol Baher lebte zuvor in Maungdaw).Bild: DW/Abdul Aziz

Fast alles, was momentan in den Lagern getan wird, hat den Charakter einer temporären Lösung. "Es handelt sich um eine Transitsituation, in der niemand genau weiß, was mit den Flüchtlingen passiert und wo sie hinkommen. Ob sie zum Beispiel in Cox's Bazar bleiben oder innerhalb Bangladeschs umgesiedelt werden oder zurück nach Myanmar gehen", sagt Bose.

Gewollte Ungewissheit

Diese Ungewissheit ist kein Zufall. Sie ergibt sich aus den politischen Verhältnissen, wie Francis Wade, der in seinem Buch "The Enemy Within" die antimuslimischen Unruhen in Myanmar von 2012 beschrieben hat, im Interview mit der DW erklärt. Die Rohingya sind erstens staatenlos, weshalb sich keine Regierung für sie zuständig fühlt. Sie sind zweitens in ein bereits dicht besiedeltes, von Armut und Ressourcenknappheit betroffenes Gebiet geflohen.

Die Regierung Bangladeschs hat die Rohingya deswegen in Lagern untergebracht und hält sie von der Bevölkerung weitgehend getrennt. Das Provisorium wird aufrechterhalten, denn die Regierung will keine Integration, wie Wade sagt: "Sie will erstens verhindern, dass die Massenintegration bereits vorhandene kommunale Spannungen noch verschärft und zweitens gibt es keine Erfahrungswerte, wie fast eine Million Flüchtlinge in die Gesellschaft integriert werden können." Auch habe die Regierung berechtigte Sorge vor einer Radikalisierung, sagt Francis Wade: "Ich verstehe, warum die Regierung die Flüchtlinge in Lagern zusammenführt, aber das kann natürlich keine langfristige Lösung sein, denn die Menschen sind dort im Grunde eingesperrt."

"Ich hoffe, die internationale Staatengemeinschaft wird uns helfen, nach Myanmar zurückzukehren, indem sie für Gerechtigkeit sorgt. Wenn Myanmar uns als Staatsbürger akzeptiert und uns wie alle anderen 136 ethnischen Minderheiten anerkennt, werden wir zurückgehen." (Samsul Alam war ein Rohingya-Anführer in Maungdaw).Bild: DW/Abdul Aziz

Repatriierung nur Feigenblatt

In diesem Zusammenhang sind auch die anhaltenden Gespräche über eine Repatriierung zu deuten, an die niemand, der sich mit der Lage auskennt, ernsthaft glaubt. Die Rohingya wollen zwar grundsätzlich zurück, aber nur, wenn sie Staatsbürgerschaft erhalten und der "Gerechtigkeit genüge getan wurde" - was auch immer das im Einzelnen bedeutet -, wie viele der Flüchtlinge gegenüber der DW bestätigten. Myanmar wiederum hat zwar Lager zur Aufnahme der Flüchtlinge gebaut, die Vorbedingungen für eine sichere Rückkehr sind aber nicht gegeben. Die Stimmung im nördlichen Rakhine-Staat, so Wade, sei so vergiftet, dass eine sichere Rückkehr auf absehbare Zeit ausgeschlossen ist. "Es gibt in Myanmar keine Anstrengungen von den Sicherheitsbehörden oder sonst einer politischen oder religiösen Autorität, um zukünftiger Gewalt vorzubeugen oder die tiefergehenden strukturellen Probleme anzupacken."

"Wir wurden gefoltert. Sie müssen uns als Rohingya anerkennen. Wenn wir unsere Rechte zurückbekommen, kehren wir sofort nach Myanmar zurück. Die UN sollte eine Friedensmission nach Myanmar schicken. Das ist mein Wunsch für das neue Jahr." (Johura Bagum war eine Bewohnerin Maungdaws).Bild: DW/Abdul Aziz

Endstation Bangladesch

Aus Wades Sicht gibt es also keine Alternative: "Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Rohingya in Bangladesch bleiben werden. Das Beste wäre, wenn die Regierung in Bangladesch sie weiter beherbergt, und zwar mit Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen und der UN, bis sich eine bessere Lösung abzeichnet. Wann es dazu kommt, kann ich nicht abschätzen und ich glaube, dass kann niemand."

Jennifer Bose, die für eine internationale Hilfsorganisation arbeitet, geht ebenfalls davon aus, dass die Rohingya noch lange Hilfe benötigen werden - und zwar in Bangladesch. Niemand fühle sich für die staatenlosen Rohingya zuständig. "Es ist eine Art makabres Ping-Pong-Spiel zwischen den Regierungen, und zwar nicht nur in Bangladesch und Myanmar, sondern in der ganzen Region." Care hat bereits für das gesamte Jahr 2019 geplant und zu Spenden aufgerufen.

Bose weist auch darauf hin, dass es unter diesen Bedingungen notwendig wäre, Strukturen zu schaffen, um zumindest kleinere Jobangebote oder eine grundlegende Bildung zu ermöglichen. Doch unter den gegebenen Umständen erscheint das schwierig. Das Provisorium bleibt. Doch das bedeutet auch: "Für die Kinder im Lager ist jeder weitere Tag ohne Schule ein verlorener Tag."

"Wir sind nicht nach Bangladesch gekommen, um hier dauerhaft zu leben. Wir wollen Gerechtigkeit. Wenn wir Gerechtigkeit haben, gehen wir zurück nach Myanmar. Das ist mein Wunsch für das kommende Jahr." (Mohammad Taher war ein Rohingya-Anführer in Maungdaw).Bild: DW/Abdul Aziz

Unter Mitarbeit von Abdul Aziz und Arafatul Islam.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen