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Keine Gerechtigkeit für Gezi-Opfer

Kursat Akyol / wo31. Mai 2016

Elf Tote und Tausende Verletzte: Die Gezi-Proteste erschütterten vor drei Jahren die Türkei. Während fünf Mordverdächtige vor Gericht stehen, gibt es Kritik am angeblich voreingenommenen Verfahren.

Türkische Regierungsgegner erinnern an Gezi-Proteste
Bild: Reuters/M. Sezer

Hakan Yaman erinnert sich noch gut daran, was mit ihm auf dem Höhepunkt der regierungskritischen Proteste in der Türkei vor drei Jahren geschah. "Am Abend des 3. Juni 2013 ging ich gegen 22 Uhr nach Hause. So wie überall in Istanbul und der Türkei gab es zu dieser Zeit auch in meiner Nachbarschaft Proteste. Die Polizei griff gegen Demonstranten durch. Ich wurde von einem Tränengasgeschoss getroffen, fiel zu Boden, und eine Gruppe von Polizisten rannte über mich. In diesem Moment fiel ich ihn Ohmacht. Kurz vor der Bewusstlosigkeit konnte ich fühlen, wie mein Kopf von einem harten Gegenstand getroffen wurde. Er blieb in meinem Auge stecken. Danach schleiften sie mich über den Boden und warfen mich in ein Feuer", erzählt der 40-Jährige.

Die Proteste hatten im Istanbuler Gezi-Park begonnen und sich auf das ganze Land ausgeweitet. Millionen Menschen beteiligten sich daran. Yaman war laut eigener Darstellung in dieser Nacht nicht unter den Demonstranten, sondern wollte einfach nur nach Hause. Auch drei Jahre später ist er noch immer in medizinischer Behandlung.

Hakan Yaman verlor sein linkes AugeBild: DW/K. Akyol

"Auf dem linken Auge sehe ich gar nichts mehr. Meine Nase war gebrochen. Ich habe keine Wangenknochen mehr, und mein Kinn war gebrochen. Es gab keinen Knochen auf der linken Gesichtshälfte, der nicht gebrochen war. Innerhalb von drei Jahren habe ich mich neun verschiedenen Operationen unterzogen. Dort wurden mir an fünf Stellen des Körpers Knochen entnommen, um mein Gesicht zu stabilisieren", berichtet Yaman.

Proteste schlugen in Gewalt um

Die Proteste begannen am 27. Mai 2013 und richteten sich ursprünglich gegen die Fällung von Bäumen im Gezi-Park, um Platz für den Bau eines Einkaufzentrums zu schaffen. Eine Gruppe von 50 Menschen schlug Zelte auf, um die Arbeiten zu verhindern. Nachdem die Polizei am Morgen des 31. Mai in das Camp eingedrungen war, marschierten Zehntausende Menschen zum Taksim-Platz - und die Proteste weiteten sich rasend schnell auf die gesamte Türkei aus.

An diesem Tag war auch der 37-jährige Volkan Kesanbilici unter den Zehntausenden, die zum Platz wollten. Er kam bis zum Tarlabasi-Boulevard, der zum Taksim-Platz führt. Kesanbilici verlor ein Auge durch eine Plastikkugel, die von einem Polizeiauto aus abgeschossen wurde.

Volkan Kesanbilici wurde von einer Plastikkugel getroffenBild: DW/K. Akyol

"In diesem Moment kam mir mein zweieinhalbjähriger Sohn in den Sinn. Ich dachte, ich sei von einem Tränengasgeschoss getroffen worden. Mit meinen Händen konnte ich fühlen, wie mein Gesicht auseinandergerissen worden war. Ich dachte: 'Wie wird mein Sohn in dieses Gesicht schauen?'", sagt Kesanbilic.

2,5 Millionen Menschen gingen auf die Straße

Laut Zahlen des Innenministers weiteten sich die Proteste auf alle 81 Provinzen mit Ausnahme von Bingol und Bayburt aus. Offizielle Angaben deuten darauf hin, dass 2,5 Millionen Menschen in der Türkei auf die Straße gingen.

Am 1. Juni, vier Tage nach dem Beginn der Proteste, besetzten Zehntausende Menschen den Taksim-Platz und den Gezi-Park. Am selben Tag und mit der gleichen Absicht stiegen der 23 Jahre alte Student Okan Gocer und ein paar Freunde in der Stadt Gebze, 65 Kilometer von Istanbul entfernt, in ein Auto. Ein paar Kilometer, bevor sie den Gezi-Park erreichten, blockierte die Polizei die Straßen, so dass sie ihr Auto abstellen mussten.

"Wir waren an vorderster Front. Hinter uns waren Tausende oder Zehntausende Menschen. Alle versuchten, vorwärts zu kommen. Doch die Polizei stoppte uns mit Tränengas. In dem Moment warnte ich meine Freunde, dass die Polizei auf uns ziele. Wir hatten keine Chance zu entkommen", erinnert sich Gocer.

Okan Gocer Freunde war in einer Wolke von Tränengas gefangenBild: DW/K. Akyol

Elf Menschen starben

Laut einem Bericht mehrerer Menschenrechtsgruppen starben während der Proteste elf Menschen. Über 8.000 Personen wurden verletzt, 43 von ihnen schwer. Dem türkischen Innenministerium zufolge wurden fast 4.000 Demonstranten und mehr als 600 Polizisten verletzt.

Bisher stehen nur fünf Tatverdächtige wegen Mordes vor Gericht. Weitere Ermittlungen nach möglichen Verdächtigen in den Fällen von Yaman, Kesanbilic und Gocer endeten ohne Anklagen. Nach Einschätzung von Yamans Rechtsanwalt Elif Eylem Dedeoglu übte die Regierung Druck auf die Gerichte aus. Auch seien die Ermittlungen so lange wie möglich hinausgezögert worden. Ein weiteres Hindernis: Es gab keinen Zugang zu den Bildern, die von eingesetzten Wasserwerfern aus gemacht worden waren. Experten hätten zudem beschlossen, dass Aufnahmen, die im Internet veröffentlicht wurden, nicht ausreichten, um die Schuldigen zu bestimmen.

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