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PolitikNahost

Keine Gerechtigkeit für Jamal Khashoggi

Diana Hodali
18. November 2022

Vieles deutet darauf hin, dass Saudi-Arabiens Mohammed bin Salman in den Mord am Journalisten Khashoggi involviert war, ein US-Gericht wollte das prüfen. Doch die Biden-Regierung hat dem Kronprinz nun Immunität gewährt.

Porträtaufnahme von Mohammed bin Salman, Juli 2022
Mohammed bin Salman hat sich zum Ministerpräsidenten ernennen lassen, um Immunität zu erlangen, und die USA haben ihm diese jetzt gewährt Bild: Bertrand Guay/AFP/Getty Images

Es ist offenbar ein kluger Schachzug gewesen, als per königlichem Dekret festgelegt wurde, dass der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman (MBS) auch noch den Posten des Ministerpräsidenten von seinem Vater übernehmen soll. Denn Saudi-Arabiens Kronprinz sah sich seit dieser Ernennung Ende September vor einer möglichen Strafverfolgung in den USA geschützt.

Nach dem Mord an dem saudischen Dissidenten und Journalisten Jamal Khashoggi am 2. Oktober 2018 hatte dessen Verlobte Hatice Cengiz 2020 gemeinsam mit der von Khashoggi gegründeten Menschenrechtsorganisation Democracy for the Arab World Now (Dawn) in den USA Klage gegen MBS und andere eingereicht, denen sie eine Beteiligung an der Tötung des Reporters vorwirft. Die Klageführer machen auch persönliche Ansprüche geltend: Cengiz habe einen persönlichen Schaden sowie finanzielle Verluste durch den Mord an ihrem Verlobten davongetragen.

Khashoggi wurde am 2. Oktober 2018 in Istanbul im saudischen Konsulat ermordertBild: picture-alliance/AP Photo/L. Pitarakis

Bin Salman erhält Immunität als Staatsmann

Bin Salmans Anwälte argumentierten, die Ernennung zum Ministerpräsidenten sichere dem Kronprinzen Immunität zu. Sie sollten Recht behalten: Die US-Regierung von Präsident Joe Biden hat dem saudischen Kronprinzen als ausländischem Staatsmann tatsächlich Schutz vor Strafverfolgung gewährt und so das anhängige Zivilverfahren an einem US-Gericht gegen ihn verhindert, wie mehrere US-Medien berichten.

Sie zitieren aus einem entsprechenden Erlass des US-Justizministerium, in dem die US-Regierung ihre große Besorgnis über den schrecklichen Mord an Jamal Khashoggi äußert. Diese habe man auch gegenüber den höchsten Regierungsebenen in Saudi-Arabien zum Ausdruck gebracht. Allerdings gelte für Salman nun "die Doktrin der Immunität von Staatsoberhäuptern". Das Verfahren in den USA im Zusammenhang mit dem Khashoggi-Mord war demnach wohl der letzte Versuch, Salman doch noch für die Tat zur Rechenschaft zu ziehen.

2020 hatte Saudi-Arabien fünf der mutmaßlichen saudischen Mörder vor Gericht gestellt und ursprünglich zum Tode verurteilt. Die Strafen wurden schließlich in 20 Jahre Haft umgewandelt. Unterschiedlichen Berichten zufolge sollen die Verurteilten aber in einem Luxuskomplex in der Nähe von Riad leben. Der stellvertretende saudi-arabische Geheimdienstchef Ahmed al-Asiri und der ehemalige Berater des Kronprinzen, Saud al-Kahtani, wurden nicht belangt.

Hoffnung von Hatice Cengiz erfüllt sich nicht

Als die Türkei im Frühjahr 2022 das Verfahren gegen 26 saudische Angeklagte an Riad überstellte, war eine weitere Chance auf Gerechtigkeit geschwunden. Hatice Cengiz hatte immer daran glaubt, dass Rechte so lange nicht verloren sind, solange sie jemand einfordert. "Wenn ein Land unschuldige Menschen tötet, muss man es verurteilen", sagte die 40-jährige Journalistin und Nahost-Expertin erst kürzlichbei ihrer zweiten sogenannten Helmut-Schmidt-Lecture in Berlin. Cengiz hatte ihre Hoffnung daher auf die eingereichte Zivilklage in den USA gelegt - auch wenn sie wusste, dass Realpolitik bedeutet, dass in einer Welt in Aufruhr Geächtete wieder zu Partnern werden können.

Eckart Woertz, Direktor des Hamburger GIGA Instituts für Nahost-Studien, ist nie davon ausgegangen, dass der Mord an Khashoggi jemals wirklich vollständig aufgearbeitet wird. "Ich glaube, die Vorstellung, dass MBS in den USA vor Gericht kommt und verurteilt wird, war schon immer unrealistisch", sagt Woertz im Gespräch mit der DW.

Angespanntes Verhältnis zwischen Saudi-Arabien und USA

Das derzeitige Verhältnis zwischen Saudi-Arabien und den USA ist von Höhen und Tiefen geprägt. Bevor Biden das Amt des US-Präsidenten übernahm, hatte er angekündigt, Saudi-Arabien wegen der Ermordung Khashoggis wie einen "Paria-Staat" zu behandeln. Erst im Juli hatten der US-Präsident und Kronprinz bin Salman ihrer Feindschaft angesichts der weltweiten Energiekrise abgeschworen und eine neue Ära der Zusammenarbeit eingeläutet.

Die Straße vor der saudischen Botschaft in Washington D.C. wurde im Juni 2020 in Jamal Khashoggi Straße umbenannt - ein symbolischer AktBild: Ken Cedeno/UPI Photo/IMAGO

Jetzt herrscht in den USA aber wieder massive Verärgerung über das Königreich. Grund ist die Entscheidung der OPEC plus, ab November täglich zwei Millionen Barrel weniger Öl zu fördern. Saudi-Arabien und Russland gelten als die führenden Kräfte in dem Ölverbund. Die Regierung Biden wertete diesen Schritt als direkte Unterstützung Russlands im Ukraine-Krieg. Denn die dadurch steigenden Öl-Preise bringen Moskau mehr Geld ein.

Khashoggi: ermordet, zerstückelt und weggeschafft

Dennoch: Biden nehme eine realpolitische Haltung ein, so Woertz. "Saudi-Arabien und die USA haben gemeinsame Interessen - gegenüber dem Iran zum Beispiel." Die Vereinigten Staaten machen zudem weiterhin Geschäfte mit dem Königreich und liefern Waffen.

Jamal Khashoggi besaß früher enge Beziehungen zum saudischen Königshaus. Über die Jahre wurde er allerdings immer kritischer gegenüber der Politik der Regierung und insbesondere gegenüber Mohammed bin Salman. Schließlich zog Khashoggi 2017 nach Washington D.C.. Am 2. Oktober 2018 wurde er im saudischen Konsulat in Istanbul ermordet. Er hatte dort einen Termin zur Vorbereitung der Hochzeit mit seiner Verlobten, Hatice Cengiz, die türkische Staatsbürgerin ist. Nach offiziellen Angaben aus der Türkei und den USA wartete in der Vertretung ein 15-köpfiges Kommando aus Saudi-Arabien, ermordete ihn, zerstückelte seine Leiche und ließ die Überreste spurlos verschwinden.

Nach Bidens Amtsübernahme veröffentlichte die Regierung einen CIA-Geheimdienstbericht, wonach der saudi-arabische Kronprinz Khashoggis Ermordung abgesegnet haben soll. Auch ein UN-Bericht zeigt auf, dass die saudische Führung für die Ermordung verantwortlich ist. Riad weist dies zurück und versichert, die saudischen Täter hätten auf eigene Faust gehandelt. Trotz der beiden Berichte war US-Präsident Biden nicht aktiv geworden.

Nahost-Experte Woertz hofft, dass die USA zumindest hinter den Kulissen massiven Druck auf MBS ausüben werden. "MBS wird den Ruf nie loswerden, als der Mann, der in Verdacht steht, den Mord an Khashoggi abgesegnet zu haben. Insofern ist er Paria." 

Cengiz bedauert Politiker für ihr Handeln

"Vier Jahre sind nun vergangen, in denen ich die reale Politik erlebt habe", sagte Hatice Cengiz in Berlin. "Ich bin nun vertraut mit den Konzepten der Weltordnung und den Abwägungen hinter verschlossenen Türen, den wirtschaftlichen Interessen der Länder und dem Gleichgewicht der Kräfte." Sie empfinde "Traurigkeit für diese Politiker. Es ist eine Schande für sie." Sie hätten keinen Respekt verdient.

Cengiz und die Organisation Dawn werfen dem Kronprinzen auch vor, mit dem Mord an Khashoggi politische Motive verfolgt zu haben. Die von dem Journalisten angestrebten Demokratiereformen in der arabischen Welt sollten so zum Erliegen gebracht werden.

Derzeit verdunkeln sich am Horizont die Wolken für diejenigen, die sich für Gerechtigkeit und Freiheit einsetzen. Denn MBS lässt weiterhin Dissidenten, Journalisten und Aktivisten verhaften und ins Gefängnis werfen. Erst kürzlich sorgte der Fall der jungen saudi-arabischen Studentin Salma el-Shehab international für Kritik. Sie war zu 34 Jahren Haft verurteilt worden - weil sie auf Twitter Beiträge von Frauenrechtlerinnen geteilt hatte.

Cengiz hat es sich zur Aufgabe gemacht, um die Welt zu reisen und für die zu sprechen, die keine Stimme mehr haben. "Ich kann nicht schweigen", sagte sie der DW. "Meine Worte sind meine Macht." Sie wird den Kampf für Gerechtigkeit trotz allem nicht aufgeben.

Zitate von Hatice Cengiz: Julia Hahn, Christoph Strack