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Politik

Keine Jobs für Erdogan-Gegner

24. Juli 2018

Erdogan-Kritiker werden im öffentlichen Dienst immer seltener eingestellt. Grund dafür ist die sogenannte Sicherheitsüberprüfung für Staatsbeamte - und Kritiker fallen meist durch.

Archäologiestreit Deutschland Türkei Flagge Gebäude
Bild: imago/blickwinkel

"Man hat seinen Abschluss und wartet auf eine Einstellung, aber vergebens. Irgendwann hat man kaum noch Lust auf seine Arbeit als Arzt. Man fühlt sich einfach nur schlecht". Der junge Kurde, der seinen Namen nicht nennen möchte, ist 26 Jahre alt, lebt in Istanbul und hat im vergangenen Jahr seine Berufszulassung als Arzt bekommen. Er ist einer von Hunderten Bürgern, die derzeit in der Türkei keine Arbeit finden, weil sie bei der Sicherheitsüberprüfung durchgefallen sind. 

Dahinter steckt ein Zusatzpassus beim Notstandsdekret Nummer 676. Er besagt, dass bei Anwärtern auf Stellen im öffentlichen Dienst eine sogenannte "Sicherheitsprüfung und/oder eine Archivuntersuchung" durchgeführt werden müssen. Für viele bedeutet das de facto, dass sie in staatlichen Institutionen nicht mehr arbeiten können. Sogar einige private Institutionen beteiligen sich an der Überprüfung bevor sie Mitarbeiter einstellen. Zwar darf die jeweilige Institution nach der Sicherheitsprüfung selber entscheiden, ob sie jemanden einstellt oder nicht. Doch die Anzahle derer, die bei der Untersuchung durchfallen und dennoch eine Stelle bekommen, sehr gering.

Schlechte Aussichten für Kurden und Linke

Dass er bei der Sicherheitsüberprüfung durchgefallen war, erfuhr der 26-jährige Arzt durch einen offiziellen Brief, als er auf seine Einstellung im Dezember wartete. "Dieses Ergebnis habe ich nicht erwartet. Und mir steht weder ein Prozess, noch eine Strafe bevor. Ich habe kein Verbrechen begangen. Mein Führungszeugnis ist sauber. Ich bin kein Mitglied in einem Verein. Es muss also geheimdienstliche Informationen über mich geben."

Der kurdische Arzt erzählt, er sei politisch links. Auch seine Freunde, die mit ihm studiert hatten und auch keinen Job bekamen, seien entweder Kurden oder Linke oder wie er - beides.

Demonstration der HDP: Wer prokurdisch und politisch links sei, habe schlechte Aussichten im Staatsdienst, sagen BetroffeneBild: Getty Images/AFP/I. Akengin

"Das Überleben des Staates sichern"

Viele, die er kenne und die nicht eingestellt wurden, wollten sich nicht an die Gerichte wenden, erzählt der 26-Jährige. Er selbst hat aber im März eine Klage eingereicht. Das Gericht habe daraufhin von Polizei und Geheimdienst Informationen über seine Sicherheitsüberprüfung angefordert. Was dabei herausgekommen ist, hat man ihm aber nicht mitgeteilt. Die Informationen seien "streng geheim". Weshalb seine Überprüfung negativ ausfiel, weiß er also bis heute nicht.

Auch das türkische Gesundheitsministerium hat vor Gericht eine Erklärung abgegeben, die der Deutschen Welle vorliegt. Darin verteidigen sie das Vorgehen der Regierung: Das Ziel der Prüfung sei es "im Hinblick auf den verräterischen Putschversuch am 15.07.2016 zu verhindern, dass Menschen, die eine Zugehörigkeit oder Verbindung zu den Terrororganisationen haben, die eine Gefahr für unsere nationale Sicherheit darstellen, in staatliche Organe gelangen, und dass das Überleben des Staates gesichert wird".

Ein Zusatzpassus sorgt dafür, dass Erdogans Kritiker nur selten Jobs in Behörden bekommenBild: picture alliance/AP Photo/L. Pitarakis

Serdar Ataman ist der Anwalt des kurdischen Arztes. "Es wird verhindert, dass wir Einblick in den Inhalt der Sicherheitsprüfung erhalten. Man sagte uns, das seien Staatsgeheimnisse", erklärt der Anwalt. Laut ihm werden legale Aktivitäten als Begründung genannt, zum Beispiel sei der Vater Mitglied der linksgerichteten Arbeiterpartei EMEP oder man selbst habe an Demonstrationen der pro-kurdischen Partei HDP, die mit Terrorismus in Verbindung gebracht wird, teilgenommen. "Leider akzeptieren Gerichte diese Gründe. Die Sicherheitsüberprüfungen werden willkürlich durchgeführt. Sie haben keine rechtliche Grundlage", sagt Rechtsanwalt Ataman.

Gewerkschaften zweifeln an rechtlicher Grundlage

Ilker Akcasoy arbeitet bei der Gewerkschaft für Bildung und Wissenschaft. Er erzählt, dass das Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung in der Regel den betreffenden Personen mündlich mitgeteilt wird. Das sei nicht rechtmäßig. Auf willkürliche Weise würde den Menschen ihr Recht auf Arbeit genommen.

"Es ist nicht so, dass jemand wegen eines bestimmten Verbrechens bestraft wird. Es heißt lediglich: Die Person hat Verbindungen zu dieser Terrororganisation. Alles ist mündlich, es gibt keine Dokumente. Das zeigt die Mentalität des Staates, denn es gibt weder eine rechtliche Grundlage noch eine Rechenschaftspflicht", sagt Akcasoy.

Die Orwellsche Welt

Ein Angestellter in der Personalabteilung einer staatlichen Universität, der seinen Namen ebenfalls nicht nennen möchte, erzählt, dass diese Sicherheitsüberprüfungen immer häufiger auch im akademischen Bereich stattfinden. "Untersuchungen, die früher ein bis zwei Monate gedauert haben, dauern heute 15-20 Tage". Was offiziell "Sicherheitsüberprüfung" heißt, ist für ihn eindeutig eine geheimdienstliche Überwachung. "Ich hätte niemals gedacht, dass der Staat eine solche 'Orwellsche Welt' erschaffen würde. Wir sehen aber, dass er detaillierte Informationen darüber hat, wo sich Menschen aufhalten. Selbst Angehörige wie Cousins können zur Befragung herangezogen werden."

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