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Politik

(K)eine neue Regierung für den Libanon

Diana Hodali Mitarbeit: Imane Mellouk
22. Januar 2020

Der politische Stillstand des Libanon hat ein Ende. Ministerpräsident Hassan Diab hat eine Regierung gebildet - allerdings eine, die der Protestbewegung nicht gefällt und auch ausländische Geldgeber abschrecken könnte.

Libanon Gruppenbild Präsident und neues Kabinett
Bild: Getty Images/AFP

Es hat nicht lange gedauert, bis sich die Plätze und Straßen in Beirut wieder mit Demonstranten füllten, als Ministerpräsident Hassan Diab die Mitglieder der neuen Regierung verkündete. Die Ablehnung der neuen Regierung unter weiten Teilen der Protestbewegung ist groß, denn der Forderung nach komplett unabhängigen Ministern sei Hassan Diab nicht nachgekommen. Es seien zwar neue Gesichter und Namen dabei, heißt es von den Demonstranten, aber teilweise seien sie die Berater ehemaliger Minister gewesen, gehörten als Professoren oder Experten verschiedenen Parteien an. Jetzt seien die Berater Minister und das Volk würde damit getäuscht, sind sich die Demonstranten einig. Über die Sozialen Netzwerke riefen sie zu einem Streik auf und zur Errichtung von Straßenblockaden. "Es ist unfassbar, dass sie einen Professor oder einen Doktor zum Minister ernennen, der den altbekannten Parteien oder Blöcken angehört, und dann von einer Experten-Regierung sprechen", sagt die libanesische Journalistin Diana Moukalled.

Die Journalistin Diana Moukalled betreibt mit Kollegen und Kolleginnen das News-Portal DarajBild: DW/P. Böll

Technokrat mit Verbindungen zur Politik

Drei Monate lang hat der Libanon einen politischen Stillstand erlebt. Ministerpräsident Saad Hariri war kurz nach Beginn der Proteste im Oktober 2019 zurückgetreten. Nach einer zähen Suche nach einem Nachfolger wurde schließlich Hassan Diab mit einer knappen Mehrheit im Parlament und mit Unterstützung von Staatspräsident Michel Aoun, der schiitischen Hisbollah und der Amal-Bewegung zum Nachfolger Hariris ernannt. Diab gilt als Technokrat, weil er keinem politischen Clan angehört. Er hat aber als Wunschkandidat der Hisbollah und Hisbollah-nahen Parteien dennoch enge Verbindungen in die Politik. Diab war bereits während des Bürgerkrieges (1975 - 1990) zwei Mal Ministerpräsident, war zwischen 2011 und 2014 Bildungsminister und seither Vize-Präsident der renommierten Amerikanischen Universität Beirut.

"Ich begrüße die Aufstände", sagte Diab gleich nach der Verkündung der Minister. "Sie haben das Land vereint und die Gräben zwischen Regionen und Religionen geschlossen." Er versprach den Demonstranten, sich ihrer Anliegen anzunehmen, eine unabhängige Justiz einzurichten, die Korruption zu bekämpfen, die Arbeitslosigkeit zu verringern und die wirtschaftliche Lage des Landes zu verbessern.

Parlamentssprecher Nabih Berri (l.) und Staatspräsident Michel Aoun (M.) haben Premier Hassan Diab (r.) unterstütztBild: Reuters/M. Azakir

20 statt 30 Minister - und sechs davon Frauen

Einige Ministerien wurden zusammengelegt, so wie das Ministerium für Soziale Angelegenheiten und Tourismus unter der Leitung eines orthopädischen Chirurgs oder das Landwirtschafts- und das Kultusministerium. Diab hat das Kabinett von 30 auf 20 Minister verkleinert, sechs von ihnen sind Frauen. Zeina Akar wird als erste Frau des Landes das Amt der Verteidigungsministerin übernehmen, sie ist die Frau eines ehemaligen Politik-Beraters. Energieminister Raymond Ghajar war selber früher Berater beim Energieministerium, und auch Finanzminister Ghazi Wazni ist ein ehemaliger Berater des Finanzkomitees des Parlaments.  Der neue Innenminister Mohammed Fahmi hat eine lange Vergangenheit beim Militär.

Dennoch: "In diesem Kabinett sind einige fähige Technokraten", schreibt Paul Salem, Direktor des Middle East Institute Washington. "Doch es ist nicht politisch unabhängig." Er geht davon aus, dass die neuen Minister als eine Art Schattenregierung für diejenigen fungieren sollen, die seit Jahren an der Macht festhalten. Einer, der gemeint sein könnte, ist Parlamentssprecher Nabih Berri von der schiitischen Amal-Bewegung. Er ist seit 1992 im Amt - seit 28 Jahren.

Parlamentssprecher Nabih Berri (l.) und Staatspräsident Michel Aoun (M.) haben Premier Hassan Diab (r.) unterstütztBild: Reuters/M. Azakir

Herausforderung Wirtschaftskrise

Diab hat sich auf Kritik zu seinem Kabinett nicht eingelassen. "Das Thema Expertise spiegelt sich in vielerlei Hinsicht wider", sagte er. 

Expertise wird vor allem Finanzminister Ghazi Wazni beweisen müssen. Diab hat bei der ersten Kabinettsitzung bereits verkündet, dass sich das Kabinett dem Thema Wirtschaft anders als in der Vergangenheit widmen werde - wie genau, das sagte er nicht. Das Land befindet sich in einer wirtschaftlichen Krise: Angestellte, die seit Monaten keine Gehälter mehr bekommen, Medikamente und Krankenhäuser, die sich kaum einer leisten kann, und Banken, die Devisen zurückhalten. In den vergangenen Wochen haben Demonstranten so lange Sit-ins in Banken veranstaltet, bis ihnen schließlich ihr Geld vom Konto ausgezahlt wurde. Der neue Mann im Amt des Finanzministers hat bei einem Interview mit dem libanesischen Sender Al-Jadeed TV bereits angekündigt, dass die Abwärtsspirale, in der sich die Wirtschaft des Landes befände, nur mit Hilfe ausländischer Gelder zu stoppen sei.

Nah an Hisbollah, weit weg von Saudi-Arabien

Doch das könnte schwer werden: "Die neue Regierung  gehört der Pro-Hisbollah- und Pro-Syrien-Achse an. Und auch wenn einige Experten im Kabinett vertreten sind, wird sie aufgrund ihrer politischen Ausrichtung wenig ausländische Unterstützung erfahren", meint Paul Salem. Besonders den reichen Golfstaaten Saudi-Arabien und Vereinigte Arabische Emirate, die dem Libanon finanziell häufig unter die Arme greifen, wird die enge Verbindung des neuen Kabinetts zur Hisbollah mehr als missfallen. Das sieht auch Mohamad Kawas so, ein in London lebender Politanalyst.

Zwei Tage vor der Verkündung der neuen Regierung: Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten in BeirutBild: picture-alliance/Xinhua/B. Jawich

Das ist nur eine der vielen Herausforderungen, mit denen sich die Regierung Diab konfrontiert sieht. Auch wenn Diab prominente Unterstützer hat, hat er mit der Zukunfts-Bewegung seines Vorgänger Saad Hariri starke politische Gegner. Da der Posten des Ministerpräsidenten im Libanon nach einem konfessionellen Proporz immer an einen Sunniten geht, wird der Technokrat Diab es nicht leicht haben, die sunnitischen Anhänger Hariris zu überzeugen. Doch auch die christliche Partei Libanesische Kräfte oder die drusische Progressive Sozialistische Partei machen keinen Hehl aus ihrer Ablehnung gegen Hassan Diab. Salem attestiert der neuen Regierung keine lange Überlebenszeit.

Auch wenn ein Teil der Bevölkerung froh ist, dass das Land zumindest vorerst wieder eine Regierung hat, wollen die Anhänger der Protestbewegung am Wochenende erneut auf die Straße gehen - nicht nur, weil am Samstag der 100. Tag der Proteste ist, sondern auch, weil sie den Regierenden deutlich machen wollen, dass sie sich mit ihnen nicht zufrieden geben werden.

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