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PolitikBelarus

Keine Pässe für Belarussen im Ausland

Tatiana Gargalyk
16. September 2023

Minsk lässt Kritiker seine Macht spüren: Diplomatische Vertretungen von Belarus stellen für Staatsbürger im Ausland keine Reisepässe mehr aus. Die DW hat mit Betroffenen über ihre Probleme und Hoffnungen gesprochen.

Russland Moskau | Präsidentschaftswahl: Frau aus Weißrussland mit Ausweis
Eine Frau identifiziert sich in der belarussischen Botschaft in Moskau mit ihrem PassBild: Pavel Golovkin/AP/picture alliance

Ein Dekret von Machthaber Alexander Lukaschenko macht den im Ausland lebenden Belarussen das Leben schwer. Demnach stellen die belarussischen diplomatischen Vertretungen seit dem 7. September keine neuen Pässe mehr aus.

Bürger, die sich im Ausland aufhalten, müssen sich nun direkt an die Behörden in Belarus wenden. Gleiches gilt für den Umtausch und die Verlängerung eines Reisepasses.

Zu den Betroffenen gehört Dmitrij. Nachdem er eine Verwaltungshaft verbüßen musste, ging er Ende 2021 ins Ausland. Seit Anfang 2022 lebt er mit seiner Familie in Polen.

Dort erhielt er im Rahmen des Regierungsprogramms "Poland Business Harbor" eine Aufenthaltserlaubnis. Das Programm ermöglicht IT-Spezialisten und ihren Familien sowie Unternehmen die Verlagerung ihrer Geschäftstätigkeit nach Polen.

Botschaft von Belarus in BerlinBild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

In Polen bekam der IT-Spezialist eine Tochter. Um für sein Kind einen belarussischen Pass zu erlangen, muss einer der beiden Elternteile nun in die alte Heimat reisen.

Dmitrij hält dies für gefährlich. Er überlegt stattdessen, in Polen einen internationalen Schutzstatus zu beantragen. Doch auch dies ist kompliziert.

"Wir sind keine bekannten Persönlichkeiten, es gibt keine Beweise für eine Verfolgung. Ich hatte den Anruf der Polizei nicht aufgezeichnet, als ich im Fall der Eisenbahn-Partisanen vorgeladen wurde", sagt er.

Dmitrijs Tochter könnte auch ein polnisches Reisedokument erhalten, das für Ausländer bestimmt ist, die keinen gültigen ausländischen Pass besitzen. Doch dafür müsste einer der beiden Elternteile unter internationalem Schutz stehen oder das Kind bereits eine Aufenthaltserlaubnis haben.

"Doch um eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, braucht man ein belarussisches Dokument", erläutert Dmitrij. Dies mache die Lage kompliziert.

"Hoffentlich lässt sich die EU etwas einfallen"

Auch Igor (Name geändert) lebt und arbeitet seit mehreren Jahren in Polen. Der Reisepass eines seiner Söhne läuft bald ab. Eine Reise nach Belarus hält auch er für riskant.

"Bei einem der belarussischen Solidaritätsmärsche in Warschau gaben meine Frau und ich einem ukrainischen Fernsehsender ein Interview über die politische Lage in Belarus", sagt er. Igor befürchtet, dass er deswegen in seinem Heimatland verfolgt werden könnte.

Nach den Präsidentschaftswahlen im Sommer 2020 kam es in Belarus zu Massenprotesten. Die Wahlen gelten als Scheinwahl, weil Gegenkandidaten festgenommen und Manipulationen nachgewiesen werden konnten. Bei den täglichen Protesten wurden bis zum 13. August 2020 über 6000 Menschen festgenommen, 250 verletzt und zwei getötet.

"Es gibt Fälle, wo Menschen nirgendwo in Erscheinung getreten waren, lange Zeit nicht in Belarus waren und nach ihrer Einreise plötzlich Besuch von den Behörden bekamen", sagt Igor. Doch er schließt nicht aus, dass er nach Belarus fahren muss, um für seinen Sohn einen Pass zu besorgen.

Massenproteste in Minsk nach den Präsidentschaftswahlen 2020Bild: AP Photo/picture alliance

Wladimirs Pass läuft im Frühjahr ab. "Ich habe 2020 an den Protesten teilgenommen, habe auf der Arbeit gestreikt und wurde gefeuert. Dann habe ich das Land verlassen. Durch Freunde habe ich erfahren, dass ich zwar nicht auf der Fahndungsliste stehe, aber ein Verfahren gegen mich eröffnet wird, sobald ich die Grenze überquere", erzählt der Mann.

Was er nun tun soll, weiß Wladimir nicht. "Hoffentlich lässt sich die EU etwas einfallen", sagt er.

Kein Platz mehr für Visa

Auch Julia ist in einer schwierigen Lage. Die junge Frau zog vor sechs Jahren in die Ukraine, arbeitete dort in der Vertretung eines belarussischen IT-Unternehmens und heiratete einen Ukrainer.

Noch vor Beginn der russischen Invasion hatte sie eine Einwanderungserlaubnis beantragt. Doch als der Krieg gegen die Ukraine begann, ging sie nach Polen, wo sie ein humanitäres Visum erhielt und eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen beantragte.

"Ich fahre alle drei Monate in die Ukraine, um meinen Mann zu besuchen und auch, um die ukrainische Einwanderungserlaubnis nicht zu verpassen", sagt sie. Aufgrund der häufigen Reisen ist n ihrem im Reisepass fast kein Platz mehr für Stempel und Visa.

Eigentlich bräuchte sie einen neuen Pass. Doch dafür nach Belarus reisen kann auch Julia nicht. In sozialen Netzwerken habe sie klar Position bezogen, was ihr in vor Ort schaden könnte.

"Ich unterstütze die Ukraine, ich bin gegen den Krieg und die russische Invasion", sagt sie. Sie will deshalb vorerst sparsamer mit den noch freien Seiten in ihrem Pass umgehen und seltener verreisen.

Anruf in letzter Minute

Einige Belarussen wurden allerdings schon vor Lukaschenkos Dekret in Konsulaten aufgefordert, für einen neuen Pass in ihre Heimat zu reisen. So erging es Irina Makowezkaja, die seit 14 Jahren in Deutschland lebt.

Ende Februar beantragte sie einen neuen Pass. Im Juni wurde sie darüber informiert, dass dieser fertig sei. Da sie im Urlaub war, konnte sie ihn nicht gleich abholen und bekam einen Termin für den 11. Juli. An dem Tag machte sie sich von Düsseldorf auf den Weg nach Berlin.

"Etwa 150 Kilometer vor Berlin bekam ich einen Anruf. Es hieß, man könne mir meinen Reisepass nicht aushändigen. Angeblich sei eine Genehmigung vom Außen- oder Innenministerium nötig", so Irina. Daraufhin schrieb sie an das Außenministerium und rief die Botschaft an.

"Ich habe verlangt, dass mir die Gebühr in Höhe von 100 Euro erstattet wird. Außerdem bat ich darum, meinen Reisepass zu vernichten, wenn ich ihn nicht zurückbekomme, damit ihn niemand verwenden kann". Auf eine Antwort und einen entsprechenden Nachweis wartet sie noch immer. 

Schriftsteller und Journalist Sascha Filipenko in BerlinBild: Yana Karpova/DW

"Da muss man doch hinfahren"

Auch dem Schriftsteller und Journalisten Sascha Filipenko, der im Schweizer Exil lebt, wurde gesagt, er müsse nach Belarus fahren, um seinen neuen Pass abzuholen. Auf Facebook berichtet er, wie er vor einem Jahr beim Konsulat ein Führungszeugnis beantragen wollte. Dabei habe er auch nach einem neuen Pass gefragt.

"Übrigens kann ich mich glücklich schätzen, denn ich bin bei der Bezirksbehörde Perwomajsk als wohnhaft gemeldet, genau dort, wo Menschen gefoltert und getötet werden. Da muss man doch einfach hinfahren", schreibt Filipenko sarkastisch.

Während der Proteste in Belarus 2020 schrieb er mehrere Artikel und gab Interviews, in denen er das Lukaschenko-Regime scharf kritisierte und die Freilassung politischer Gefangener forderte. Deswegen drohen ihm nun in Belarus strafrechtliche Konsequenzen. Filipenko schließt nicht aus, dass Minsk ihm noch vor Ablauf seines Reisepasses sogar die belarussische Staatsbürgerschaft entziehen könnte.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

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