Keine Pässe mehr für Ukrainer im Ausland - und nun?
25. April 2024"Gut, dass ich meinen Reisepass letztes Jahr in Köln bekommen habe und nicht mehr zum Konsulat muss", sagt Oleh aus Kiew, der heute mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Deutschland lebt. So reagiert er auf die Erklärung des Außenministers der Ukraine, Dmytro Kuleba, Staatsbürgern im wehrfähigen Alter, die sich im Ausland aufhalten, konsularische Dienstleistungen nicht mehr in vollem Umfang zu erbringen. Dies soll vor allem für diejenigen gelten, die sich nicht beim Militär registrieren lassen.
"Im Ausland zu leben, befreit einen Bürger nicht von den Pflichten gegenüber seinem Heimatland", betonte Kuleba am Dienstag auf der Online-Plattform X und fügte hinzu, Maßnahmen angeordnet zu haben, um eine "faire Behandlung von Männern im mobilisierungsfähigen Alter in der Ukraine und im Ausland" zu gewährleisten.
Inzwischen hat Kiew die Ausgabe von Reisepässen an im Ausland befindliche Männer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren gestoppt. Somit können ukrainische Männer im wehrfähigen Alter Reisepässe nur noch im Land selbst erhalten. Ausgenommen ist nur die Ausgabe von Personalausweisen zur Rückkehr in die Ukraine.
Meldepflicht, mögliche Strafen und erwartete Klagen
Die Maßnahme steht im Zusammenhang mit dem jüngst verabschiedeten Gesetz zur Verstärkung der Mobilmachung und zielt darauf ab, Männer zur Rückkehr in ihr Heimatland zu drängen. Das Gesetz soll am 18. Mai in Kraft treten.
Gemäß den neuen Bestimmungen müssen sich auch die männlichen ukrainischen Staatsbürger, die im Ausland leben, beim Militär melden. "Wie das im Ausland geschehen soll und welche Papiere vorgelegt werden müssen, ist unklar", sagt die Kiewer Anwältin Hanna Ischtschenko. Das habe die Regierung noch nicht festgelegt. Klar sei bisher nur, dass das Gesetz ausnahmslos für alle männlichen Bürger gelte - sowohl für die, die nach der großangelegten Invasion Russlands im Jahr 2022 die Ukraine verlassen haben, als auch für solche, die seit ihrer Geburt im Ausland leben.
Die Bestimmungen zur Meldepflicht sehen vor, dass ukrainische Staatsbürger im Ausland erst dann Konsulardienste in Anspruch nehmen können, wenn geklärt ist, ob sie sich beim Militär haben registrieren lassen. Ist dies nicht der Fall, droht ihnen neben der Verweigerung konsularischer Dienstleistungen eine Geldbuße von 510 bis 850 Hrywnja (ca. 12 bis 20 Euro) und bei wiederholtem Verstoß bis zu 1700 Hrywnja (ca. 40 Euro).
Anwältin Ischtschenko rechnet mit Klagen gegen die Behörden. Gerichte würden klären müssen, ob die behördlichen Entscheidungen im Einklang mit dem Grundsatz der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz stehen. "Es muss eine Vereinbarkeit zwischen den Folgen für die Bürger und den Zielen bestehen, die mit den Bestimmungen erreicht werden sollen", erläutert sie. Ihrer Ansicht nach entsprechen die Maßnahmen der Staatsmacht trotz der Kriegssituation nicht dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit.
Oleksandr Pawlitschenko von der Ukrainischen Helsinki-Union für Menschenrechte spricht sogar von Diskriminierung. Er befürchtet, dass die ukrainischen Behörden den betroffenen Personen künftig auch in Notsituationen Hilfe verweigern könnten. Als Folge würden die Menschen eine andere Staatsbürgerschaft anstreben, über einen Flüchtlingsstatus oder andere Verfahren, um aus der für sie "unbequemen" ukrainischen Staatsbürgerschaft herauszukommen. Auch Pawlitschenko rechnet damit, dass Ukrainer unter Berufung auf die Europäische Menschenrechtskonvention gegen die neuen Bestimmungen klagen werden.
Hoffnung auf Schutz und Hilfe seitens Deutschlands
Oleg will sich nicht beim Militär melden. Er fürchtet einen Einsatz im Krieg, obwohl er als Vater einer kinderreichen Familie nach jetzigen Vorschriften von der Dienstpflicht befreit ist. "Ich werde meine Frau mit drei Kindern doch nicht allein lassen", betont er.
Bohdan, der seinen Nachnamen ebenfalls nicht nennen möchte, hat die Ukraine unter Umgehung der Grenzkontrollen illegal verlassen. Er sei über die Republik Moldau nach Deutschland gekommen, wo er vorübergehend einen Schutzstatus genießt. Bohdan will auf keinen Fall zurück, er fühlt sich in Deutschland wohl und lernt Deutsch.
Strafmaßnahmen gegen Männer, die sich nicht beim Militär melden, könnten diejenigen, die die Ukraine im Krieg bewusst verlassen haben, nicht zu einer Heimkehr bewege, meint Bohdan. "Wenn ich im Jahr 2032 einen neuen Pass beantrage, dann werde ich hoffentlich eine andere Staatsbürgerschaft haben, vielleicht die deutsche", sagt er.
Auf die Frage, was er tun würde, sollte er unerwartet ein ukrainisches Konsulat brauchen, sagt Bohdan: "Nichts, absolut nichts." Er rechne nicht mit Problemen. "Ich bin zu fast 90 Prozent sicher, dass Deutschland es so einrichten wird, dass wir alle nötigen Papiere hier bekommen, ohne ukrainische zu brauchen. Wir werden die Ukraine nicht kontaktieren müssen", glaubt er.
Der Pressesprecher des deutschen Innenministeriums, Maximilian Kall, sagte auf der Regierungspressekonferenz am Mittwoch, er sehe das Vorgehen der ukrainischen Behörden "als konsularrechtliche Frage, die allein in der Hand der ukrainischen Stellen ist". Kall betonte, dies werde sich nicht auf den Schutzstatus für Geflüchtete aus der Ukraine auswirken, "ganz gleich, ob es Frauen oder Männer sind".
Vor allem Frauen kehren in die Ukraine zurück
Im Februar 2024 suchten laut Statistischem Bundesamt etwa gleichviel Männer und Frauen aus der Ukraine im Alter von 18 bis 60 Jahren in Deutschland Asyl: 5.597 beziehungsweise 5.772 Personen. Zwei Jahre zuvor waren zwei Drittel der Kriegsflüchtlinge Frauen, die zweitgrößte Kategorie waren Kinder.
Andererseits sind 39 Prozent derjenigen, die derzeit in die Ukraine zurückkehren, Frauen im erwerbsfähigen Alter. Der Anteil der Männer im wehrfähigen Alter, die aus Deutschland in ihre Heimat zurückkehren, beträgt dagegen nur 23 Prozent.
Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk