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Keine Pressefreiheit in Städten ohne Presse

4. Mai 2020

Opfer der Corona-Krise: Lokalzeitungen. Denen geht es in den USA schon seit Jahren schlecht. Journalisten aus den US-Bundesstaaten Kalifornien, Washington und Texas sprachen mit der DW über die teils katastrophale Lage.

USA Zeitungen
Schon vor der Corona-Krise war die landesweite Print-Auflage auf dem tiefsten Stand seit 1940Bild: Getty Images/S. Olson

Dreiundzwanzig Jahre. So lange hatte Joey Garcia eine Beziehungsratgeber-Kolumne in der Wochenzeitung Sacramento News & Review. Dann kam das Coronavirus. Mitte März setzte die Zeitung ihre Print-Veröffentlichung auf unbestimmte Zeit aus. Garcias Kolumne gibt es nun nicht mehr.

"Ich war wie in einem Schockzustand", sagt Garcia über den Moment, als sie erfuhr, dass die Druckerpressen für die News & Review stillstehen würden. Auch andere Jobs der freien Journalistin und Autorin haben sich in der Krise in Luft aufgelöst. "Innerhalb von drei Tagen sind 75 Prozent meiner Einkünfte weggebrochen. Ich konnte nicht schlafen. 24 Stunden lang wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte."

Garcias Leser brauchen auch weiterhin Rat, gerade jetzt. "In den sozialen Medien schreiben mir die Leute mit ihren Problemen: 'Eigentlich wollten wir uns trennen, aber jetzt sitzen wir zusammen in einer Wohnung fest.' Oder 'Wir waren auf ein paar Dates, aber dann kam der Lockdown und jetzt ignoriert er meine Nachrichten.'" Sie versucht, so vielen Lesern wie möglich zu antworten. Aber jetzt verdient sie damit kein Geld mehr.

Wochenzeitung in Not: Die News & Review in Kalifornien

Die Sacramento News & Review hat viele Änderungen miterlebt. Als die erste Ausgabe im April 1989 erschien, gab es drei Zeitungen in Sacramento: Die Tageszeitungen Sacramento Bee und Sacramento Union, und die wöchentliche News & Review. Die Bee ist extrem zusammengeschrumpft. Die Union gibt es schon lange nicht mehr. Und jetzt hat die Corona-Krise die News & Review zur Schließung gezwungen.

75 Prozent weniger Aufträge beklagt die kalifornische Kolumnistin Joey GarciaBild: Anita Scharf

Jeff vonKaenel, dem die Zeitung und zwei Schwesternblätter in Kalifornien und Nevada gemeinsam mit seiner Frau gehören, sagt, er hatte keine andere Wahl. Die News and Review, deren Auflage zuletzt bei 60.000 lag, ist gratis und finanziert sich durch Anzeigen, hauptsächlich von Restaurants, Bars und Veranstaltungen in der kalifornischen Hauptstadt. "Ich bin ein guter Geschäftsmann, aber ich kann keine Anzeigen verkaufen für Veranstaltungen, die nicht stattfinden", so vonKaenel.

Auf die Frage, ob und wann die Redaktion der News & Review wieder ihre Türen öffnen kann, sagt er: "Diese Frage stellen meine Frau und ich uns jeden Abend, bevor wir schlafen gehen."

"Tue nichts, was du nicht auf der Titelseite sehen willst"

Die Corona-Krise trifft den US-amerikanischen Journalismus zu einer Zeit, in der viele Lokalzeitungen sowieso schon auf dem Zahnfleisch gehen. Im Jahr 2000 hatten rund 55 Millionen Haushalte in den USA ein Zeitungsabonnement. Heute sind es laut dem Pew Research Center noch etwa die Hälfte. Seit der Wirtschaftskrise von 2008/2009 ging fast die Hälfte aller Arbeitsplätze für Reporter und Fotografen im Land verloren. Heute gibt es in den USA noch etwa 38.000 Jobs im Journalismus - laut der positivsten Schätzung. Andere halten 20.000 für die realistischere Zahl. Davon arbeiten allein 1700 für die New York Times

Während der Krise gewinnen Flaggschiffe wie die New York Times weiter an Strahlkraft - zum Leidwesen der KleinenBild: picture-alliance/AP Photo/M. Lennihan

Große Zeitungen wie die Times und die Washington Post laufen auch in der Corona-Krise weiter. Aber Experten sagen, viele der Arbeitsplätze für Lokaljournalisten, die jetzt in der Krise verschwinden, werden nicht wiederkommen. Das ist gefährlich für all die kleinen und mittelgroßen Städte, die nicht in der nationalen Berichterstattung der großen Zeitungen vorkommen. "Es ist schön, dass es der New York Times und der Washington Post gut geht, aber wir brauchen Leute, die über den Stadtrat, die Schulbehörde und die lokale Kunstszene berichten", sagt vonKaenel. "Bei ethischen Fragen [unter Politikern] gibt es das Sprichwort 'Tue nichts, was du nicht auf der Titelseite sehen willst.' Aber was ist, wenn es keine Titelseite mehr gibt?"

Wenn es keine Reporter mehr gibt, die Politiker zur Verantwortung ziehen, wie sollen dann die Menschen einer Stadt von Missetaten wie Korruption erfahren? Die Entstehung solcher "news deserts", also Orten, in denen es keine Lokalzeitungen oder lokale Radionachrichtensender mehr gibt, ist in den USA eine größere Bedrohung der Pressefreiheit als Zensur: Keine Presse- und Informationsfreiheit in einem Ort ohne Presse.

Online-Nachrichten nicht immer eine Alternative

Die Ausbreitung der "Nachrichtenwüsten" ist vor allem im ländlichen Amerika ein Problem. Viele kleine Gemeinden schrumpfen und kleine Unternehmen, die potenzielle Anzeigenkunden für Lokalzeitungen sind, verlieren den Kampf gegen große Ketten. Wenn eine Lokalzeitung stirbt, hat das weitreichende Folgen, erklärt Benjamin Shors, Journalistikprofessor an der Washington State University im nordwestlichsten Bundesstaat der USA: "In Gemeinden, wo es keine Berichterstattung über Lokalpolitik gibt, ist die Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen kleiner."

Die Lücken werden größer: Diese Journalisten in Atlanta halten sich an Corona-AbstandsregelnBild: picture-alliance/AP/Atlanta Journal-Constitution/A. Pointer

Eine weitere Gefahr: "Das Informationsvakuum, das beim Verschwinden einer Lokalzeitung entsteht, bleibt nicht leer", sagt Shors. "Es werden mehr Falschinformationen auf Facebook verbreitet. Das ist immer gefährlich, aber besonders während einer Pandemie."

Lisa Waananen Jones, eine Kollegin von Shors, erzählt dass viele Menschen in den ländlichen Gegenden Washingtons für Nachrichten auf die Print-Ausgabe ihrer Zeitung angewiesen sind und nicht einfach auf online umsteigen können. "Viele ländliche Gemeinden haben immer noch kein zuverlässiges Internet", sagt Waananen Jones. "Wenn da eine Zeitung stirbt, ist das für die Menschen hart." Einige Leser nutzen den Internetzugang ihrer örtlichen Bücherei, aber in der Corona-Krise mussten die Bibliotheken schließen. Wer kann, fahre jetzt mit dem Auto möglichst dicht an die Bücherei heran und versuche, das WLAN-Signal mit dem Smartphone zu empfangen. So können wenigstens Emails gelesen und verschickt werden. Eine komplette Zeitung ersetzt das nicht.

Coronavirus und Alligatoren: Der South Jetty in Texas

In Port Aransas, rund 4100 Einwohner, auf Mustang Island vor der Küste von Texas, bekommen die Menschen ihre Nachrichten noch in Print. Hier führen die Besitzer und Verleger Mary Henkel Judson und ihr Mann Murray Judson die Wochenzeitung Port Aransas South Jetty ("jetty" ist ein Anlegesteg). Die Zeitung ist seit Ausbruch der Corona-Pandemie zwar dünner geworden, aber sie erscheint weiterhin jeden Donnerstag.

Die Redaktion des Port Aransas South Jetty in Texas kann vorerst weiter arbeiten wie bisherBild: Port Aransas South Jetty Newspape

Die meisten der Artikel drehen sich um das Coronavirus. "Aber wir versuchen, immer auch etwas anderes dabei zu haben, damit die Menschen mal durchatmen können", sagt Henkel Judson. Ein Beispiel, dass sich auf der Facebookseite der Zeitung besonderer Beliebtheit erfreute: Der Alligator, der aus einem Naturpark entwischt war, und sich im Kanal neben dem Dollar General Store herumtrieb.

Die Zeitung bekommt finanzielle Hilfe von dem Programm, dass die US-Regierung zur Unterstützung von Kleinunternehmen ins Leben gerufen hat. Henkel Judson sagt, der Port Aransas South Jetty kann aber auch der Krise trotzen, weil die Abonnenten-Zahlen zuletzt nach oben gingen - und vor allem, weil Restaurants, Makler, und andere Unternehmen vor Ort weiterhin Anzeigen schalten.

"Wir werden das gemeinsam durchstehen", sagt Henkel Judson. "Zeitungen und eine freie Presse sind lebenswichtig für unser Land. Unsere Leser und unsere Anzeigenkunden verstehen das. Deswegen haben wir weiterhin ihre Unterstützung."

Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker
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