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Politik

Keine "schmutzigen Deals" um Deniz Yücel

14. Februar 2018

365 Tage hinter Gittern: Der Journalist Deniz Yücel gibt politischen Gefangenen in der Türkei eine Stimme. Viele sehen ihn als Geisel im deutsch-türkischen Verhältnis, das beide Regierungen normalisieren wollen.

Deniz Yücel, Demonstration gegen in der Türkei inhaftierte Journalisten
Bild: picture alliance / rtn - radio tele nord

"Ich hatte zuvor schon mit Menschen gesprochen, die Folter erlitten haben, oder auch mit Überlebenden des Holocausts. Doch jetzt weiß ich: Man hört eine solche Schilderung mit anderen Ohren, wenn man sich selbst in der Gewalt eben dieses Staates befindet", so schreibt Deniz Yücel in dem Sammelband "Wir sind ja nicht zum Spaß hier", der zum 1. Jahrestag seiner Gefangennahme erschienen ist - begleitet von vielen Solidaritätskundgebungen mit prominenter Unterstützung durch Künstler, Schauspieler und Journalisten.

Yücel schildert in seinem Text aus der Haft, wie er Cengiz trifft, der 1996 als Kämpfer der verbotenen kurdischen PKK inhaftiert wurde. Mit "Augen, die vom Unaussprechbaren sprachen" habe er ihm detailliert beschrieben, wie er von einer Sondereinheit der türkischen Armee sadistisch gefoltert worden sei. Yücel schreibt aber auch vom Streit mit Cengiz, der "im kalten Jargon eines Parteisoldaten" die Schuld der PKK an der Eskalation und dem Tod von Zivilisten bestritten habe.

Der Journalist Deniz Yücel ist seit einem Jahr in Haft - ohne AnklageBild: picture-alliance/Eventpress/Stauffenberg

Ein Jahr hinter Gittern ohne Anklageschrift

"Deniz Yücel ist jemand, der in seiner Berichterstattung nie ein Blatt vor den Mund genommen hat. Der hat nach rechts und links ausgeteilt und sehr scharfe Analysen geschrieben", sagt Kristian Brakel der DW. Er leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul.

Yücel, 1973 in der Nähe von Frankfurt am Main als Sohn türkischer Eltern geboren, hat als Korrespondent der deutschen Tageszeitung "Die Welt" aus der Türkei berichtet. Am 14. Februar 2017 nahm ihn die Polizei in Gewahrsam. Ein Haftbefehl folgte, seit März 2017 sitzt der 44-Jährige mit deutschem und türkischen Pass im Hochsicherheitsgefängnis Silivri Nr. 9 - bis heute ohne Anklageschrift. Er gilt vielen als Geisel der türkischen Regierung.

Die vielen Solidaritätsaktionen für Deniz Yücel lenken immer wieder den Blick auf die Menschenrechtslage in der TürkeiBild: picture-alliance/dpa/A. Arnold

Die scharfe Kritik an der türkischen Regierung sei Yücel zum Verhängnis geworden, sagt Brakel: "Ob ursprünglich damit erreicht werden sollte, dass Deutschland irgendetwas herausgibt, ist schwierig zu sagen, aber man hat auf jeden Fall den Versuch gemacht, etwas mit ihm zu erpressen." Im Hafturteil warf man ihm "Volksverhetzung" und "Terrorpropaganda" vor. Acht journalistische Texte, die er für "Die Welt" geschrieben hat, wurden genannt.

In Yücels neuem Sammelband "Wir sind ja nicht zum Spaß hier" - mit dem Untertitel "Reportagen, Satiren und andere Gebrauchstexte" - sind zwei davon nachzulesen: ein Interview mit dem Vizechef der PKK, der einräumt: "Ja, es gab interne Hinrichtungen", und "Der Putschist", ein Text darüber, wie der türkische Präsident seine Macht ausgebaut hat. Doris Akrap, Herausgeberin und Freundin Yücels, schreibt im Vorwort: "In anderen Ländern kriegt man für solche Texte Journalistenpreise. In der aktuellen Türkei kriegt man dafür Knast."  

Unabhängige Justiz? Erdogan gibt den Ton an

Nach dem Putschversuch im Sommer 2016 wurden in der Türkei massenweise Menschen inhaftiert, mit Deniz Yücel waren mindestens 28 deutsche Staatsbürger darunter. Bis auf sechs Personen wurden nach Angaben des Auswärtigen Amtes alle entlassen, darunter der Menschenrechtler Peter Steudtner sowie die Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu.

"Keine unabhängige Justiz in der Türkei" - Kristian Brakel, leitet die Heinrich-Böll-Stiftung in IstanbulBild: Heinrich-Böll-Stiftung/S. Röhl

Die türkische Regierung pocht immer wieder darauf, dass ihre Justiz unabhängig sei. Davon könne keine Rede sein, sagt der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung. Nach politischer Einflussnahme blieben kürzlich zwei Gefangene in Haft, obwohl der oberste türkische Gerichtshof ihre Freilassung verfügt hatte. Ähnliches geschah im Fall des Vorsitzenden von Amnesty International in der Türkei, ein Gericht zog seine Haftentlassung binnen Stunden wieder zurück.

Im Fall Yücel mischte sich Präsident Recep Tayyip Erdogan selbst ein: "Er ist wahrhaftig ein Agent und Terrorist. Von wegen Journalist. Und einen ganzen Monat lang hat ihn die deutsche Botschaft in ihrer Sommerresidenz in Istanbul versteckt." Für Brakel steckt hinter solchen Aussagen eine Paranoia in Teilen der Staatsführung, "die Idee, dass Europäer und Amerikaner gemeinsam die Türkei zerschlagen wollen".

"Bundesregierung wird alles tun, was in ihrer Macht steht"

Später sagte Erdogan zu einer möglichen Ausreise Yücels nach Deutschland: "Auf keinen Fall, solange ich in diesem Amt bin, niemals." Allerdings soll er in einem Gespräch mit dem deutschen Außenminister Sigmar Gabriel informell angeboten haben, sagt Kristian Brakel, "Deniz Yücel auszutauschen gegen türkische Militärangehörige, die am Putsch beteiligt waren und in Deutschland Asyl bekommen haben".

NATO-Partner mit Klärungsbedarf: Kanzlerin Angela Merkel und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan im Mai 2017 Bild: picture alliance/dpa/Nato

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel bezog früh Stellung. Nur zwei Wochen nach Yücels Festnahme sagte sie: "Journalisten müssen ihre Arbeit machen können. Deshalb denken wir an Deniz Yücel, der in der Untersuchungshaft in der Türkei sitzt und dessen Freilassung wir fordern, weil wir glauben, dass er nichts anderes getan hat, als seiner unabhängigen journalistischen Arbeit nachzugehen. Das muss durchgesetzt werden." Die Regierungschefin versprach: "Die Bundesregierung wird alles tun, was in ihrer Macht steht, um darauf hinzuwirken, dass genau das geschieht."

Druck ausüben, ohne sich selbst zu schaden

Zunächst tat die deutsche Regierung aber recht wenig, um auf eine Freilassung ihrer Staatsbürger zu dringen, sagen Kritiker. Im Sommer 2017, analysiert auch Kristian Brakel, habe man überhaupt erst "ein bisschen die Daumenschrauben angelegt". Damals sprach Außenminister Sigmar Gabriel Reisehinweise für die Türkei aus und kündigte an, Kreditgarantien, sogenannte Hermes-Bürgschaften, zu beschränken. Am Ende kam es auf Wunsch von Kanzleramt und Wirtschaftsministerium aber zu einer Kappungsgrenze, berichtet Brakel, um deutsche Unternehmen zu schonen, die in der Türkei investieren.

Deutschland sei zwar das wirtschaftlich stärkere Land und die Türkei "braucht irgendeine Art Verbindung nach Europa, die noch funktioniert, da ihr rechts und links die anderen Verbündeten wegbrechen", erläutert der politische Analyst. Es gebe aber so viele und enge Verflechtungen auf wirtschaftlichem, militärischen und kulturellen Gebiet, dass es für Deutschland schwierig sei, "sehr viel Druck auszuüben, weil man sich gleichzeitig selbst beschädigt".

Tee und Tacheles? Außenminister Sigmar Gabriel empfing seinen türkischen Amtskollegen Mevlut Cavusoglu bei sich daheimBild: Imago/photothek/F. Gaertner

Teetrinken mit dem türkischen Kollegen

Im Jahr 2018 setzen beide Seiten demonstrativ auf eine Normalisierung der angespannten Beziehungen. Außenminister Sigmar Gabriel besuchte seinen türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu erst in dessen Wahlkreis, dann empfing er ihn zuhause in Goslar und servierte ihm medienwirksam türkischen Tee. Sein Gast sprach mehrfach von seinem "Freund Sigmar" - ein Freund, von dem er sich Unterstützung bei der Ausweitung der Zollunion mit der EU und weitere Waffen- und Militärhilfe erhofft. Gabriel stellte klar, dass weitere Rüstungslieferungen davon abhängen, dass man Probleme löse - dazu gehöre auch der Fall Deniz Yücel. 

Der inhaftierte Journalist machte sich Sorgen, dass er zum politischen Spielball wird. In einem schriftlich über seine Anwälte geführten Interview der Deutschen Presseagentur (dpa) wies er auf Abkommen zwischen Frankreich und der Türkei hin und sagte, er wolle seine Freiheit "weder mit Panzergeschäften von Rheinmetall" befleckt wissen, noch mit der Auslieferung von "putschistischen Ex-Offizieren". Er stellte klar: "Für schmutzige Deals stehe ich nicht zur Verfügung". Gabriel wies das zurück, von schmutzigen Deals könne keine Rede sein.

Deniz Yücel wird nicht schweigen

Für Kristian Brakel wäre es ein "schmutziger Deal", wenn man nach einer Freilassung Deniz Yücels nicht mehr über die Türken rede, "die sich für Menschenrechte und Demokratie einsetzen und in Massen in Gefängnissen verschwinden". Sie hätten im Gegensatz zu deutschen Staatsbürgern noch nicht einmal die Chance, beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof Gehör zu finden. Zum Fall Yücel haben Deutschland und die Türkei Stellung bezogen, eine Entscheidung wird in den nächsten Monaten erwartet.

Deniz Yücel jedenfalls wollte auch im Gefängnis nicht schweigen, sondern beobachten, schreiben und seinen Job als Journalist machen. Er hat schon im Polizeigewahrsam Texte neben die Bilder im "Kleinen Prinzen" geschrieben und herausgeschmuggelt. Er macht weiter, das verspricht er im neuen Buch: "Wir sind ja nicht zum Spaß hier". Doris Akrap schreibt im Vorwort: "Es gibt nur einen Grund, Leute wie Deniz Yücel wegzusperren: Man will sie zwingen, endlich die Klappe zu halten. Damit klar ist, dass daraus nichts wird, erscheint dieses Buch."

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