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Keltenschatz bringt neue Erkenntnisse

Richard A. Fuchs11. Januar 2013

Die Kelten galten lange als kulturloses Barbarenvolk, das sich gegenseitig tot schlug. Neue Funde aus einem 2600 Jahre alten Grab lassen das vermeintliche Volk von Dorftrotteln in einem weitaus besseren Licht dastehen.

Ein Ohring mit Anhänger Foto:dpa
Bild: picture-alliance/dpa

Früher kannten den kleinen Bettelbühlbach am oberen Flusslauf der Donau nur Eingeweihte. Das änderte sich spätestens an dem Tag, als ein Grabungsteam im Sommer 2010 nahe dem Flüsschen in der Donauebene eine spektakuläre Entdeckung machte. Unweit der frühkeltischen Siedlung der Heuneburg bei Hundersingen stießen die Forscher auf ein prunkvoll ausgestattetes Hügelgrab einer keltischen Fürstin. Neben Gold und Bernstein entdeckten sie die komplette unterirdische Grabkammer aus mächtigen Eichenbalken, die über 2600 Jahre erhalten geblieben war.

Eine archäologische Sensation, die nur dadurch möglich wurde, dass der kleine Bettelbühlbach die gezimmerte Holzkonstruktion konstant mit Wasser umspült hat, sagt Nicole Ebinger-Rist, leitende Restauratorin des Projekts. "In trockenen Böden hätte das Holz keine Chance gehabt, über all die Jahrhunderte zu überleben." Mittels der Holzfunde erhoffen sich die Forscher jetzt völlig neue Erkenntnisse über die Geschichte und Kultur der Kelten, können sie jetzt doch über die Jahresringe der Hölzer die Funde jahrgenau datieren.

Chefrestauratorin Nicole Ebinger-Rist bei der ArbeitBild: DW

Barbaren mit Sinn für Kunst und Kultur

Das könnte das Bild der Kelten verändern. Vor allem in den Augen römischer Schriftsteller handelte es sich bei dieser heterogen Gruppe von Völkern um äußerst primitive Barbaren, die lediglich durch kriegerische Grausamkeit glänzten. Ein Zerrbild, sagt Professor Dirk L. Krausse vom Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg. "Da ist natürlich auch ein Stück Propaganda dabei, weil die Kelten 387 vor Christus Rom erobert hatten, also damals so primitiv gar nicht gewesen sein konnten." Auch die Überreste der Heuneburg bei Hundersingen selbst deuten an, dass der keltische Stamm an der oberen Donau weit entwickelter war als bisher gedacht.

Die Heuneburg gilt als Zentrum der keltischen Kunst und Kultur in Südwestdeutschland. In ihrer Blütezeit schützten gigantische Wallanlagen eine Siedlung für bis zu 10.000 Menschen. Hier pflegte eine adlige Elite den südländischen Lebensstil: Goldschmuck von den Etruskern, Wein aus Griechenland und Tafelgeschirr aus Südspanien wurden hier gehandelt. Das Grab der keltischen Fürstin bestätigt dieses andere Bild der kulturinteressierten Barbaren.

Die Heuneburg war Machtzentrum der KeltenBild: picture-alliance/dpa

Filigran verzierte Goldperlen und Ohrringe, Gewandspangen aus massivem Gold, ein Brustcollier aus Bernstein und ein Gürtel aus Bronze sind nur einige der Grabbeigaben, die die Archäologen verblüfften. "Wir finden hier jeden Tag Objekte, die wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht einordnen können", sagt Grabungsleiter Krausse.

Archäologie zwischen Laserscanner und Knochenarbeit

Die Grabkammer, die inzwischen auch Keltenblock genannt wird, gilt neben dem guten Erhaltungszustand auch noch aus einem weiteren Grund als archäologischer Sensationsfund. Denn für gewöhnlich müssen sich Denkmalschützer damit begnügen, bereits in der Antike geplünderte Gräber zu bergen. Nicht so beim Keltenblock: Neben dem Skelett der Fürstin und eines unbekannten Kindes stapelten sich die Grabbeigaben aus Gold, Bernstein, Gagat und Bronze. Schnell zeigte sich allerdings, dass diese Schätze am Fundort im Flussbett der Donau nicht zu bergen waren. Die Idee einer Blockbergung entstand, bei der Spezialfirmen die mit Stahl ummantelte Grabkammer aus dem Kiesbett auf einen Schwerlaster hoben. Vom Fundort ging es dann ins Speziallabor bei Stuttgart, wo die Grabkammer jetzt untersucht wird.

Archäologen, Restauratoren, Grabungstechniker, Anthropologen und Botaniker kümmern sich hier in mühevoller Kleinstarbeit um die 3,6 mal 4,6 Meter große Grabkammer, erklärt Nicole Ebinger-Rist während sie auf einem fahrbaren Gerüst steht. "Die Kollegen liegen hier auf dem Bauch mit dem Blick in die Tiefe, schwebend über den Funden." Zentimeter und Zentimeter geht es mit Pinsel, Spachtel und Pinzette von der Decke der Grabkammer bis hinunter zum Boden. "Dieser Raum, der früher mit unterschiedlichsten Gegenständen ausgestattet war, hat sich nun durch den Erddruck auf wenige Millimeter komprimiert."

Vom Fundort ging es für das Grab mit dem Schwerlaster ins Labor nahe LudwigsburgBild: dapd

Mit Laser- und Streifenlichtscannern sowie Computertomographen lassen die Forscher am Computer aus dem zusammengepressten Sandwich wieder das dreidimensionale Bild der unversehrten Grabkammer entstehen. Neben Gold- und Bernstein-Schmuck haben es die Wissenschaftler vor allem aber auch auf tierische und pflanzliche Überreste abgesehen. "Die organischen Materialien sind eigentlichen genauso wichtig wie die Funde, weil diese Rückschlüsse über das Bestattungsritual geben", sagt Chefrestauratorin Ebinger-Rist.

In Millimeter-Schritten in Jahrtausende alte Geheimnisse abtauchen: die Restauration ist PräzisionsarbeitBild: DW

Dem Untergang der Kelten auf der Spur

Wenn im Frühling 2013 die Freilegung des Grabes beendet ist, dann liegen bereits mehr als zwei Jahre Feinpräparation hinter dem sechsköpfigen Grabungsteam. Schritt für Schritt folgt dann die Auswertung, bei der Grabungsleiter Krausse vor allem die Identität der bestatteten Frau eindeutig klären will: "Wir nennen sie Fürstin, aber letztlich wissen wir über die gesellschaftliche Organisation der Zeit sehr wenig, weil wir keine Schriftquellen haben."

Mehr Wissen über die Herrschaftsriege der Kelten, davon versprechen sich die Wissenschaftler die Antwort auf eines der großen Rätsel der mitteleuropäischen Geschichte: bis heute bleibt unklar, warum die Kelten vom 6. Jahrhundert vor Christus bis zu Christi Geburt auf dem Sprung zur Hochkultur waren, um dann abrupt von der Bühne der Weltgeschichte zu verschwinden. Sollte das Rätsel gelöst werden, dann dürfte der kleine Bettelbühlbach unweit der Heuneburg ebenfalls in die Geschichte eingehen. Denn ohne sein Wasser hätten große Teile des mächtigen Keltenblocks ihren 2600 Jahre andauernden Dornröschenschlaf nie überlebt.

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