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Mut machen in der Klimakrise

1. April 2020

Die Coronakrise ist eine Herausforderung, die Klimakrise auch. Deutschlands bekannte Energieökonomin Claudia Kemfert sieht mit ihrem neuen Buch "Mondays For Future" Chancen für Wandel, wenn wir anpacken.

Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)
Bild: picture-alliance/Eventpress Stauffenberg

DW: In Ihrem neuen Buch "Mondays For Future: Freitag demonstrieren, am Wochenende diskutieren und ab Montag anpacken und umsetzen", geben Sie Antworten auf 120 Fragen zum Klimawandel und was zu tun ist. Wie ernst ist die Lage?

Claudia Kemfert: Ernst. Wir benötigen mehr Klimaschutz und wissen das seit mehreren Jahrzehnten. Jetzt sehen wir, dass der Klimawandel sehr stark und sehr schnell voranschreitet. Aus diesem Grund müssen wir alles tun, um die Emissionen deutlich zu senken. Wir haben keine Zeit, noch einmal 15 Jahre zu vertrödeln. Es ist wichtig, dass wir ins Handeln kommen. Da sind wir alle gefragt und müssen dringend gemeinschaftlich loslegen.

"Die Uhr tickt unüberhörbar", schreiben Sie im Buch. Was heißt das genau?

Das heißt: Emissionen runter, und zwar schnell! Bis 2050 müssen sie bei null liegen, um das Klimaziel von Paris zu erreichen – also das Ziel einer maximalen Erderwärmung von 1,5 bzw. 2 Grad.

Dafür sind drei Aufgabenbereiche besonders wichtig: Erstens muss die Wirtschaft komplett dekarbonisiert werden – weg von einer Energieversorgung mit fossiler Energie, hin zu erneuerbaren Energien und Energieeinsparung durch klimaschonende Technologien.

Außerdem muss die gesamte Mobilität umgebaut werden, also: Verkehr vermeiden, verlagern und verbessern. Etwa indem wir Ökostrom im Schienenverkehr und für Elektrofahrzeuge nutzen und im Schiffs-, Flug- oder Schwerlastverkehr klimaschonende Antriebe zum Einsatz bringen. Und als drittes muss die Landwirtschaft klimaneutral werden. Dahinter steckt ein großer Batzen an verschiedenen Detailaufgaben. Und die müssen wir schnell angehen!

Noch knapp 420 Milliarden Tonnen CO2 darf in die Atmosphäre zur Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels. Was bedeutet diese Menge?

Diese Zahl bezieht sich auf das Szenario vom Weltklimarat zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels. Das ist das maximale Budget von Treibhausgasen – weltweit! Und wenn wir jetzt einfach so weitermachen wie bisher, dann ist dieses Budget in etwa zehn Jahren aufgebraucht. Je früher wir die Emissionen senken, desto länger haben wir Zeit.

Das Motto heißt: "Flatten The Curve". Das, was wir derzeit beim Umgang mit dem Corona-Virus lernen, gilt auch beim Klimaschutz. Wir müssen heute handeln, um die Katastrophen von morgen und übermorgen zu verhindern.

Ist es möglich, das CO2-Budget einzuhalten?

Natürlich ist es möglich, wenn wir wollen. Je eher wir einsteigen, desto länger können wir mit dem Budget haushalten. Viele Investitionen von heute reichen weit über zehn Jahre hinaus.

Die Fehler der Vergangenheit, in denen wir nicht über Zukunftsfolgen nachgedacht haben, dürfen wir nicht wiederholen. Nichthandeln ist teuer. Die Schäden eines ungebremsten Klimawandels sind gewaltig. Deswegen müssen wir jeden den Hebel umlegen und alles tun, um fossile Energien zu ersetzen.

Lesen Sie mehr: CO2-Diät: Was können wir tun?

Sie sagen im Buch, dass die fossile Industrie im Sterben liegt. Woran machen Sie das fest?

Das ist eine logische Marktentwicklung: Je stärker der Klimaschutz wächst, desto mehr wird fossiles Kapital abgewertet. In der Finanzwelt findet bereits eine Art Schlussverkauf fossiler Anlagen statt. Der Börsengang [des saudischen Ölkonzerns] Saudi Aramco im letzten Winter war dafür ein Beispiel.

Zwar fließt immer noch enormes Kapital in fossile Energien, aber dieser Kapitalfluss nimmt ab. Hier entsteht eine sogenannte Carbon Bubble. Unternehmen mit toxischem fossilem Kapital drohen enorme wirtschaftliche Probleme. Wenn diese Blase platzt, könnte das eine Finanzkrise auslösen, die wir dann möglicherweise durch "Carbon Bad Banks" mit erheblichen Steuergeldern ausgleichen müssten. Solche Risiken können wir vermeiden, indem wir rechtzeitig umsteuern und das Geld umwidmen. Deswegen orientieren sich immer mehr um und investieren lieber in erneuerbare Energien, in klimaschonende Technologien und grüne Unternehmen.

Zur Überwindung der Corona-Krise gibt es viel Geld vom Staat. Sollte die Klimakrise gleich mitgedacht werden?

Unbedingt! Sonst machen wir den Fehler von 2009 ein zweites Mal: In der Finanzkrise 2009 hatte man Konjunkturprogramme und Finanzhilfen für veraltete Technik ausgegeben. Diesmal sollen wir es in zukunftsfähige Technologien investieren. Sonst bezahlen wir die Rettung aus der einen Krise blind mit den Kosten der nächsten Krise.

Beim Wiederaufbau nach der Pandemie sollten wir deswegen klimaschonende Technologien wie Digitalisierung, Öffentlicher Personennahverkehr, Schienenverkehr, Smartgrid, Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektro-Fahrzeuge und emissionsfreie Antriebe auch für den Flugverkehr fördern.

Sie beschrieben in Ihrem letzten Buch den Kampf der fossilen Industrie gegen die erneuerbaren Energien. Hat sich dieser Kampf verändert?

Die Kämpfe gibt es nach wie vor. Wir erleben das täglich. Es läuft ein konzertiertes Klimaschutz- und Energiewende-Mobbing, mit dem offensichtlichen Ziel, das für einzelne Industrien lukrative fossile Zeitalter zu verlängern. In dem aktuellen Buch will ich aber nicht über sterbende Branchen reden, sondern um die Zukunft, um die es jetzt geht.

Viele Jugendliche protestieren Freitags auf den Straßen - für ein besseres KlimaBild: DW/G. Rueter

Für wen haben Sie das Buch geschrieben?

Klimaschutz geht alle an. Viele Menschen wollen etwas tun. Ihnen will ich Mut machen und Ideen geben. Es ist egal, wie alt oder an welcher Stelle der Gesellschaft man ist. Im Buch erkläre ich viele Facetten eines nachhaltigen Engagements und rege an, weitere hinzuzufügen. Auf der Webseite sammele ich ab Erscheinen des Buchs Links zu unterschiedlichsten konkreten Initiativen. Vielleicht inspiriert das zusätzlich.

Sie nennen 53 Aufgaben für den Anfang in Ihrem Buch. Womit fängt man an?

Es ist gibt keine Reihenfolge und keine Hierarchie. Jeder noch so kleine neue Green Deal hilft. Man kann sich eine der 53 Aufgaben herauspicken oder neue ergänzen. Es gibt wirklich viel zu tun. Hauptsache wir fangen an. Jeder und jede hat unterschiedliche Prioritäten. Es geht darum, alle Entscheidungen unter Klimaaspekten zu fällen. Das heißt: Schädliches Verhalten zu ändern, Bewährtes fortzuführen, aber auch Neues zu wagen. Je mehr Menschen mitmachen, desto schneller kommen wir vorwärts.

Prof. Claudia Kemfert ist Wissenschaftlerin für Energie- und Klimaökonomie. Sie leitet die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und ist Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance in Berlin. Sie ist eine mehrfach ausgezeichnete Spitzenforscherin, Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU) und im Club of Rome. Das Buch "Mondays For Future: Freitag demonstrieren, am Wochenende diskutieren und ab Montag anpacken und umsetzen", erscheint am 21.4. im Murmann Verlag.

Das Interview führte Gero Rueter.

 

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