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Ken Saro-Wiwa und Nigerias ungelöstes Öl-Problem

9. November 2025

Vor dreißig Jahren wurden neun Umweltaktivisten aus dem Nigerdelta hingerichtet - die legendären "Ogoni 9". Ihr Protest gegen Ölverschmutzung lebt weiter. Eine späte Begnadigung sorgt für mehr Wut statt Versöhnung.

Warnschild vor Verschmutzung im Nigerdelta
Der Fluss Bodo ist so stark verschmutzt, dass Warnschilder darauf hinweisen: Es ist verboten, das Wasser zu trinken oder hier zu schwimmen oder zu fischenBild: Yasuyoshi Chiba/AFP/Getty Images

Er war geliebt und gefürchtet für seine klaren Worte: Ken Saro-Wiwa brachte das Desaster der Ölförderung im Nigerdelta auf die internationale Agenda. Und er räumte mit dem Gerücht auf, dass Erdöl das Land zu Wohlstand verhelfen werde: "Wenn wir ein ordentliches System hätten, würden sie feststellen, dass es sowieso nicht so viel Geld im Ölgeschäft gibt", sagte Saro-Wiwa der DW in einem Interview im November 1993. "Wegen des Öls gibt es eine Menge Zerstörung, für die das Land nicht bezahlt hat und für die es zu gegebener Zeit bezahlen wird. Die Menschen sollten sich also nach anderen Quellen für ihren Lebensunterhalt umsehen, anstatt auf das Öl zu schielen."

Ken Saro-Wiwa, hier bei einem Protest 1993, wurde zum Vorreiter des Umweltaktivismus in NigeriaBild: AFP/Greenpeace/dpa/picture alliance

Wenige Tage später errichtete der Militärgeneral Sani Abacha eine grausame Diktatur in Nigeria. Weitere zwei Jahre später war Saro-Wiwa tot - und mit ihm acht weitere Aktivisten, bekannt als die "Ogoni 9". Aus Sicht ihrer Unterstützer wurden sie ermordet von einem korrupten System, das weiter vom Reichtum des Öls profitieren wollte. Doch das Erbe von Saro-Wiwas Kampf lebt weiter. Als "mutigen und selbstlosen Mann" und "Visionär" bezeichnet ihn Nnimmo Bassey, heute einer der renommiertesten Umweltaktivisten im Nigerdelta, im DW-Interview: "Er war seiner Zeit sehr, sehr weit voraus."

Zerstörerische Ölförderung im Nigerdelta

In den 1950er Jahren stieß der damals noch niederländische Ölkonzern Shell im Nigerdelta auf Öl. Es war der Anfang einer langen Geschichte der Zerstörung - gegen den Willen der dort lebenden Ogoni-Ethnie. Bald wurde die Ölverschmutzung deutlich sichtbar: Das Wasser war nicht mehr trinkbar, große Flächen nicht mehr landwirtschaftlich nutzbar. Jahrzehntelange Proteste von Vertretern der Ogoni blieben ohne Erfolg.

Nnimmo Bassey hat wie Saro-Wiwa den Right Livelihood Award bekommen. Sein Aktivismus führte ihn etwa zur Welt-Klimakonferenz 2022 in Ägypten.Bild: Sean Gallup/Getty Images

Der Widerstand bekam neuen Antrieb, als der Intellektuelle Ken Saro-Wiwa, der sich als Autor und Theaterschauspieler einen Namen gemacht hatte, 1990 die "Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes" (MOSOP) gründete. MOSOP versammelte die Bevölkerung hinter sich und argumentierte, dass Shells Aktivitäten die Umwelt in der Region zerstörten und der einheimischen Bevölkerung keinen Nutzen brachten. In den Folgejahren verschaffte die Organisation ihrem Kampf eine große Sichtbarkeit. 1994 wurden Saro-Wiwa und MOSOP mit dem renommierten Right Livelihood Award ausgezeichnet, der auch bekannt ist als "Alternativer Nobelpreis".

Ken Saro-Wiwas vielseitiger Widerstand

"Er war sehr konkret in dem, was er forderte", sagt Nnimmo Bassey heute. Selbst Autor und Träger des Right Livelihood Award, hat er viele Anknüpfungspunkte. Saro-Wiwa habe Begriffe benutzt, vor denen sich andere scheuten, führt Bassey im DW-Interview aus: "Die Menschen wollen gerne politisch korrekt sein. Er nannte das, was passierte, schlicht einen Umwelt-Genozid an den Ogoni. Und das beschreibt genau, was wir heute im ganzen Nigerdelta sehen: einen Umwelt-Genozid." Erst Jahre später sollten Umweltstudien das massive Ausmaß der Zerstörung akribisch dokumentieren.

Der Protest richtete sich nicht nur gegen die Regierung und regionale Behörden. Die Bewegung drohte auch, den Betrieb der Ölförderanlagen zu stören. Anfang Januar 1993 organisierte MOSOP einen friedlichen Protest, an dem fast 300.000 Ogoni im nigerianischen Bundesstaat Rivers teilnahmen. Kurz darauf musste Shell tatsächlich einen Großteil seiner Mitarbeiter aus Sicherheitsgründen abziehen und die Produktion massiv herunterfahren.

Im DW-Interview im November sagte Saro-Wiwa der DW: "Wenn die Bundesregierung 97 Prozent der Ölgelder einbehält, aber nicht 97 Prozent der Umweltverschmutzung beseitigt, macht sie etwas falsch."

Nigerias Militärdiktatur gegen den Rest der Welt

Nachdem Abacha seine Militärführung eingerichtet hatte, spitzte sich die Lage weiter zu. Die Regierung machte sich auch Spannungen innerhalb der Bewegung zunutze. Im Mai 1994 wurden vier Ogoni-Führer ermordet. Die Regierung benannte Saro-Wiwa und acht weitere Ogoni-Führer als Schuldige. Trotz der internationalen Unterstützung und der Preise für Saro-Wiwa und die Bewegung wurden die "Ogoni 9" in einem Prozess zum Tode verurteilt und am 10. November 1995 gehängt.

Die Hinrichtungen lösten einen internationalen Aufschrei aus, der dazu führte, dass Nigeria für mehr als drei Jahre aus der Staaten-Vereinigung "Commonwealth of Nations" ausgeschlossen wurde.

International gab es Proteste - hier 1995 in Berlin - gegen die Hinrichtung von Ken Saro-Wiwa und seine acht MitstreiterBild: Peer Grimm/ZB/picture alliance

Einige Zeugen sprachen später davon, von der Regierung bestochen worden zu sein oder gaben an, dass ihnen von Shell Arbeitsplätze versprochen wurden. Welche Rolle Shell im Detail in der Sache spielte, konnte nie ganz aufgeklärt werden. Im Jahr 2009 zahlte der Ölkonzern insgesamt 15,5 Millionen US-Dollar (heute rund 13 Millionen Euro) an die Angehörigen der Ogoni 9. Shell betonte damals, dies sei eine "humanitäre Geste" und kein Schuldeingeständnis. 

Fortschritte und Stagnation

Die Umweltökonomin Priscilla Airohi-Alikor vom Centre for the Study of the Economics of Africa sieht langsame Fortschritte in der Frage der Ölverschmutzung im Nigerdelta. Ein entscheidender Erfolg der MOSOP-Bewegung: "Shell hat seit 1993 kein Öl in Ogoniland gefördert." Doch Lecks von Ölanlagen verschmutzten die Umwelt weiter. Nach Ende der Abacha-Diktatur rief Nigeria die Kommission für die Entwicklung des Nigerdeltas NDDC ins Leben. Und 2011 veröffentlichte das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) 2011 die erste wissenschaftliche Analyse der Umweltverschmutzung, die bestätigte, dass die Ölförderung im Ogoniland tatsächlich zu einer ökologische Katastrophe geführt hatte.

Teilerfolge gegen Shell wurden hart erkämpft - mit Aktionen wie dieser 2021 in Den HaagBild: Mike Corder/AP Photo/picture alliance

Im Jahr 2016 folgte der damalige Präsident Muhammadu Buhari der Empfehlung der Vereinten Nationen: Er stellte ein Milliarden-Programm zur Sanierung des Nigerdeltas auf und versprach, die Schäden rückgängig zu machen und die Ökosysteme wiederherzustellen.

Die Verantwortung von Shell bleibt bei alldem ein Knackpunkt: 2021 wurde der Konzern nach langem Rechtsstreit verpflichtet, Bauern im Nigerdelta zu entschädigen. "Sie haben tatsächlich viele Gemeinschaften entschädigt", sagt Airohi-Alikor. "Aber immer unter der Prämisse, dass sie nicht haftbar gemacht werden für das, was diese Menschen erlitten haben. Und das Unternehmen hat sich auch den Aufräumarbeiten entzogen." Shell argumentiere, der größte Teil der Verschmutzung sei auf Sabotage zurückzuführen. Im Juni entschied ein britisches Gericht, dass Shell für die Umweltverschmutzung im Nigerdelta sehr wohl haftbar gemacht werden kann. Ob darauf rechtskräftige Urteile folgen, bleibt indes abzuwarten.

Aktivisten: Begnadigung "nicht genug"

So bleibt die Stimmung auch 30 Jahre nach dem Tod der Ogoni 9 gedämpft. Daran ändert auch eine Erklärung vom Juni dieses Jahres nichts: Da verkündete die Regierung die Begnadigung von Ken Saro-Wiwa und seinen acht Mitstreitern, die dazu hohe nationale Ehren erhielten. Auch die vier zuvor ermordeten Ogoni-Führer wurden geehrt. Für heutige Aktivisten wie Nnimmo Bassey klingt das wie Hohn: "Wir sagen, dass das nicht genug ist. Man muss sie freisprechen, denn man begnadigt niemanden, der keine Straftat begangen hat." Eine Begnadigung zu akzeptieren, sei ein Schuldeingeständnis. "Wir wissen, dass sie sich der erfundenen Anschuldigungen, die die Regierung gegen sie vorgebracht hat, nicht schuldig gemacht haben."

Umso mehr erzürnt Bassey, dass die Regierung bereits Gespräche über neue Ölförderung im Nigerdelta führt - obwohl die alten Schäden noch lange nicht beseitigt seien - und dass Shell sich nun auf Tiefseebohrungen verlagern wolle, womit es sich nationalen Gerichtsbarkeiten entziehe. Dabei sei es an der Zeit, das fossile Zeitalter hinter sich zu lassen.

Ölgeschäft zukunftsfähig?

Doch Nigeria steht vor einem Dilemma: Die Volkswirtschaft ist stark abhängig von fossilen Brennstoffen. Je nach Datengrundlage bestreitet das Land 85 bis 92 Prozent seiner Exporte nach wie vor mit Erdöl, Ölerzeugnissen und Gas.

Zugleich bekomme das Land die Folgen des Klimawandels wie Hochwasser und Hitzewellen zu spüren und sei dringend auf Mittel zur Bewältigung dieser Klimafolgen angewiesen, sagt Expertin Priscilla Airohi-Alikor. Ken Saro-Wiwas Mahnung, nicht zu sehr auf die Erlöse aus dem Ölgeschäft zu bauen, hat für sie einen prophetischen Anklang: "Wenn das Land nicht bald aktiv wird, werden die Erlöse aus dem Ölgeschäft in die Aufräumarbeiten fließen. Wenn wir die Umweltkosten von Gasverbrennung und Öllecks miteinbeziehen, ist es ein Zuschussgeschäft."

Verseuchte Umwelt im Nigerdelta

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