Kenia debattiert über "bestechliche Abgeordnete"
30. August 2025
Ein hitziges Wortgefecht zum Thema Korruption hat Kenias politische Klasse erschüttert. Es begann mit einer Aussage von Präsident William Ruto, der Abgeordneten vorwarf, Bestechungsgelder für sich selbst zu kassieren. Diese Behauptung fiel in eine Zeit, in der eine neue Umfrage korruptionsanfällige Ministerien ans Licht brachte und die öffentliche Empörung neu entfachte.
Die nationale Umfrage zu Ethik und Korruption 2024 offenbart ein düsteres Bild des kenianischen Alltags: Viele Bürger sind weiterhin gezwungen, Bestechungsgelder zu zahlen, um Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen zu erhalten. Diese weit verbreitete Praxis ist demnach so alltäglich geworden, dass die meisten Betroffenen nicht einmal mehr den Aufwand betreiben, sie zu melden. Zwar geht die durchschnittliche Höhe der Bestechungsgelder zurück - doch die Praxis bleibt laut der Umfrage weiterhin tief verwurzelt, wobei die meisten Fälle nicht gemeldet werden.
Wer stiehlt wo?
Bei einer gemeinsamen Sitzung der Parlamentsfraktionen am 18. August erklärte Präsident Ruto, dass auch Abgeordnete zu den Bestechungsgeld-Empfängern gehörten - was im kenianischen Parlament Empörung auslöste, aber auch Unterstützung von Bürgern fand, die der unerfüllten Versprechen im Kampf gegen die Korruption überdrüssig sind.
"Es gibt Leute, die die Glaubwürdigkeit des Parlaments zerstören und im Namen des Parlaments Geld einsammeln, das meistens nie beim Parlament ankommt, sondern nur bei einigen wenigen Leuten", sagte Ruto. "Wir werden sie nicht bloßstellen. Wir werden sie verhaften. Sowohl die Geber als auch die Empfänger müssen zur Rechenschaft gezogen werden."
Forderung nach Beweisen
Kritiker von Ruto warnen, dass die Anschuldigungen den Kampf gegen die Korruption politisieren könnten. Andere hingegen unterstützen ihn und betonen, dass die Äußerungen eine längst bekannte Wahrheit offenbaren, die in der Öffentlichkeit bislang nur hinter vorgehaltener Hand geäußert wurde.
Viele kenianische Abgeordnete wiesen die Vorwürfe jedoch entschieden zurück. Junet Mohamed, der Vorsitzende der Minderheitsgruppe, also der Gruppe aller Oppositionsfraktionen im Parlament, forderte den Präsidenten auf, seine Behauptungen zu belegen. "Wer Anschuldigungen erhebt, muss auch Beweise vorlegen", sagte Mohamed. "Die Beweislast liegt bei demjenigen, der die Anschuldigungen vorbringt - so einfach ist das."
Die Geschäftsführerin der Minderheitsgruppe, Millie Odhiambo, bekräftigte die Forderung, Beweise zu liefern, anstatt das Parlament als Ganzes zu diskreditieren. "Man muss die Mitglieder einzeln untersuchen und uns mitteilen, inwiefern sie korrupt sind und wer ihnen diese Bestechungsgelder gezahlt hat", sagte sie.
Auch der ehemalige Abgeordnete Wilson Sossion, der heute als Governance-Analyst arbeitet, lehnt eine kollektive Schuldzuweisung ab. "Ganz sachlich gesprochen ist Korruption in allen Institutionen Kenias vorhanden, das ist eine Tatsache, und das Parlament ist da vielleicht keine Ausnahme", so Sossion. Dennoch seien die pauschalen Äußerungen des Präsidenten fehl am Platz: "Ich spreche nicht vom Parlament als Institution, sondern von einzelnen Personen, die darin verwickelt sein können. Und dann wissen die anderen Mitglieder vielleicht gar nichts davon", sagte er gegenüber der DW.
Der Vorsitzende der Ethik- und Antikorruptionskommission, der emeritierte Bischof David Oginde, sagte, dass Korruption zwar weit verbreitet sei, die meisten Kenianer jedoch ehrlich blieben. "Wir sind als Nation an einem Punkt angelangt, an dem Korruption zu etwas Selbstverständlichem geworden ist, so dass wir als normale Bürger sogar diejenigen zu feiern scheinen, die korrupt sind oder deren Reichtum wir uns nicht erklären können", sagte er.
Oginde betonte, dass fast 70 Prozent der Kenianer laut Umfrage keine Bestechungsgelder zahlen. "Viele halten Kenianer für korrupt, doch die Mehrheit ist es nicht. Deshalb unterstützt die Bevölkerung die Korruptionsbekämpfung - weil nur wenige tatsächlich korrupt sind."
Öffentlichkeit geteilter Meinung über Rutos Haltung
In den Straßen Nairobis reagieren die Leute unterschiedlich auf die Äußerungen des Präsidenten. Mathew Wafula kritisiert, Rutos scharfe Rhetorik sei ein Bruch mit dem beratenden Führungsstil, den er einst versprochen hatte. "Seine Abkehr von einem partizipativen Ansatz hin zu Angriffen auf das Parlament wirft viele Fragen auf", sagt Wafula. Andere, wie Maxwell Oloo, fordern entschlossenes Handeln: "Korruption muss bestraft werden. Schuldige gehören ins Gefängnis, und die Justiz sowie der Präsident müssen aktiv werden."
Jeff Mwendwa argumentiert, dass der Präsident selbst Rechenschaft ablegen müsse. "Ich verstehe nicht, wie der Präsident den Abgeordneten Korruption vorwerfen kann, wenn er selbst Teil der Korruption ist", erklärte er.
Kenia verliert jedes Jahr Milliarden von Schilling durch Korruption - Geld, das laut Ökonomen sonst für das Gesundheitswesen, Bildung und Infrastruktur verwendet werden könnte. Die Afrikanische Entwicklungsbank schätzt, dass die Wirtschaft des Landes jährlich etwa 1,5 Milliarden Dollar (1,3 Milliarden Euro) durch Bestechung und illegale Finanzströme verliert.
Starke Gesetze - schwache Durchsetzung
Nach Ansicht von Analysten liegt das Problem nicht in fehlenden Gesetzen, sondern in einer schwachen Durchsetzung und einem begrenzten politischen Willen. Kenia hat zwar ein Gesetz gegen Korruption und Wirtschaftskriminalität sowie das Bestechungsgesetz verabschiedet, doch Verurteilungen sind nach wie vor selten und Skandale in den höchsten Ebenen enden oft, ohne dass jemand zur Rechenschaft gezogen wird.
Zivilgesellschaft und Experten setzen auf digitale Dienste als Weg nach vorn. E-Government könnte durch weniger persönlichen Kontakt die Bestechungschancen verringern. Zudem fordern sie mehr Schutz für Whistleblower und eine stärkere, unabhängige Justiz.
Der öffentliche Druck für Reformen wächst, wobei Aktivisten argumentieren, dass konsequente Durchsetzung der Rechtsprechung und Transparenz die einzigen Wege sind, um Vertrauen wiederherzustellen. Für viele Kenianer geht es darum, zu zeigen, dass die Machthaber, einschließlich der Parlamentsmitglieder, denselben Standards unterliegen wie normale Bürger.
Aus dem Englischen übersetzt von Silja Fröhlich