Kenia: Wieder Tote bei Montagsdemos
6. Juni 2016Wieder fliegen Steine, zischen Schüsse durch die Luft: Auch diese Woche beginnt mit Protesten und Gewalt in Kenia. In Kisumu, der drittgrößten Stadt des Landes, sollen mindestens zwei Demonstranten von Polizisten erschossen worden sein, weitere sechs liegen mit zum Teil schweren Verletzungen in Krankenhäusern, berichten internationale Nachrichtenagenturen. Nach Angaben des Roten Kreuzes in Kenia wurden auch die Verletzten von Polizeikugeln getroffen.
In der Hauptstadt Nairobi dagegen sei es an diesem Montag verhältnismäßig ruhig geblieben, berichtet DW-Korrespondent James Shimanyula. Doch auch dort sei die Polizei wieder mit "großer Härte" gegen Demonstranten vorgegangen.
Deren Forderung ist seit Wochen die gleiche: "IEBC must go", die Wahlkommission muss weg, ihre Mitglieder ersetzt werden. Die IEBC ist in Kenia dafür verantwortlich, die Wahlen zu organisieren und ihre Fairness zu überwachen. Viele Regierungsgegner halten die Behörde aber für korrupt und parteiisch, werfen ihr vor, die Interessen von Staatschef Uhuru Kenyatta und seiner Regierungskoalition Jubilee zu vertreten.
"Wie im Bürgerkrieg"
Die Regierung weist die Vorwürfe zurück und versucht, die Proteste zu unterdrücken. Ein Gericht in Nairobi hatte die Demonstration für diesen Montag untersagt. Polizeichef Japheth Koome warnte sogar: "Wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist, nehmen Sie nicht an den Demonstrationen teil". Trotzdem gingen wieder Tausende auf die Straße. Es gebe keine rechtliche Grundlage für das Verbot, erklärte der Oppositionspolitiker James Orengo.
Besonders das harte Vorgehen der Polizei wird scharf kritisiert. Ihr wird immer wieder übermäßige Gewaltanwendung vorgeworfen - etwa am 23. Mai. An diesem Tag hatten Polizisten zwei Demonstranten getötet. Ein weiterer war ums Leben gekommen, als er sich auf der Flucht vor Tränengasgranaten verletzte. "Die Polizisten laufen da auf mit Wasserwerfern und Tränengas", beschreibt Heinz Bongartz, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Nairobi, seine Beobachtungen im Gespräch mit der DW. "Die sehen aus, als ob sie in den Bürgerkrieg ziehen - und das offensichtlich mit der Rückendeckung der Regierung."
Aber auch viele Demonstranten verhalten sich alles andere als friedlich. Junge Leute würden Steine werfen und die Polizei provozieren, sagt Bongartz. Es sei nicht sicher, was und wer genau dahinter stecke. "Das sind frustrierte junge Arbeitslose. Die kannst du einerseits dafür bezahlen, dass sie ein wenig Terror machen", sagt er. "Man kann man sich aber auch vorstellen, dass diese Leute von der anderen Seite bezahlt werden, um die Initiatoren der Demonstrationen zu diskreditieren."
Die kompromisslose Haltung beider Seiten und die Gewaltbereitschaft erinnern an die Unruhen nach den Wahlen 2007. Damals kamen über 1.000 Menschen ums Leben. Viele Oppositionelle halten diese Wahlen nach wie vor für gefälscht und fürchten, dass die für August 2017 geplanten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ähnlich ausgehen und und dass dann neue Ausschreitungen drohen.
Ultimatum statt Verhandlungen
Woher aber kommt die Kompromisslosigkeit? Nach Meinung politischer Beobachter in Kenia gibt es keine grundsätzlichen ideologischen Unterschiede: Sowohl der Regierungsblock Jubilee als auch der Oppositionsblock CORD vertreten eine Linie, die als liberal und marktkonform bezeichnet wird. Der Konflikt verlaufe auch entlang ethnischer Linien, sagt Heinz Bongartz von der Friedrich-Ebert-Stiftung: "Wir haben in der Regierung die Volksgruppe der Kikuyus und die Luos sind der große Gegenspieler der Kikuyus. Die hassen sich wie Deutsche und Franzosen nach dem ersten Weltkrieg." Diese ethnischen Unterschiede würden politisch missbraucht.
Bislang sind beide Seiten nicht bereit, aufeinander zuzugehen. Laut Verfassung kann eine einmal ernannte Wahlkommission nur über eine Petition an die Nationalversammlung aufgelöst werden. Oder durch einen freiwilligen Rücktritt ihrer Mitglieder. Aber das lehnt Kommissionschef Isaack Hassan ab.
Präsident Kenyatta hatte sich Ende Mai mit Oppositionsführer Raila Odinga von der CORD-Koalition zu einem Mittagessen getroffen, allerdings ohne Ergebnis. "Es gibt nur eine einzige Lösung für das Dilemma - und das sind politische Verhandlungen", sagt Beobachter Bongartz. "Wenn man hier Blutvergießen und politische Gewalt verhindern will, dann reicht ein Mittagessen nicht aus."
Genau das fordert auch die Opposition in Kenia: Johnson Muthama von der CORD-Koalition stellte Präsident Kenyatta jetzt ein Ultimatum: "Wir geben der Regierung noch zwei Wochen Zeit“, sagte er im Interview mit der DW. "Und wenn sie sich weiterhin weigert, über die Zusammensetzung der Wahlkommission zu verhandeln, dann werden wir nicht nur einmal, sondern zweimal, dreimal oder siebenmal die Woche auf die Straße gehen".