Elite auf der Anklagebank
24. Januar 2012Als die Richter in Den Haag am Montag (23.01.2012) ihre Entscheidung verkündeten, blieb manch ein Interessierter erst einmal außen vor: Unter dem Ansturm der Anfragen war die Website des Internationalen Strafgerichtshofes für Stunden unerreichbar. Doch kurz nach 11 Uhr mitteleuropäischer Zeit verkündeten die ersten Medien die Entscheidung von Richterin Ekaterina Trendafilowa: In vier von sechs Fällen bestätigte die Kammer die Anklagen von Chefankläger Luis Moreno-Ocampo. Die angeklagten Männer sollen für die Unruhen, die nach den Wahlen 2007 das Land erschütterten, die Hauptverantwortung tragen.
Nach den Wahlen hatten sich sowohl Präsident Mwai Kibaki als auch Herausforderer Raila Odinga zum Sieger ausgerufen. Darauf kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Volksgruppen, die jeweils einen der Kandidaten unterstützt hatten. Mehr als 1000 Menschen starben, hunderttausende wurden vertrieben. Erst nach zwei Monaten einigten sich beide Kontrahenten auf eine Koalitionsregierung.
Zwei Präsidentschaftskandidaten unter den Angeklagten
Die prominentesten Fälle sind der des Vize-Ministerpräsidenten Uhuru Kenyatta und der des suspendierten Ministers für höhere Bildung und Wissenschaft, William Ruto. Beide hatten angekündigt, bei den Präsidentschaftswahlen im März 2012 zu kandidieren. Auch gegen Radiomoderator Joshua Arap Sang und den Kabinettssekretär Francis Muthaura wird nun ein Verfahren eingeleitet.
In Kenia wurde die Entscheidung mit Spannung erwartet. In Umfragen hatte sich die Mehrheit der Kenianer für ein Verfahren in Den Haag ausgesprochen. "Die Arbeit des Strafgerichtshofes hat großen Rückhalt in der kenianischen Bevölkerung", sagt Neela Ghoshal, Kenia-Expertin von Human Rights Watch. Die eigene Justiz dagegen hat bis heute kein nationales Tribunal aufstellen können, um die Verantwortlichen für die Gewalt zur Rechenschaft zu ziehen.
Ruto: "Ein absurdes Urteil"
Nachdem die Richter in Den Haag die Entscheidung verkündet hatten, blieb es in Kenia zunächst ruhig. Die Polizei hatte bereits in der vergangenen Woche ihre Präsenz erhöht, um Unruhen vorzubeugen.
Die Beschuldigten reagierten nach der Entscheidung trotzig. William Ruto ließ verlauten, er werde trotz allem für die kommenden Präsidentschaftswahlen kandidieren. Es sei absurd ein Verfahren gegen ihn einzuleiten, sagte der suspendierte Minister. Zudem deutete er an, rechtliche Schritte prüfen zu wollen.
In Kenia sind die Meinungen geteilt, ob Uhuru Kenyatta und William Ruto trotz eines Verfahrens noch zur Präsidentschaftswahl antreten können. Die neue Verfassung erhebt nämlich den Anspruch der "persönlichen Integrität" an mögliche Kandidaten und Träger politischer Ämter.
Kenianer wollen Bestrafung für Schuldige
Viele Kenianer loben die Entscheidung des Strafgerichtshofes. "Heute ist ein großer Tag", sagt etwa Anthony Khamera aus Mombasa. "Das hat es noch nie gegeben, dass diese Menschen verurteilt wurden, die anderen Leid zugefügt haben". Auch John Kamau hofft auf ein Ende der Straflosigkeit: "Wenn Menschen Fehler machen, müssen sie verurteilt werden." Das ist allerdings keine Selbstverständlichkeit: In Kenia sind noch nie Spitzenpolitiker verurteilt worden, die ethnisch motivierte Gewalt geschürt haben. "Die kenianischen Gerichte wären in der Lage, die Fälle zu behandeln, aber es fehlt an politischem Willen auf Seiten der Regierung", meint Kipkorit Bergan aus Eldoret. In der Gegend rund um die Stadt im Westen Kenias leben viele der Anhänger von William Ruto.
Fallengelassen wurde die Anklage in zwei Fällen. Gegen Industrie-Minister Henry Kosgey und den früheren Polizeichef Mohammed Hussein Ali soll mangels Beweisen nicht weiter ermittelt werden. Besonders die letztere Entscheidung könnte für Diskussionen sorgen. Die Polizei war damals mit massiver Gewalt gegen Anhänger Odingas vorgegangen.
Autor: Philipp Sandner
Redaktion: Daniel Pelz