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LiteraturKenia

Kenias Literaturikone Ngugi wa Thiong'o ist tot

29. Mai 2025

Mit Romanen wie "Der gekreuzigte Teufel" und "Matigari" wies Ngugi wa Thiong'o auf Missstände im unabhängigen Kenia hin - und wurde dafür verfolgt. Afrika hat einen bedeutenden Schriftsteller verloren. Ein Nachruf.

Kenia 2025 | Literatur-Ikone Ngũgĩ wa Thiong'o im Alter von 87 Jahren gestorben
Der kenianische Schriftsteller Ngugi wa Thiong'o war einer der berühmtesten Literaten des afrikanischen KontinentsBild: Jonas Ekströmer/TT/IMAGO

Er wollte den afrikanischen Kontinent und sein Heimatland Kenia von der westlichen kulturellen Dominanz befreien - dies war die Mission des kenianischen Schriftstellers Ngugi wa Thiong'o. Am Mittwoch verstarb er im Alter von 87 Jahren.

"Schweren Herzens geben wir das Ableben unseres Vaters, Ngugi wa Thiong'o, am heutigen Mittwochmorgen bekannt", schrieb seine Tochter Wanjiku Wa Ngugi auf Facebook. "Er hat ein erfülltes Leben gelebt und für eine gute Sache gekämpft", fügte sie hinzu.

Berühmt schon mit 30

Der auf den Namen James Ngugi getaufte Schriftsteller wurde am 5. Januar 1938 in der zentralkenianischen Region Limuru geboren. Er sah seinen englischen Taufnamen als Zeichen des anglo-amerikanischen Neokolonialismus an und wies ihn von sich - aus James Ngugi wurde in den 1970er Jahren wieder Ngugi wa Thiong'o.

Ngugi studierte in den frühen 1960er Jahren am renommierten Makerere College (der heutigen Makerere University) in Kampala, Uganda, und an der University of Leeds im Vereinigten Königreich.

Bereits während dieser Zeit, im Alter von 30 Jahren, schrieb er Literaturgeschichte: Sein Drama "The Black Hermit" (Der schwarze Einsiedler) war 1962 bei Ugandas Unabhängigkeitsfeierlichkeiten aufgeführt worden.

Sein 1964 erschienener Roman "Weep Not, Child" war die erste Romanveröffentlichung eines ostafrikanischen Autors. Weitere englischsprachige Romane folgten.

Die Macht der Muttersprache

Ein Schlüsselerlebnis hatte Ngugi wa Thiong'o, als er gebeten wurde, zusammen mit seinem Schriftstellerkollegen Ngugi wa Mirii ein Stück für ein Volkstheater in der Nähe von Kenias Hauptstadt Nairobi zu schreiben. Damals lehrte er als Literaturprofessor an der Universität Nairobi.

Gemeinsam überlegten sie, welche Sprache dem Stück angemessen wäre. Später reflektierte Ngugi wa Thiong'o: "Allein die Tatsache, dass wir uns fragen mussten, in welcher Sprache wir das Drama schreiben würden, sagt viel darüber aus, wie weit wir uns von unserer Heimat entfernt hatten."

Die Antwort war, das Stück in der Alltagssprache der Menschen vor Ort zu schreiben - dem Kikuyu - das auch Muttersprache der beiden Autoren war. Das gemeinsame Theaterstück "Ngaahika Ndeenda" ("Ich heirate, wann ich will") wurde zum Erfolg.

Leben im Exil: Ngugi wa Thiong'o unterrichtete an der University of California vergleichende Literaturwissenschaft Bild: UNIVERSITY OF CALIFORNIA/EPA/picture alliance

Roman auf Klopapier

Der Erfolg des Theaterstücks führte zu Unmut der Regierung in Nairobi. Ihr ging Ngugis Einfluss als kritischer Denker offenbar zu weit. Sie verbot das Drama nach der neunten Aufführung, Ngugi kam für ein Jahr in Sicherheitsverwahrung.

Doch die Haft festigte nur seinen Entschluss, fortan in seiner Muttersprache zu schreiben. Noch im Gefängnis entstand sein erster Kikuyu-Roman "Der gekreuzigte Teufel". Ngugi schrieb ihn auf Toilettenpapier.

"Toilettenpapier im Gefängnis soll eine Strafe für die Gefangenen sein, deshalb ist es sehr rau", erklärte der Autor einige Jahre später. "Doch was für den Körper unangenehm ist, erwies sich als sehr gutes Schreibmaterial."

Das Erbe der Kolonialzeit

Literatur in afrikanischen Sprachen - das hatte es bis dahin kaum gegeben. Mit seiner Abkehr vom Englischen entfachte Ngugi eine hitzige Debatte. Ihm gegenüber standen Autoren wie der Nigerianer Chinua Achebe, deren Credo es war, sich die Kolonialsprachen zu eigen zu machen und sie an ihre Lebenswirklichkeit anzupassen.

Für Ngugi wurden Afrikas Kolonialsprachenzum Sinnbild neokolonialer Unterdrückung über die politische Unabhängigkeit hinaus: "Auf die physische Gewalt des Schlachtfelds folgte die psychische Gewalt des Klassenzimmers", so schrieb er 1986 in einem Essay.

Zu der Zeit lebte er bereits im englischen Exil - denn er wurde von der Regierung des damaligen kenianischen Präsidenten Daniel arap Moi verfolgt. Diesem bereitete Ngugis Wirken zunehmend Unbehagen.

Keine Zukunft in Kenia

Ein Beispiel ist Ngugis Held Matigari aus dem gleichnamigen Roman, der für die Desillusion der Freiheitskriege steht. Im Roman folgt auf den Siegestaumel des Rückkehrers aus dem Unabhängigkeitskrieg die Erkenntnis, dass das befreite Land sich in einen Polizeistaat entwickelt und die alten Kolonialisten von einer neuen Klasse der Herrschenden ersetzt worden waren.

Ein erhobener Zeigefinger in Richtung der kenianischen Regierung. Ngugis einleitender Hinweis, dass Ort und Zeit des Geschehens beliebig seien, hinderte den damaligen Präsidenten Moi nicht daran, in ganz Kenia nach einem solchen Matigari fahnden zu lassen.

Ngugi blieb 22 Jahre im Exil. Erst 2004, nachdem Moi sich aus dem Präsidentenamt verabschiedet hatte, traute sich Ngugi zurückzukehren. Die Kenianer begrüßten ihn begeistert.

Doch keine zwei Wochen später drangen Unbekannte in seine Wohnung ein, folterten den Schriftsteller und vergewaltigten seine Frau. Drei Täter wurden gefasst und wegen Vergewaltigung und Diebstahl zum Tode verurteilt.

Exil im Westen

Die letzten Jahrzehnte seines Lebens verbrachte Ngugi in den USA, wo er verschiedene Lehrtätigkeiten ausübte - zuletzt an der University of California. Ngugis Romane wurden in 30 Sprachen übersetzt; ins Englische übersetzte er meist selbst.

Seine Vision aber blieb: "Dass Werke, die in afrikanischen Sprachen wie Luo oder Yoruba verfasst werden, direkt in andere afrikanische Sprachen übersetzt werden" - also ohne den Umweg des aEnglischen zu nehmen. "Das würde bedeuten, dass unsere Sprachen direkt miteinander kommunizieren."

Ngugis letzter Roman "Herr der Krähen" (2006), eine monumentale Satire über korrupte Herrscher, fand internationale Beachtung. Seitdem wurde er wiederholt für den Literaturnobelpreis gehandelt, erhielt Ehrendoktorwürden von der Universität Bayreuth und von der Yale University.

Es mutet paradox an, dass jemand wie Ngugi wa Thiong'o seinen Lebensabend in den USA verbracht hat - das Land, das die kulturelle Dominanz des Westens verkörpert, die er lebenslang bekämpfte.

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