Warum die Proteste Kenias Generation Z schwer erschüttern
16. Juli 2025
Am 25. Juni schloss sich Wendy, eine junge Kenianerin, Hunderten von Protestierenden in Nairobi an, um gegen den Tod von Albert Ojwang zu demonstrieren. Der 31-jährige Blogger und Lehrer war kurz zuvor in Polizeigewahrsam gestorben. Ein mutiger Schritt für Wendy, denn immer öfter werden oppositionelle Stimmen vom Staat zum Schweigen gebracht.
"Anfangs wollte ich nicht zur Demonstration gehen, weil ich Angst hatte. Man sagte, dass dieses Mal gezielt Frauen ins Visier genommen würden", berichtet Wendy der DW.
Am Ende kehrte sie wohlbehalten zurück – doch viele andere nicht. Bei landesweiten Protesten an diesem Tag, der mit dem ersten Jahrestag des gewaltsamen Sturms auf das kenianische Parlament zusammenfiel, kamen mindestens 19 Menschen ums Leben.
"Ich weiß nicht, ob ich nach Hause zurückkehre"
Angetrieben werden die Proteste von weit verbreiteter Frustration über Polizeigewalt, wirtschaftliche Notlagen und eine von vielen als gescheitert empfundene Regierung unter Präsident William Ruto. Für viele junge Oppositionsanhängern der Generation Z gehören sie mittlerweile zum Alltag dazu.
Doch Widerstand fordert auch seinen Tribut, vor allem in Bezug auf die psychische Gesundheit. "Wenn ich das Haus verlasse, um zu demonstrieren, habe ich oft Angst", erklärt Wendy - und damit ist sie nicht alleine.
Alex Mutua, ein weiterer junger Oppositioneller, erzählt von der Panik, die er auf jeder Kundgebung verspürt: "Jedes Mal, wenn ich für mein Land auf die Straße gehe, weiß ich nicht, ob die Polizei mich ins Visier nimmt. An einer solchen Demonstration teilzunehmen, ist eine wirklich beängstigende Erfahrung, vor allem angesichts der Polizeitaktiken", fügt er hinzu.
Irene Mwari, Studentin und regelmäßige Demonstrantin in Nairobi, bestätigt, dass aus ihrer Sicht der emotionale Preis für ihr politisches Engagement immer höher wird. "Wenn ich an einer Demonstration teilnehme, weiß ich nie, ob ich gesund nach Hause zurückkehre", sagt sie der DW.
Dennoch halte sie es für notwendig, gegen das, was sie als schlechte Regierungsführung bezeichnet, aufzustehen – auch wenn jeder Protest ein Risiko für ihr Leben darstelle. Ihren Eltern habe sie versprochen, sich künftig von Demonstrationen fernzuhalten, aber sie werde dieses Versprechen wohl nicht einhalten, sagt Mwari. "Am Ende sind wir diejenigen, die in Kenia mit dieser schlechten Regierung leben müssen. Wenn wir nicht für eine bessere Zukunft kämpfen, wer dann?"
Gewalt und Angst
Proteste in Kenia werden zunehmend gefährlicher. Die kenianische Menschenrechtskommission berichtet, dass allein bei den Protesten am 7. Juli - den sogenannten Saba Saba-Demonstrationen - 31 Menschen getötet wurden. Das war der tödlichste Tag der Protestbewegung im laufenden Jahr.
Über 100 Menschen wurden verletzt, rund 500 festgenommen. Zahlreiche Supermärkte und Geschäfte wurden geplündert oder zerstört.
Die Kommission wirft der Polizei vor, scharfe Munition einzusetzen und mit bewaffneten Banden zusammenzuarbeiten, um die Proteste niederzuschlagen. Mwari bestätigt diese Vorwürfe: "Wenn du Glück hast, entkommst du einer Schussverletzung. Die Regierung setzt Waffen ein, um friedliche Demonstrationen zu vertreiben. Und wenn sie dich nicht zusammenschlagen, dann wirst du am helligsten Tag beraubt."
Schwere psychische Belastung
Psychologen in Kenia betonen, dass die Proteste längst nicht mehr nur ein politisches Problem darstellen, sondern zunehmend zu einem gesundheitlichen Risiko werden.
"Wir erleben ein kollektives Trauma", sagt die kenianische Psychologin Benta Wambui.
"Viele junge Demonstranten leiden wegen der wiederholten Gewalterfahrungen unter chronischem Stress und Angstzuständen. Hinzu kommen emotionale Erschöpfung, Burnout und ein wachsendes Gefühl von Hoffnungslosigkeit", erläutert sie. Die Konfrontation zwischen Zivilgesellschaft und Staat dauere seit mehr als einem Jahr an, und mit zunehmender Dauer des Konflikts verstärkten sich die Symptome.
Geoffrey Mboya, Aktivist und Community-Organisator, der von an Beginn an den Protesten teilgenommen hat, erzählt: "Die Proteste haben mich auf eine Weise beeinflusst, die ich kaum in Worte fassen kann. Ein Teil von mir ist tot, für immer verloren."
Der große Wunsch nach Veränderung
Selbst Menschen, die nicht physisch an Demonstrationen teilnehmen, seien von der allgemeinen Stimmung negativ betroffen, bestätigt Psychologin Benta Wambui.
„Es lastet ein Trauma, ein Verlustgefühl auf der gesamten kenianischen Gesellschaft. Wir haben Staatsgewalt erlebt, Menschen haben Freunde und Familienmitglieder verloren. Ob man diese Menschen kannte oder nicht, das löst oft Trauer, posttraumatische Belastungsstörungen und emotionale Taubheit aus", erklärt sie.
Trotzdem wollen viele junge Kenianer nicht aufhören zu protestieren.
"Der Glaube daran, dass die Proteste Veränderungen bringen können, gibt mir Kraft", sagt Aktivist Alex Mutua, eine Haltung, die auch die Demonstrantin Wendy teilt: "Ich wünsche mir ein Land, das funktioniert – für mich und meine Tochter. Das treibt mich an." Gleichzeitig gibt sie zu, emotional erschöpft zu sein: "An manchen Tagen fühle ich mich besiegt, an anderen nutzlos."
Aktivist Geoffrey Mboya nimmt inzwischen therapeutische Hilfe in Anspruch. Er kämpfe nun an zwei Fronten: gegen die Regierung und gegen sich selbst, sagt er im Gespräch mit der DW: "Wir brauchen Heilung, um effektiv kämpfen zu können. Therapie nimmt dir den Schmerz nicht, aber sie hilft dir, ihn zu ertragen", erklärt er.
Der Bedarf an Heilung
Auch Psychologin Wambui betont, dass therapeutische Hilfe essenziell sei, damit die Demonstranten ihren Kampf auf gesunde Weise fortsetzen können: "Es braucht Trauer-Räume, in denen Menschen gemeinsam ihr Trauma verarbeiten und sich gegenseitig unterstützen können – ob online oder in persönlichen Begegnungen."
Wambui fordert eine bessere Aufklärung in der Gesellschaft über psychische Gesundheit: "Es ist wichtig, dass die Bevölkerung über mentale Gesundheit informiert wird, um möglichst früh Symptome zu erkennen und sich gegebenenfalls Hilfe zu holen."
Vom englischen Original ins Deutsche von Antonio Cascais.
Mitarbeit: Andrew Wasike und Felix Maringa (beide in Kenia)