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Kenyatta und die Schlupflöcher in Den Haag

Katrin Matthaei6. Februar 2014

Der Prozess gegen Kenias Präsidenten Kenyatta in Den Haag droht zu platzen - aus Mangel an Beweisen. Das Gericht kämpft in Afrika um seine Autorität. Dabei sind seine Grenzen schon im Gründungsvertrag angelegt.

Gerichtssaal des internationalen Strafgerichtshofs (Foto: ICC)
Bild: ICC

Ein bitterer Moment für Benjamin Gumpert: In seiner schwarzen Robe musste der Ankläger am Mittwoch (05.02.2014) der vorsitzenden Richterin erklären, dass er derzeit nicht genügend Beweise für eine Verurteilung von Kenias Präsidenten Uhuru Kenyatta in der Hand hat. Somit droht der erste Prozess gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt am Internationalen Strafgerichtshof zu platzen. "Die Anklage ist in sich zusammengebrochen", konstatierte Kenyattas Verteidiger Steve Kay trocken.

Für die Anklage ein peinlicher Moment - ist es doch der prominenteste Fall im zwölfjährigen Bestehen des Gerichts im niederländischen Den Haag. Kenyatta ist wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt: Bei den blutigen Unruhen nach den kenianischen Präsidentschaftswahlen vom Dezember 2007 soll der damalige Parteifunktionär Mord, Vertreibung, Vergewaltigung und Verfolgung in Auftrag gegeben haben. Die Anklage lautet indirekte Mittäterschaft. Bei den Unruhen wurden tausende Menschen getötet. Bis heute trauen sich viele Flüchtlinge nicht in ihre Heimatdörfer zurück.

Einschüchterung von Zeugen

Ankläger Benjamin Gumpert erklärte auch, warum die Beweislage so dünn ist: Kenia sabotiere die Ermittlungen und weigere sich, wichtige Dokumente auszuhändigen - etwa über Kenyattas finanzielle Transaktionen. Davon verspricht sich die Anklage Beweise dafür, dass der Präsident die Täter bezahlt haben soll. Aber das ist noch nicht alles: Wichtige Zeugen waren in den vergangenen Wochen und Monaten abgesprungen. Das Ausmaß und die Systematik dahinter verdeutlicht eine neue Anklage des Gerichtshofs: Demnächst muss sich der kenianische Journalisten Walter Barasa vor dem Gericht verantworten. Er soll Zeugen eingeschüchtert und bestochen haben.

Für afrikanische Unterstützer des Internationalen Strafgerichtshofs ist der Rückschlag im Fall Kenyatta schwer zu verdauen. Um so mehr, als sie das Gericht in der Mitschuld sehen. Es hätte darauf bestehen müssen, dass Kenyatta - wie andere Angeklagte auch - bis zu seinem Prozess in Untersuchungshaft in Den Haag kommt, sagt Chris Peter, Rechtsprofessor an der Universität von Daressalam in Tansania. Darauf hatte das Gericht aus Rücksicht auf Kenyattas Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen im März vergangenen Jahres verzichtet. "Der kenianische Präsident ist angeklagt und dann muss er auch so behandelt werden", sagt Peter im Gespräch mit der DW.

Kenyatta-Prozess droht zu platzen

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Präsidialmacht contra internationale Gerichtsbarkeit

Stattdessen habe ihm das Gericht viel Spielraum gegeben. "Und plötzlich gab es Probleme mit Zeugen. Plötzlich gab es im kenianischen Parlament eine Kampagne gegen das Gericht und plötzlich gab es auch eine Kampagne bei der Afrikanischen Union." Die brandmarkte das Gericht im vergangenen Herbst als "neokoloniales Instrument" und forderte, amtierende Staatsoberhäupter von der Strafverfolgung auszunehmen. Mit anderen Worten: Auf allen Ebenen nutzt Kenyatta seine Macht als Präsident, um das lästige Gericht loszuwerden.

Nutzt seine Macht: Kenias Präsident Uhuru KenyattaBild: Reuters

Damit offenbart sich auch der Geburtsfehler des Gerichtshofs: Die Anklage hat nur soviel Macht, wie ihr das betroffene Land zugesteht. Denn es hat keine eigenen Ermittler, um Befehlsketten von Milizen oder Soldaten in weit entfernten Ländern zurückzuverfolgen. Ganz zu schweigen von eigenen Polizeidiensten, um die Verantwortlichen am Ende der Kette dingfest zu machen. "Die wesentliche Schwäche ist, dass das Gericht auf die Zusammenarbeit der Staaten angewiesen ist - wenn es um die Beweiserhebung geht, wenn es um die Zuführung von Zeugen geht und vor allem auch um die Überstellung von Angeklagten", sagt Andreas Zimmermann, Professor für internationales Strafrecht an der Universität Potsdam. Kurz: Ohne Kenias Kooperation keine Beweise für die Anklage gegen den eigenen Präsidenten.

Keine Gefahr für Sudans Präsident al-Baschir

An einem ähnlichen Problem krankt der Prozess gegen einen weiteren prominenten mutmaßlichen Verbrechers: Sudans Präsident Omar al-Baschir. Gegen ihn hat der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehl erlassen. Passiert ist bislang nichts. "Der UN-Sicherheitsrat hat den Sudan eigentlich zur Kooperation mit dem Strafgerichtshof verpflichtet", so Jurist Zimmermann. "Aber weder der Sicherheitsrat noch andere Staaten üben effektiv Druck auf den Sudan aus." Geschweige denn, dass sie al-Baschir ausliefern. Der sudanesische Präsident bereist weiterhin problemlos die Mehrheit der afrikanischen Staaten.

Genießt große Solidarität in Afrika: Sudans Präsident Omar al-BaschirBild: Ebrahim Hamid/AFP/Getty Images

Verurteilt werden kann al-Baschir nicht: Laut Artikel 63 des römischen Statuts, das die Zuständigkeit und Funktionsweise des Gerichts festlegt, muss der Angeklagte beim Prozess physisch anwesend sein. "Als Verbrecher kann man also einem Prozess mühelos entgehen, indem man sich einfach nicht verhaften lässt", kritisiert Benoit Afangbédji, Rechtsanwalt in Togo mit Zulassung beim Internationalen Strafgerichtshof. Er hofft in der Zukunft auf Änderungen solcher Fallstricke im Statut.

In einem sind sich Afangbédji und seine Kollegen Peter aus Daressalam und Zimmermann aus Potsdam einig: Sollte der Prozess gegen Uhuru Kenyatta platzen, hat das wegweisende Bedeutung für künftige Fälle. "Das Gericht sollte seine Entscheidung sehr sorgfältig treffen. Denn hier ist eine Person, die straffrei ausgehen könnte; nicht weil sie unschuldig wäre, sondern weil keine Zeugen gekommen sind", so Jurist Peter. Trotz aller Kritik zollt er dem Gericht seinen Respekt und fasst es in einem einfachen Satz zusammen: "Das Gericht tut sein Bestes in einem ihm sehr feindlich gesonnenen Umfeld."

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