Kernfusion vereint internationale Forscher
29. Juni 2005Schon in den fünfziger Jahren galt die Kernfusion als mögliche Alternative für die Gewinnung elektrischer Energie. Heute wie damals werden die gleichen Argumente vorgebracht: Die Herstellung sei sauber und erfordere einen geringen Einsatz von Rohstoffen. Zudem seien die Betriebsstoffe unbegrenzt auf der Erde vorhanden. So könne die Abhängigkeit von nicht erneuerbaren Energieträgern reduziert werden, die derzeit 90 Prozent des weltweiten Energiebedarfs decken.
Gleiche Vorteile, gleiche Probleme
Bis heute stehen Wissenschaftler aber auch vor den gleichen Problemen. Schon 1933 war sich der Physiker Ernest Rutherford sicher, dass man aus einer Kollision von Atomkernen niemals mehr Energie gewinnen könne, als man zur Durchführung des Zusammenstoßes aufgewendet habe. Zwar hat die Forschung seit dieser Zeit gewaltige Fortschritte gemacht, doch als ein Kernfusionsreaktor des europäischen JET-Projekts Anfang der neunziger Jahre zwei Sekunden lang Strom produzierte, lieferte auch dieser nur 65 Prozent der aufgewendeten Energie zurück.
Um die Begrenzung zu überwinden, haben sich Europäische Union, China, Japan, Korea, Russland und die USA zusammengetan. Fast fünf Milliarden Euro ist ihnen der Testreaktor in der Provence wert. Von diesem wünscht sich das Forscherteam 500 Megawatt Leistung, die für 400 Sekunden anhalten soll – immerhin die Hälfte der Leistung eines herkömmlichen Atomkraftwerks.
Es ist deshalb so schwierig, diese Leitung über längere Zeit zu erreichen, weil Wasserstoffarten Deuterium und Tritium in dem Reaktor auf etwa 100 Millionen Grad erhitzt werden müssen. Dadurch werden sie zu Plasma - neben "fest", "flüssig" und "gasförmig" der vierte Zustand, den die Materie annehmen kann. Besonderheit dieses Zustandes ist es, dass Stoffe dann auf elektrische und magnetische Einflüsse reagieren.
Diese Eigenschaft machen sich die Entwickler zu nutze und schließen die Wasserstoffteilchen in einem Magnetfeld ein. Darin kollidieren die Deuterium- und Tritium-Atome und verschmelzen.
Ein Gramm ersetzt elf Tonnen
Dies ist der Zeitpunkt der Energiegewinnung: Aus den beiden Ausgangsstoffen entsteht ein Helium-Atom - zugleich entstehen aber auch Neutronen, die 80 Prozent der beim Zusammenprall entstandenen Energie in sich tragen. Diese brechen aus dem Magnetfeld aus und erzeugen ein "Fusionsfeuer", das die umliegende Kühlflüssigkeit erhitzt und damit die Grundlage zur Elektrizitätsgewinnung bildet. Nach Informationen des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik soll ein Gramm Brennstoff so viel Energie freisetzen können wie die Verbrennung von elf Tonnen Kohle.
Die Gewinnung der Rohstoffe ist denkbar einfach. Deuterium findet sich in großen Mengen im Wasser. Allein der Genfer See würde genügend Nachschub für mehrere tausend Jahre liefern, berichten die ITER-Forscher. Das radioaktive Tritium muss dagegen zwar speziell gewonnen werden – das aber geschieht bei jedem Fusionsvorgang direkt im Reaktor, wobei die Überreste früherer Reaktionen zum Einsatz kommen.
Weniger radioaktive Belastung
Die Besonderheit der Kernfusion im Vergleich zur Kernspaltung in heutigen Atomkraftwerken ist die weit geringere radioaktive Belastung. Es entstehen keine verseuchten Abfallstoffe. Lediglich die Außenwände des Reaktors, auf die fortlaufend radioaktive Neutronen einstürzen, werden selbst radioaktiv. Der Abbau dieser Belastung geht allerdings vergleichsweise schnell: Die Wandmaterialien können nach Ansicht der Forscher bereits nach 100 Jahren wieder in neuen Kraftwerken verwendet werden.
Im Gegensatz zur heute genutzten Atomenergie können die Vorgänge bei der Kernfusion zudem nicht völlig außer Kontrolle geraten. Vielmehr liegt die besondere Schwierigkeit gerade darin, dass die Reaktion nur unter schwer zu erreichenden Bedingungen überhaupt stattfindet. Schon ein geringer Temperaturabfall läst das Fusionsfeuer erlöschen.
Langer Weg zum ersten Kraftwerk
Wenn im Jahre 2015 der Testreaktor in Cadarache in Betrieb geht, warten dennoch zahlreiche Herausforderungen auf die Forscher. So haben sich die Experimente der letzten Jahrzehnte nicht mit der Frage von Wirtschaftlichkeit und Betriebssicherheit auseinandergesetzt. Zudem wurde zu vielen Materialien, die heute Verwendung finden, bislang nur Grundlagenforschung betrieben. Auch die Zuverlässigkeit könnte zum Problem werden: Mehr als zwei Wochen Dauerbetrieb pro Testeinheit sieht auch das ITER-Experiment nicht vor.
Am Tag der Standortortwahl (28.6.2005) blieben Bedenkenträger jedoch außen vor. "Wir schreiben heute Geschichte, was die internationale Forschungskooperation betrifft", freute sich der EU-Kommissar für Wissenschaft und Forschung, Janez Potocnik.
EU trägt Großteil der Kosten
Die Europäische Union ist nicht nur "Gastgeber" des Forschungsprojekts. Sie hat sich auch schon im Mai mit Japan als zweitem Bewerberland auf eine vorläufige Kostenverteilung geeinigt. Europa übernimmt neben den Standortkosten auch einen großen Teil der Baukosten und schultert somit 50 Prozent der gesamten Investition. Als weiteres Zugeständnis will sich die EU an Forschungsprojekten in Japan beteiligen. Im Gegenzug erhofft man sich bis zu 100.000 neue Arbeitsplätze.
Ob sich diese Investition gelohnt hat, wird man erst in mehr als zwanzig Jahren sagen können. Gelingt es bis dahin, dem Fusionsfeuer hinreichende Energiemengen zu entlocken, so steht der Bau eines Demonstrationskraftwerkes an. Max-Planck-Wissenschaftler Alexander Bradshaw sieht große Perspektiven: "Die Kernfusion kann die Basis für die Stromversorgung in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts bilden."