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Kiesewetter: Den Krieg nach Russland tragen

Katja Theise
9. Februar 2024

Der Westen muss mehr tun, damit Russland im Ukrainekrieg seine Grenzen aufgezeigt werden, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete und Außenpolitikexperte Roderich Kiesewetter während seines Besuchs in Kiew im DW-Interview.

Ein Haus in Kiew nach dem russischen Raketenangriff am 7. Februar
Ein Haus in Kiew nach dem russischen Raketenangriff am 7. FebruarBild: Valentyn Ogirenko/Reuters

Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter erzählte im DW-Interview, was er vom Besuch des Bundeskanzlers Olaf Scholz in den USA erwartet. Er meinte auch, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine, nach Russland getragen werden müsse, warnte aber davor, dass Deutschland, das neben anderen NATO-Ländern Waffen an die Ukraine liefert, zu einer Kriegspartei wird.

DW: Herr Kiesewetter, Sie befinden sich derzeit in der Ukraine. Was sehen Sie dort? Wie erleben sie die Ukraine in diesen Tagen?

Roderich Kiesewetter: Ich habe hochengagierte Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner im Verteidigungsministerium, Außenministerium und im Parlament kennengelernt, aber auch bei Hilfsorganisationen für die Menschen an der Front und die Veteranen. Generell sehe ich, dass die Bevölkerung unter den Kriegseindrücken, mit mehreren Toten in Kiew und vielen Verletzten, dennoch unbeirrt weiter kämpft und sich bewusst ist, was auf dem Spiel steht, wenn die Freiheit der Ukraine verloren geht.

In diesem Zusammenhang ist die finanzielle Unterstützung der Ukraine besonders wichtig. Ein neues Hilfspaket für Kiewist im US-Senat gescheitert. In der EU ist Deutschland mit Abstand der größte Waffenlieferant für die Ukraine. Wird Deutschland in der Lage sein, die USA als Hauptgeber der militärischen und finanziellen Hilfe abzulösen?

Das ist keine Frage des Könnens, sondern das ist eine Frage des politischen Willens. Deutschland hat für seine eigenen nationalen Interessen im Jahr 2022 200 Milliarden Euro aufgewendet, um Inflations- und Energiekosten zu mindern. Wir sind kurzfristig in der Lage, große Geldmengen freizumachen, und das wäre auch für die Ukraine möglich.

Viel entscheidender ist aber, dass das Vorgehen von Trump, der ja noch nicht mal gewählt ist, ein Warnruf für ganz Europa sein muss. Wir können uns nicht von einem Möchtegern-Diktator, den Trump gerne spielt, von einem Werkzeug Putins, das Trump ist, abhängig machen. Das bedeutet, dass es gut ist, dass Bundeskanzler Scholz den Amerikanern jetzt den Spiegel vorhält. Viel wichtiger aber wäre, wenn der Kanzler zusammen mit Macron, mit dem britischen Premierminister Sunak, mit Tusk aus Polen, mit Meloni aus Italien und anderen, die wollen, ein Signal an die Amerikaner sendet und sagt: Wir machen Lastenteilung, wir übernehmen mehr Verantwortung für die Ukraine. Aber wir erwarten von den Amerikanern, dass sie sich weiterhin als europäische Schutzmacht begreifen.

Kiesewetter: Russland muss gezeigt werden, dass es so nicht weiter vorgehen kann

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Und ein dritter Gedanke: Die Alternative, wenn die Ukraine es nicht schaffen würde, wäre furchtbar. Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer würden das Land verlassen, sie würden den Zusammenhalt der europäischen Staaten gefährden. Sie würden aber zeigen, dass der Westen nicht in der Lage ist, einem Diktator wie Putin, der Hunderttausende seiner eigenen Soldaten sinnlos opfert in einem furchtbaren Blutvergießen, Einhalt zu gebieten. Das Übel des ganzen ist Putin und sein verbrecherischer Angriffskrieg. Deswegen muss Russland gezeigt werden, dass es so nicht weiter vorgehen kann. Russland muss das Existenzrecht seiner Nachbarn anerkennen. Der Krieg muss nach Russland getragen werden. Russische Militäreinrichtungen und Hauptquartiere müssen zerstört werden. Wir müssen alles tun, dass die Ukraine in die Lage versetzt wird, nicht nur Ölraffinerien in Russland zu zerstören, sondern Ministerien, Kommandoposten, Gefechtsstände.

Am 29. Dezember erlebte die Ukraine den größten Luftangriff Russlands seit Beginn der Invasion im Februar 2022Bild: Nicolas Cleuet / Le Pictorium/IMAGO

Es wird an der Zeit, dass die russische Bevölkerung begreift, dass sie einen Diktator hat, der die Zukunft Russlands opfert, der die Zukunft der russischen Jugend, auch der ethnischen Minderheiten opfert, dass dies ein Land ist, das im Grunde genommen den Krieg in die Welt trägt, statt eine Friedensmacht zu werden.

Was erwarten sie vom Besuch des Bundeskanzlers in den Vereinigten Staaten?

Ich erwarte, dass er einen Weckruf an den Senat und das Repräsentantenhaus leistet und dass er, weil er ja nie selbst entscheidet, sich endlich das grüne Licht geben lässt, "Taurus-Marschflugkörper" liefern zu dürfen. 

Sollten wir uns für die Ukraine das schlimmste Szenario vorstellen, wenn die USA keine Hilfe mehr für die Ukraine leisten, welche Folgen könnte das für das Land haben?

Es wäre nicht auszudenken, wenn das Ganze scheitert, denn dann ist auch die deutsche Friedensordnung, ist die Europäische Union Geschichte, und wir werden Kriegspartei, genau das, was Russland will. Sie möchten uns in einen Krieg ziehen, und wir verhindern das, indem wir unsere Rüstungsproduktion umlenken und in die Ukraine liefern, um alles zu tun, dass die Ukraine weiterhin unseren Frieden verteidigen und unsere Freiheit aufrechterhalten kann. Dazu verdient die Ukraine die EU-Mitgliedschaft und alsbald auch die NATO-Mitgliedschaft. Auch das gehört zu einer Unterstützung der Ukraine, die Vorbereitung der Mitgliedschaften in der Europäischen Union und in der NATO und auch eine Verlagerung der Rüstungsindustrie in die Ukraine, damit unmittelbar vor Ort auch produziert werden kann.

Bundeskanzler Olaf Scholz während seinem Besuch in den USA am 8. FebruarBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Wie kann die Sicherheit dieser Industrie in der Ukraine gewährleistet werden?

Nun, Russland greift ja ganz gezielt Wohngebäude, Schulen, Krankenhäuser, Altenheime, Kirchen, Kultureinrichtungen an, um die Existenz des ukrainischen Volkes zu zerstören, und deshalb verdient die Ukraine jede Unterstützung, auch wenn sie unter Feuer ist. Und das bedeutet, dass wir mehr Luftabwehrsysteme liefern müssen, so wie jetzt schon die Ukraine ihre eigene Industrie mit entsprechenden Luftabwehrsystemen schützt. Der Ausweg heißt, mehr zu tun, damit Russland seine Grenzen aufgezeigt werden, auch dass die russische Bevölkerung sieht, was für furchtbare Verbrechen in ihrem Namen begangen werden.

Welches Signal sendet die Verzögerung der US-Hilfe für die Ukraine an Moskau?

Es nützt natürlich Putin, er kann in seinem Wahlkampf auch sagen, dass er in Trump einen Freund hat, und er kann damit den westlichen Zusammenhalt zerstören. Entscheidend ist deshalb, dass Scholz in den USA klar macht, was auf dem Spiel steht, und auch die Abgeordneten, die da sehr gute Drähte zu Abgeordneten der Republikaner und der Demokraten haben, müssen klar machen, dass die Amerikaner alles tun müssen, damit sie nicht von einem Verbrecher regiert werden. Trump ist vor amerikanischen Gerichten als Verbrecher bezeichnet worden.

Aber viel wichtiger ist, dass die europäischen Staaten jetzt ihre Kräfte bündeln und das Wichtigste zuerst lösen. Das Wichtigste zuerst heißt, die Rüstungsproduktion für die Ukraine zu verstärken und der Ukraine einen Platz einzuräumen in EU und NATO, sobald die Sicherheitsbedingungen es zulassen.

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