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Politik

"Unkontrollierte Migration eindämmen"

29. September 2016

Europa kommt um ein Flüchtlingsabkommen mit Ägypten nicht herum, sagt der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter. Das Abkommen berge Risiken, doch die Chancen überwögen. Umgekehrt sei Ägypten auf die EU angewiesen.

Ägypten - Menschen Berger Körper nach Schiffsunglück nahe Rosetta
Bild: Getty Images/AFP/M. El Shahed

DW: Herr Kiesewetter, nach dem Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei ist nun eine neue Vereinbarung dieser Art mit Ägypten im Gespräch. Was ist der Stand der Dinge?

Roderich Kiesewetter: Ägypten braucht eine enge Kooperation mit der Europäischen Union. Das Abkommen zwischen der EU und der Türkei mit einer gezielten Projektförderung kann vorbildlich auf Ägypten ausstrahlen. Ägypten ist darauf angewiesen, da der demographische Wandel dort bei bald 100 Millionen Einwohnern massiv greift. Die Hälfte davon, also fast 50 Millionen Menschen, sind unter 25 Jahren. Davon wiederum sind 25 Millionen arbeitslos, teilweise auch ohne Ausbildung.

Dazu kommt, dass Ägypten Transitland für Flüchtlinge ist. Dadurch wird die ohnehin prekäre Lage des Landes zusätzlich verschärft. Insofern ist es ein gutes Zeichen, dass Ägypten auf die Europäische Union zukommt und um Unterstützung bittet.

Wie soll die aussehen?

In Afrika haben etwa 17 Millionen Menschen ihre angestammten Provinzen oder Länder verlassen. Das zwingt uns, Perspektiven für die Region zu schaffen. Das können die Aufnahmeländer in Afrika nicht allein leisten. Darum treten viele Menschen von dort aus die weite Reise nach Europa an. Das sind in der Regel nicht Menschen, die politisch verfolgt sind, sondern die auf wirtschaftlich bessere Perspektiven in Europa hoffen.

Unser Ziel muss sein, Staaten wie Ägypten oder insbesondere auch Tunesien und in wenigen Jahren auch Libyen zu stabilisieren und Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Dies geschieht, indem wir duale Ausbildung anbieten oder strukturierte Tagesabläufe etablieren und Minimalmaßnahmen wie sauberes Wasser oder Gesundheitsvorsorge und gute Ernährung anbieten.

Was soll im Gegenzug Ägypten leisten?

Türkei-Abkommen als Modell für Ägypten: CDU-Verteidigungsexperte Roderich KiesewetterBild: picture-alliance/dpa/S. Pilick

Es ist schon ein Zeichen einer Annäherung an das Programm der Europäischen Union, wenn Ägypten den Sinn dieses Programms nicht nur erkannt hat, sondern um Unterstützung bittet. Entscheidend ist aber, dass wir jetzt nicht mit der Gießkanne wahllos Projekte fördern oder den ägyptischen Staatshaushalt auffüllen. Stattdessen müssen wir neben einer guten Regierungsführung auch verlangen, dass die Projektgelder unmittelbar bei den Betroffenen ankommen. Denn Ägypten ist Transitland von Flüchtlingen aus Kenia, aus dem Sudan, aus dem Südsudan oder aus Eritrea.

Insofern wird es darum gehen, die Idee der Hotspots, die zunächst in Griechenland und Italien geplant waren, auf den afrikanischen Kontinent zu transferieren und dort Aufnahmezentren zu entwickeln, damit die unkontrollierte Migration nach Europa eingedämmt wird.

Wie können die europäischen Staaten sicherstellen, dass auch Ägypten seinen Part einhält?

Das ist keine leichte Aufgabe. Die Frage ist aber: Was wäre die Alternative? Sie bestünde darin, dass Ägypten Flüchtlinge unkontrolliert außer Landes ließe. Das könnte schlimmstenfalls auch Libyen destabilisieren. Aus dem ägyptischen Kernland gehen auch Menschen in den Sinai, teilweise mit terroristischem Hintergrund. Ägypten hat erkannt, dass es dieser Entwicklung nur in Kooperation mit der Europäischen Union oder einigen EU-Partnerstaaten Herr werden kann. Dass sich hier unterschiedliche Interessen artikulieren, ist klar.

Wir haben ein Interesse an guter Regierungsführung, an Korruptionsbekämpfung, an Transparenz. So haben wir auch ein Interesse, Ägypten zu unterstützen. Das ist also auch eine Chance, den zivilgesellschaftlichen Dialog mit Ägypten zu führen. Auf der anderen Seite wollen wir das System von Machthaber Abdel Fattah al-Sisi unterstützen, das wir in Teilen kritisieren, das aber für erhebliche Stabilität in Ägypten sorgt.

"Festungen haben nicht lange Bestand"

Was wäre denn, wenn die EU diesen Schritt nicht tut?

Nichts wäre schlimmer, als dass in Ägypten wieder die Regierung wechselte und das Land instabil würde. Gerade die junge Generation braucht eine Perspektive und eine Transformations-Partnerschaft mit der EU. In der Region verstärken wir den politischen Prozess mit den Ländern entlang der westlichen und der östlichen Migrationsroute - Stichworte Khartum-Prozess, Rabat-Prozess. Das ist eine echte Chance.

Die kritischen Punkte - etwa mangelnde Kontrolle oder Korruption - sollten sicherlich ernst genommen werden. Die Frage ist aber: Was passiert, wenn wir diesen Prozess nicht haben? Da ist das Risiko des Zerfalls eines Staates ein deutlich schwereres Argument als die Risiken der Kooperation.

Der EU wird allerdings vorgeworfen, sie wolle sich durch das Abkommen mit der Türkei nicht die Hände schmutzig machen. Man kann den Eindruck haben, das gelte auch für das Abkommen mit Ägypten. Ist das keine Doppelmoral?

Doppelmoral wäre es, wenn die Europäische Union sich abschotten würde und sich nach Art einer Festung gegenüber der Türkei und Ägypten abschotten würde. Doch Festungen haben nicht lange Bestand. Darum muss die EU kooperieren, denn nur darin liegt eine Chance. Dazu brauchen wir Regionalstrategien. Zum einen haben wir einen Vertrag auf Zeit mit der Türkei, die erstaunlich gut funktioniert. Gleichwohl läuft die Türkei Gefahr, in einen Bürgerkrieg abzugleiten.

"Schlimmer wäre, wenn wir nicht kooperierten"

Dennoch wäre es schlimmer, wenn wir nicht kooperierten. Denn dann würden wir die gemäßigten Kräfte in der Türkei noch mehr isolieren. Die zweite Regionalstrategie wird auf dem Balkan umgesetzt, wo wir sehr erfolgreich die Migration nach Europa absolut eingedämmt haben - auch durch entsprechende Gesetzesinitiativen in Serbien und Albanien.

Die dritte Regionalstrategie beginnt jetzt mit dem Maghreb. So werden mit Tunesien Sicherungsmaßnahmen an der Grenze zu Libyen aufgebaut. Diese umfassen auch Grenzsicherungsmaßnahmen für Libyen selbst. So kann etwa die europäische Grenzunterstützungsmission auf Einladung der libyschen Regierung aktiv werden. Gerade bereitet sie sich darauf in Tunesien vor.

Dazu kommt ja nun offensichtlich eine vierte Strategie.

Diese wäre dann ein entsprechendes Abkommen mit Ägypten. Ägypten ist auch darum so wichtig, weil wir dann auch Einfluss auf Libyen haben. Die Teilregierung in Tobruk steht stark unter ägyptischem Einfluss. Wir könnten dann bessere Kooperationsbedingungen aushandeln, in dem Sinne, dass Ägypten den Einigungsprozess in Libyen unterstützt. Das geht besser, wenn Ägypten selber von der Migrationspolitik der EU profitiert. Insofern wäre es dann eine Doppelmoral, wenn wir nach der Logik von Abschottung und Ablenkung dächten und nicht in Kooperationsmodellen.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter ist ehemaliger Generalstabsoffizier der Bundeswehr, Verteidigungsexperte und Obmann für Außenpolitik der Union.

Das Gespräch führte Kersten Knipp.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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