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Politik

Kiew hat Angst vor Donald Trump

9. Januar 2017

Friede mit Russland? In Kiew hat eine schmerzhafte Debatte begonnen. Denn allen ist klar: Mit Donald Trump als US-Präsident ändert sich die geopolitische Lage des Landes grundlegend. Aus Kiew Christian F. Trippe.

Ukraine Regierungsgebäude
Regierungsgebäude in der ukrainischen Hauptstadt KiewBild: picture alliance/dpa/D. Naupold

Die US-Wahlen im November hatten das politische Kiew in eine Art Schockstarre versetzt. Der Innenminister verbarg nach der Wahl eilig einen Facebook-Kommentar, in dem er über den Kandidaten der Republikaner gespottet hatte. Donald Trump war gewählt, und seine Nähe zu Russlands Präsident Putin verhieß - und verheißt - der Ukraine nichts Gutes. Groß ist seitdem die Sorge, dass Trump und Putin über die Köpfe der Ukrainer hinweg über das Schicksal des Landes befinden könnten. Dass die USA der Ukraine nicht nur ihre schützende Hand entziehen, sondern auch Wirtschaftshilfen eindampfen könnten.

Milliardär Viktor Pintschuk sorgt mit seinen Äußerungen in der Ukraine für VerstimmungenBild: picture-alliance/M. Palinchak

Mitten in die orthodoxe Weihnachtsruhe - die Ukraine feiert Christi Geburt nach altem Kalender am 7. Januar - platzt nun eine ganze Reihe von Vorschlägen, die frischen Wind in die Diskussion bringen könnten. Den Auftakt machte Viktor Pintschuk, ein Multi-Milliardär und Mäzen und als "Oligarch" ein Vertreter jenes Geldadels, der in Kiew traditionell großen politischen Einfluss ausübt. Pintschuk meldete sich im Wall Street Journal mit einer Analyse: Die Wahl Donald Trumps in den USA und das Erstarken des Populismus in Europa zwängen die Ukraine zu "schmerzhaften Kompromissen". Daher sollte die Ukraine auf einen NATO-Beitritt verzichten, sich zur Neutralität verpflichten, aber gleichzeitig Sicherheitsgarantieren erwirken. Auch eine mögliche EU-Integration müsse erst einmal warten.

Vereinigung mit der Krim nach Vorbild deutscher Wiedervereinigung?

Für den Donbass, der in das vierte Kriegsjahr geht, schlägt Pintschuk vor, dass die Ukraine von ihren bisherigen Maximalforderungen abrückt und Lokalwahlen akzeptiert, selbst wenn diese wegen der Präsenz russischer Truppen und Geheimdienstleute nicht frei und fair sein könnten. Die ukrainische Halbinsel Krim, seit März 2014 von Russland annektiert, sollte die Ukraine für alle bevorstehenden Verhandlungen mit Russland gleichsam ausklammern. In zwei Jahrzehnten vielleicht könnte sich die Krim dann aus freien Stücken wieder der Ukraine anschließen - so wie sich die DDR freiwillig der politisch und wirtschaftlich erfolgreicheren Bundesrepublik angeschlossen habe.

Die Abgeordnete Hanna Hopko ist verärgert über die Aussagen PintschuksBild: Getty Images/L. Vogel

Die Reaktionen darauf fielen durchweg harsch aus. Hanna Hopko, eine unabhängige liberale Abgeordnete in der Rada, dem ukrainischen Parlament, und dort Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, nannte Pintschuks Vorschläge "kriminell";  es sei ein "Verbrechen, mit der territorialen Integrität der Ukraine zu spielen." Den Vorwurf, ein Landesverräter zu sein, ein Mann der fünften Kolonne Moskaus, erhoben auch andere Abgeordnete Pintschuk gegenüber. Kostjantyn Jelissejew, enger außenpoltischer Berater des Präsidenten, sprach sich kategorisch gegen jeden Verzicht auf den euro-atlantischen Kurs aus, gegen jegliche Verzögerung beim Streben in EU und NATO. Denn das käme einem Verrat "an der Unabhängigkeit und Souveränität" des Landes gleich - "es wäre wie eine Rückkehr in die sowjetische Vergangenheit".

Will Putin die Situation ausnutzen?

Wassyl Filiptschuk (Archivbild) vom "International Center For Policy Studies"Bild: cc-by-sa/Perohanych

Die fürchtet auch Wassyl Filiptschuk und setzt sich deswegen für einen Ausgleich mit Russland ein. Der Direktor des Kiewer Thinktanks "International Center For Policy Studies (ICPS)" meint, die Ukraine habe nun nur noch ein kleines Zeitfenster, um selber aktiv auf eine Beilegung des Krieges im Osten zu drängen. "Die Ukraine kann im Konflikt mit Russland nicht mehr auf die USA zählen"; das wisse auch Russland und werde deshalb "auf eine Zuspitzung der Situation" hinarbeiten.

Filiptschuk legte auf dem Internet-Portal "apostrophe.ua" einen detaillierten Neun-Punkte-Plan vor, der ebenfalls einen Verzicht auf eine NATO-Mitgliedschaft beinhaltet. Am Ziel, eines Tages EU-Mitglied zu werden, möchte er hingegen festhalten. Für die Krim empfiehlt er ein komplexes Verfahren hin zur Autonomie, auch für den umkämpften Donbass im Osten des Landes will er  regionale Sonderrechte, nach Abzug aller russischen Soldaten. "In hunderten Mails und SMS bin ich deswegen als 'Verräter' beschimpft worden," berichtet Filiptschuk im Gespräch mit der DW, sogar Morddrohungen habe er über die Weihnachtstage erhalten. 

Zehn Weise brüten Schiedsspruch aus

Ukraines Ex-Präsident Leonid Krawtschuk hat einen eigenen Vorschlag zur Einigung ausgearbeitet Bild: picture alliance/picturedesk.com/S. Jenis

Auch von anderer Seite kommen unkonventionelle Vorschläge, wie die verfahrene Situation zwischen Ukraine und Russland aufgelöst werden könnte. Leonid Krawtschuk, erster Präsident der unabhängigen Ukraine, regte jetzt in einem Interview mit dem Moskau Radio "Echo Moskwy" die Einrichtung eines Weisenrates an: Der Kreml und Kiew sollten jeweils "fünf Menschen von moralischer Autorität, die nie in der Regierung oder in einer Partei waren" dorthin entsenden und in Ruhe eine Art Schiedsspruch erarbeiten lassen. 

Die Aussichten all dieser Vorschläge, nach der Weihnachtspause im politischen Kiew aufgegriffen und ernsthaft diskutiert zu werden, vermag der ehemalige ukrainische Diplomat Filiptschuk nicht einzuschätzen - da gebe es einfach "zu viele Unbekannte". Die ukrainische Gesellschaft, sagt er der DW, habe den Krieg im Donbass und den Konflikt mit Russland gründlich satt und sei reif für die Diskussion. Jedoch gebe es in der ukrainischen Politik viel Widerstand gegen ein vorurteilsfreies Herangehen an Lösungsvorschläge. Der ukrainische Präsident Poroschenko hat sich zu der Diskussion bisher nicht direkt geäußert. Poroschenko hat auch keine Pressekonferenz zum Jahresende gegeben, die aber hatten viele Beobachtern in Kiew erwartet.

 

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