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Politik

Kiews Scheinkampf um Gerechtigkeit

Lilia Grishko | Roman Goncharenko
8. März 2017

Die Sanktionsliste der Europäischen Union gegen angeblich korrupte frühere ukrainische Politiker schrumpft weiter, weil Kiew keine Beweise liefert. So mancher empfindet das als Skandal.

Ukraine Protest gegen Oligarchen in Kiew
Bild: DW/L. Grischko

Eine "Revolution der Würde" - so werden in der Ukraine die Proteste im Spätherbst und Winter 2013/2014 genannt. Das Volk habe sich gegen das korrupte Regime des Präsidenten Viktor Janukowitsch erhoben und gesiegt. Was seitdem mit der Aufarbeitung der mutmaßlichen Korruptionsverbrechen geschah, empfinden viele als unwürdig. Manche gehen, wie am vergangenen Montag, dagegen auf die Straße. Rund ein Dutzend Politiker und Aktivisten protestierten vor der Präsidialverwaltung in Kiew gegen das, was sie als "Verrat" empfinden.

Eingefrorene Millionen wieder aufgetaut

Anlass war eine knappe Mitteilung aus Brüssel. Der EU-Rat habe die im März 2014 beschlossene Festsetzung der Vermögenswerte von 15 Personen aus der Ukraine, die für die Veruntreuung öffentlicher Mittel verantwortlich sein sollen, um ein weiteres Jahr verlängert. Es geht vor allem um den nach Russland geflüchteten Präsidenten Janukowitsch selbst und seine Minister. Doch eine Person sei von der Liste gestrichen worden: Jurij Iwanjuschtschenko, ehemaliger Abgeordneter der früher regierenden "Partei der Regionen".

Nach knapp drei Jahren darf Iwanjuschtschenko seine eingefrorenen Millionen in Europa wieder nutzen. 2015 schätzte der damalige ukrainische Generalstaatsanwalt Vitalij Jarema, dass es sich um rund 100 Millionen US-Dollar auf Konten in der Schweiz und im Baltikum handele. "Drei Jahre lang hat der Generalstaatsanwalt die Ermittlungen gebremst", empört sich Jegor Sobolew, Abgeordneter der Oppositionspartei "Selbsthilfe" und Vorsitzender des Anti-Korruptions-Ausschusses im Parlament. Anstatt hinter Gittern zu sitzen, werde sich nun ein enger Vertrauter von Janukowitsch ein schönes Leben im Westen leisten. Viele in der Ukraine fragen sich, wie es dazu kommen konnte.

Protest vor der Präsidialverwaltung in Kiew (6.3.2017)Bild: DW/L. Grischko

Schleppende Ermittlungen

Im Unterschied zu anderen Oligarchen, war Iwanjuschtschenko einem breiten Publikum in der Ukraine lange unbekannt. Der 58-Jährige stammt wie Janukowitsch aus dem ostukrainischen Industriestädtchen Jenakijewe bei Donezk, das heute von prorussischen Separatisten kontrolliert wird. Es gibt Spekulationen über seine dunkle Vergangenheit, doch Beweise fehlen.

Fest steht, dass er als Mann aus einfachen Verhältnissen sehr reich wurde. Das ukrainische Magazin "Fokus" schätzte 2012 sein Vermögen auf über 750 Millionen US-Dollar. Das Geld stamme unter anderem aus Kohleindustrie, Landwirtschaft und Einzelhandel. 2009 sorgte die besonders pompöse Hochzeit von Iwanjuschtschenkos Tochter für Schlagzeilen. Die Familie des Geschäftsmannes soll in Monaco leben.

Nach dem Machtwechsel in Kiew tauchte Iwanjuschtschenko zunächst unter, sein Aufenthaltsort war unbekannt. Manche warfen ihm vor, während der Proteste im Winter 2014 in Kiew Schlägertrupps aus halbkriminellem Milieu organisiert zu haben, die Jagd auf prowestliche Aktivisten machten. Iwanjuschtschenko bestreitet das. Die Generalstaatsanwaltschaft ermittelte gegen ihn in anderen Angelegenheiten, darunter wegen Veruntreuung. Doch zu einer Anklage kam es nicht und ein Kiewer Gericht forderte die Einstellung von Ermittlungen. So kam es, dass die EU sich gezwungen sah, Iwanjuschtschenkos Konten freizugeben. Wenige Tage nach dieser Entscheidung teilte die Generalstaatsanwaltschaft in Kiew mit, man ermittle weiter.

Unfähig oder unwillig?   

Es stellt sich die Frage, ob die Justiz unfähig oder unwillig war. Tatsache ist, dass sich das Land im Zustand einer Dauerkrise befindet. In den vergangenen drei Jahren gab es drei Regierungen und fünf Generalstaatsanwälte. Die undurchsichtigen Umstände der Ermittlungen gaben Anlass für Spekulationen, die Justiz fasse Iwanjuschtschenko mit samtenen Handschuhen an. "Iwanjuschtschenko strebte eine Aufhebung der Sanktionen an und die ukrainische Regierung hat dies ermöglicht", sagt Andij Sljusar von der ukrainischen Vertretung der Anti-Korruptions-Organisation "Transparency International". Jetzt habe der Geschäftsmann Zugang zu seinem Geld in Europa.

Der in Kiew lebende deutsche Publizist und Politik-Experte Winfried Schneider-Deters glaubt, dass die ukrainische Justiz vom Präsidenten Petro Poroschenko, einem früheren Geschäftsmann, ausgebremst worden sein könnte. "Der ehemalige Präsident Janukowitsch und die Nutznießer seines kleptokratischen Regimes sind ihresgleichen im Geiste", glaubt Schneider-Deters. "Weil er selbst 'Dreck am Stecken' hat, setzt Poroschenko seine präsidiale Autorität ein, um die Justiz zu bremsen, anstatt sie zu beschleunigen: Wer im Glashaus sitzt, wirft nicht mit Steinen."

Viktor Janukowitsch wird per Videoschalte aus Russland von einem Gericht in der Ukraine vernommenBild: picture-alliance/dpa/V. Matytsin

Juristischer Kampf gegen Sanktionen

Der Fall Iwanjuschtschenko ist nicht der erste, bei dem der Westen aus Mangel an Beweisen Einschränkungen gegen ukrainische Politiker und Geschäftsleute aus der Janukowitsch-Zeit lockert. In den vergangenen Jahren hob die EU Sanktionen gegen ein halbes Dutzend Ukrainer auf, darunter gegen den ehemaligen Janukowitsch-Berater Andrij Portnow.

Die anderen, inklusive Janukowitsch, klagen. Zuletzt konnten vor rund einem Jahr der Ministerpräsident Mykola Asarow und einige weitere Politiker einen Teilerfolg feiern. Das EU-Gericht mit Sitz in Luxemburg erklärte die 2014 verhängten Sanktionen für nichtig, weil sie aus Sicht der Juristen nicht ausreichend begründet worden waren. Da Brüssel später die Sanktionen erneut und mit einer anderen Begründung verhängte, sind die Konten von Asarow und der anderen bis heute gesperrt.

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