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GleichberechtigungNahost

Kimia Alizadeh und der Kampf gegen Kritiker

Sarah Wiertz Tokio
25. Juli 2021

Heldin, Staatsfeindin, Geflüchtete. Kimia Alizadeh ist vieles, auch Olympia-Bronzemedaillengewinnerin im Taekwondo. In Tokio verpasst sie knapp eine Medaille und meint, versagt zu haben. Das Gegenteil ist der Fall.

Olympia 2020 Tokio l Taekwondo  - Kimia Alizadeh Zenoorin vs Hatice Illgun
Kimia Alizadeh (l.) im Kampf um Bronze gegen die Türkin Hatice Kubra IlgunBild: Javier Soriano/AFP

Ihr Vorname ist in grün-weiß-roten Farben auf den schwarzen Gürtel gestickt, der durch die Schutzweste größtenteils verdeckt wird: "Kimiya". Dabei symbolisiert Grün den Islam, Weiß steht für Frieden und Freundschaft sowie Rot für Mut und vergossenes Blut im Krieg.

Kimia Alizadeh ist Iranerin. Die Wettkampfmatte der Makuhari Messehalle, rund 50 Kilometer außerhalb von Tokio, betritt die 23-Jährige jedoch als Staatenlose, als Teilnehmende des Internationalen Olympischen Flüchtlingsteams.

Wie immer ist sie voll konzentriert, im Tunnel, sobald der Kampf beginnt. Für sie zählt nur der Sieg. Doch wie fünf Jahre zuvor bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro verliert Alizadeh erneut ihr Halbfinale. Damals nutzte sie ihre Chance im Kampf um Platz drei und gewann als erste Iranerin überhaupt eine Olympia-Medaille. Der Iran hatte eine Heldin.

Alizadehs Vorname, auf den schwarzen Gürtel gesticktBild: Mike Egerton/empics/picture alliance

Früher verehrt, heute gehasst

"Kimia ist sehr ehrgeizig. Nur dabei zu sein, gilt für sie nicht. Sie will unbedingt eine Medaille", berichtet Helena Stanek, Referentin für Medien und Marketing der Deutschen Taekwondo-Union (DTU). Von Alizadeh erhält man keine Antworten. Kommentarlos geht die 22-Jährige nach jedem ihrer Wettkämpfe an den Medienleuten vorbei.

"Sie möchte erst reden, wenn sie eine Medaille gewonnen hat", erklärt Stanek, die bei den Olympischen Spielen in London 2012 als erste Deutsche eine olympische Medaille im Taekwondo gewann. Denn mit einem Podestplatz bei den Olympischen Spielen will Alizadeh ihren vielen Kritikern beweisen, dass ihre Leistungen nichts mit einem Pass zu tun haben. Dass sie auch als Staatenlose mindestens so gut sein kann wie als Iranerin. Dass sie Respekt verdient - als Athletin, als Frau, als Mensch.

"Nach ihrer Flucht hat sie sehr viele negative Reaktionen in den sozialen Medien bekommen", so Stanek. "Dass sie früher viel, viel besser gewesen wäre, als sie noch für den Iran gekämpft hat." Das habe Alizadeh sehr verletzt, und sie habe sich deshalb zurückgezogen, sagt die DTU-Sprecherin. 

"Eine von Millionen unterdrückten Frauen im Iran"

Im Januar 2020 hatte Alizadeh via Instagram verkündet, nicht mehr im Iran, sondern in Europa leben zu wollen und hatte sich als "eine der Millionen unterdrückten Frauen im Iran" bezeichnet. 

Sie deutete auch an, dass iranische Athleten hinter den Kulissen ausgebeutet worden seien: "Ich habe mich so angezogen, wie ihr es wolltet. Ich habe jeden Satz wiederholt, den ihr bestellt habt. Es geht nicht um mich, nicht um uns. Wir sind nur Werkzeuge." Noch heute erhält Alizadeh Drohungen über die sozialen Medien.

Nach ihrem Bronze-Gewinn 2016 in Rio wurde Alizadeh im Iran noch als Volksheldin gefeiertBild: Andrew Medichini/AP/picture alliance

Nach kurzem Aufenthalt in den Niederlanden lebt sie seitdem mit ihrem Mann in Aschaffenburg. Im Frühjahr 2021 erhielt die jungen Athletin in Deutschland den Flüchtlingsstatus. Wenige Wochen vor dem Start der Spiele dann die freudige Nachricht: Nach enger Zusammenarbeit der Taekwondo Union und Deutschen Olympischen Sport Bund (DOSB) erhielt Alizadeh vom Internationalen Olympischen Komitee die Berufung ins Flüchtlingsteam.

Gleich in ihrem ersten Kampf an diesem Morgen in Tokio, in der Qualifikationsrunde, bekommt es Alizadeh mit ihrer ehemaligen Nationalmannschaftskollegin Nahid Kiani zu tun. Deren Trainerin sei vor zwei Jahren auch noch Kimias Coach gewesen, weiß DTU-Medien-Referentin Stanek. Alizadeh habe zu ihr gesagt: "Helena, das sind Freundinnen von früher."

Viele Verletzungen, keine Wettkampfpraxis

Seit ihrer Flucht weigert sich der iranische Taekwondo-Verband, Alizadeh zu erlauben, für eine andere Nation anzutreten. Neben der Herausforderung, sich weit weg von der Familie in einem fremden Land mit fremder Sprache und Kultur einzuleben, hatte sie bereits vor und auch nach ihrer Flucht mit Verletzungen zu kämpfen.

Mehrmals musste Alizadeh operiert werden. So konnte sie seit 2018 bis zu den Trainingslagern mit dem Flüchtlingsteam vor wenigen Wochen keine internationalen Wettkämpfe mehr bestreiten und Wettkampfpraxis sammeln. "Das sehen aber viele Menschen nicht, die sie kritisieren. Sie gucken nur auf die Ergebnisse", sagt die Sprecherin des Verbands.

Den Kampf um Platz drei am späten Abend verliert Alizadeh gegen die Türkin Hatice Kubra Ilgun mit 6:8. Nach ihrem dritten Platz vor fünf Jahren war sie noch mit Kopftuch und der iranischen Fahne jubelnd in der Halle herumgelaufen. Heute sitzt sie - diesmal ohne Tuch - konsterniert und mit leerem Blick auf einem Stuhl.

Die Niederlage schmerzt sichtbar. Noch mehr schmerzt wohl, dass sie ihre vielen Kritiker nicht mit einer weiteren olympische Medaille zum Schweigen bringen kann. Im Gegenteil, sie werden sich bestärkt fühlen.

Nach ihrem Kampf muss Alizadeh zur Dopingkontrolle. Einen Kommentar von ihr gibt es an diesem Abend nicht mehr. Sie hat ja keine Medaille gewonnen. Dabei hat sie doch so viel zu erzählen: über Mut, Kampfeswillen, Fairness - all das, was ihre Kritiker offenbar nicht kennen.

Sarah Wiertz Teamleiterin Sport Online
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