Kinderärzte in Europa warnen vor Medikamentenmangel
29. April 2023Kinder- und Jugendärzte aus mehreren europäischen Ländern haben in einem Brief an die Gesundheitsminister ihrer Länder appelliert, gegen den Engpass bei Arzneimitteln für Kinder vorzugehen. "Die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen ist durch den Medikamentenmangel europaweit gefährdet. Eine schnelle, zuverlässige und dauerhafte Lösung ist dringend erforderlich!", heißt es in einem Schreiben, das sich an die Ministerinnen und Minister für Gesundheit in Deutschland, Frankreich, Österreich, der Schweiz und Südtirol in Italien wendet und von den dortigen Berufsverbänden unterschrieben ist.
Darin führen die Kinderärzte aus, es fehle an Fieber- und Schmerzmedikamenten in kindgerechter Darreichungsform. Auch das Antibiotikum Penizillin gebe es derzeit nicht, sagte der deutsche Verbandschef Thomas Fischbach der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
Antibiotika werden zum Beispiel bei Lungenentzündungen, Harnwegsinfektionen oder Scharlach verschrieben. Steht das passende Präparat nicht zur Verfügung, muss unter Umständen zu einem Medikament der zweiten und dritten Wahl gegriffen werden, das aber eventuell schlechter wirkt und das Risiko für sich bildende Antibiotika-Resistenzen erhöht.
In ihrem Brief warnen die Medizinerinnen und Mediziner: "Die Engpässe der letzten Monate führen dazu, dass weder kindgerechte noch an Therapierichtlinien ausgerichtete Behandlungen möglich sind." Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen werde dadurch nachhaltig gefährdet. Noch vor wenigen Jahren sei dieses Szenario eines Versorgungsmangels "nicht einmal ansatzweise" vorstellbar gewesen.
Versorgungsmangel ist offiziell
Das Bundesgesundheitsministerium in Deutschland hatte erst vor wenigen Tagen bekanntgemacht, dass tatsächlich eine Versorgungslücke besteht. Das heißt, bestimmte Wirkstoffe sind zurzeit nicht lieferbar, wie ein Sprecher erläuterte. Mit der Bekanntmachung wurden gleichzeitig normalerweise geltende strenge Regeln für die betroffenen Arzneimittel befristet etwas gelockert. So können Behörden es ermöglichen, dass zum Beispiel Medikamente aus Spanien von Apotheken in Deutschland ausgegeben werden.
Die Ursachen für das Defizit bei Arzneimitteln sei vielfältig, heißt es vom Bundesgesundheitsministerium. Verwiesen wird etwa auf "Engpässe bei Grundstoffen" oder auch "Produktionsprobleme". Krankenkassen geben der Pharmabranche eine Mitschuld. Die Branche habe in der Vergangenheit Lieferketten mit Produktionsstätten im Ausland aufgebaut, die sich jetzt als instabil erwiesen, hieß es.
Neues Gesetz auf dem Weg
Die Bundesregierung in Berlin hatte Anfang April ein Gesetz zur Bekämpfung der Engpässe auf den Weg gebracht. Vom Bundestag beschlossen ist es aber noch nicht. Unter anderem soll es Herstellern ermöglichen, höhere Abgabepreise für Kindermedikamente in Deutschland zu verlangen, so dass sich Lieferungen in die Bundesrepublik mehr lohnen.
In der Begründung zu dem neuen Gesetz ist nachzulesen, dass bei bestimmten Arzneimitteln mit Antibiotika inzwischen mehr als 60 Prozent der Wirkstoffproduktion in Asien stattfindet, vor zwanzig Jahren seien es noch 30 Prozent gewesen. Die Neuregelung soll Abhängigkeiten verringern und für mehr Stabilität sorgen.
uh/AR (dpa, afp)