1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Geboren in Kellern und Bunkern

8. März 2022

In der Ukraine werden Entbindungskliniken und Krankenhäuser mit russischen Granaten und Raketen beschossen. Einige sind bereits völlig zerstört. Wie kommen unter diesen Bedingungen Kinder zur Welt?

Eine junge Mutter nach der Geburt im Keller eines Kiewer Krankenhauses
Eine junge Mutter nach der Geburt im Keller eines Kiewer KrankenhausesBild: Efrem Lukatsky/AP Photo/picture alliance

Bei Swetlana Lukasch setzten ausgerechnet während der totalen Ausgangssperre in Kiew Ende Februar die Wehen ein. Da bei ihr das Risiko von Komplikationen bestand, wurde sie trotz Fliegeralarms in die Entbindungsklinik gefahren. "Man kann ja nicht auf einer Couch gebären, wenn man mit Komplikationen zu rechnen hat", sagt Swetlana Lukasch. "Als wir im Krankenhaus ankamen, heulten die Sirenen und wir wurden in den Keller gebracht", berichtet sie.

Russlands Krieg gegen die Ukraine mit seinen Raketen- und Bombenangriffen auf Städte zwingt viele Frauen, in Kellern von Krankenhäusern ihre Kinder zur Welt zu bringen. Die Räume sind natürlich für Geburten ungeeignet, aber Entbindungen in einem Kreißsaal können in dieser Situation unter Beschuss lebensgefährlich sein.

Zerstörte Kliniken

Viele Krankenhäuser in der Ukraine sind inzwischen beschädigt oder zerstört. So verwandelte ein Angriff am 2. März die Entbindungsklinik der Stadt Schytomyr in eine einzige Ruine. In den Tagen darauf wurden auch Krankenhäuser in Mariupol am Asowschen Meer und in Wasyliwka in der Region Saporischschja beschossen und zerstört. Dabei wurden drei Bewohner getötet.

"Das medizinische Personal und auch die Patienten wurden aber nicht verletzt. Während des Beschusses kam sogar ein Kind zu Welt! Das Leben geht weiter und die Schreie neugeborener Ukrainer werden die heftigen Luftangriffe der Terroristen besiegen", erklärte jüngst der ukrainische Gesundheitsminister Wiktor Ljaschko.

Anna Hopko, ehemalige Abgeordnete des ukrainischen Parlaments, sagt: "Die Welt muss wissen, dass ukrainische Frauen unter Beschuss gebären und wir setzen uns dafür ein, dass sie evakuiert werden." Ihre Freundin musste ebenfalls in einem Luftschutzbunker entbinden. Hopko fordert, dass das Rote Kreuz und andere Organisationen in die Ukraine kommen. Doch dafür müsste der Beschuss der ukrainischen Städte aufhören. "Wir brauchen eine Flugverbotszone über der Ukraine", fleht die Politikerin.

Angespannte Lage in Kliniken der Hauptstadt

Bei Maria Schostak aus Kiew setzten am ersten Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine, am 24. Februar, die Wehen ein. Sie wurde zusammen mit anderen Frauen erst einmal in den Keller verlegt, der laut Maria nicht für Schwangere ausgestattet war und als Hauswirtschaftsraum diente.

"Später wurden wir gebeten, in einen anderen Keller zu gehen, wo es inzwischen Strom gab. Aber es war dort kalt. Es hieß, Schwangere mit Wehen könnten dort bleiben. Es ist ja auch sehr anstrengend, sich immer wieder in und aus dem Keller heraus zu bewegen. Daher saßen wir meistens auf Stühlen und verbrachten die ganze Zeit dort. Mein Rücken tat sehr weh", erzählt sie. Dann sei der Keller für die werdenden Mütter hergerichtet worden - mit Matratzen, Decken und Kissen.

Eine Frau mit einem neugeborenen Baby in KiewBild: Emilio Morenatti/AP/picture alliance

Maria konnte aber ihr Kind oben im Krankenhausgebäude zur Welt bringen. "Wenn es Luftalarm gegeben hätte, dann hätte ich wahrscheinlich im Keller gebären müssen. Zwar kamen mehrmals Ärzte herein und sagten, dass eine Evakuierung schon im Gange sei und dass auch ich in den Keller müsse. Aber mir war schon schlecht, und ich sagte, dass ich auf eigene Verantwortung bleibe", erzählt sie. Ihr Kind erblickte per Kaiserschnitt die Welt. Maria hatte noch Glück, denn andere Frauen mussten im Bunker mit Kaiserschnitt gebären.

Im besetzten Cherson

In Cherson, das von den russischen Besatzern kontrolliert wird, sieht es nicht besser aus. Sogar während des Beschusses wurden Kinder in Kellern geboren, sagt Jurij Herman, der als Geburtshelfer und Gynäkologe im Krankenhaus vor Ort tätig ist.

"Das sind kühle Räume, die nur dazu geeignet sind, die Luftangriffe auszusitzen. Dort befinden sich jetzt Schwangere und Mütter mit ihren Neugeborenen, einschließlich Frühchen. Unter solchen Bedingungen kann von einer sicheren Geburtshilfe keine Rede sein. Und wenn man operieren muss, dann muss man den Keller verlassen und riskieren, dass Frauen im 21. Jahrhundert bei Geburten ums Leben kommen", sagt er.

Im Keller eines Krankenhauses in KiewBild: Emilio Morenatti/AP/picture alliance

Der Keller des Krankenhauses sei auf diese Situation nicht vorbereitet worden. Niemand in Cherson habe gedacht, so Herman, es werde Krieg geben. Ihm zufolge kamen während des Krieges im Keller der Klinik bereits vier Kinder zur Welt.

Der Gynäkologe beklagt zudem, dass Frauen zeitweilig nicht zur Entbindung ins Krankenhaus kommen können. Da die Russen Krankenwagen den Weg versperrt hätten, seien Frauen gezwungen gewesen, zu Hause zu gebären und per Telefon Anweisungen zu bekommen - darunter die, wie man die Nabelschnur kappt. Inzwischen würden Krankenwagen in der Stadt jedoch wieder durchgelassen.

Doch Herman zufolge gibt es für Schwangere aus dem Umland der Stadt weiterhin Probleme. Sie könnten nicht ins Regionalkrankenhaus nach Cherson kommen, weil die Stadt isoliert sei. "Auf dem Lande gibt es keine so guten Geburtshilfe-Abteilungen. Viele Frauen, die zur Geburt ihres Kindes zu uns kommen wollten, können das jetzt nicht mehr tun. Alle Frauen, die mit einem schwierigem Geburtsverlauf zu rechnen hatten, kamen bisher zu uns", betont er.

Was passiert in Tschernihiw?

Noch komplizierter ist die Lage in Tschernihiw, wo die russischen Raketenangriffe andauern. Am 2. März traf eine russische Rakete das Bezirkskrankenhaus und beschädigte das Gebäude schwer. Aber die Entbindungsklinik von Tschernihiw ist noch intakt. Werdende Mütter und Ärzte müssen sich allerdings ständig vor den Angriffen in den Keller retten.

"Wir haben einen großen Luftschutzbunker, den ich noch rechtzeitig instand gesetzt habe. Die Lüftung funktioniert und es gibt dort einen separaten Stromgenerator, auch Toiletten und sogar einen OP-Saal. Auch für Lebensmittelvorräte und Medikamente ist gesorgt. Ich hatte mit einem russischen Angriff gerechnet", sagt Chefarzt Wasyl Husak.

Seinen Angaben zufolge gab es seit Kriegsbeginn schon mehr als 40 Geburten in seiner Klinik, darunter zwei Mal Drillinge, was sehr selten ist. "Das letzte Mal, dass bei uns Drillinge zur Welt kamen, war vor drei Jahren. Und jetzt sogar zwei Mal. Alle Kinder sind gesund. Die eine Familie hat drei Mädchen und die andere zwei Mädchen und einen Jungen bekommen", so der Arzt. Er ist sich sicher, dass dies ein gutes Zeichen ist, und hofft, dass der Krieg bald endet. "Es wurden fünf Mädchen und ein Junge geboren. Man sagt, Mädchen würden für Frieden in der Welt geboren", sagt der Arzt.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

Frauentag: Proteste vor Russlands Botschaft

02:37

This browser does not support the video element.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen