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Literatur

"Kinder des Zufalls"

Jochen Kürten
11. Oktober 2018

Rechtzeitig zur Buchmesse hat Rosenfeld ihren dritten Roman vorgelegt. Seit sechs Jahren in Texas zuhause, erzählt sie Geschichten von Europäern und Amerikanern. Der Zufall spiele darin eine bedeutende Rolle, sagt sie.

Astrid Rosenfeld
Bild: Benedikt Schnermann

Das Buch dreht sich um die beiden Hauptfiguren Maxwell und Elisabeth, er Amerikaner, sie Deutsche. Es ist eine Geschichte der Begegnungen: von Europäern, die einst mit dem Schiff in die Neue Welt aufgebrochen sind, von Eltern und Großeltern, von Kriegen auf dem "alten Kontinent" Europa und Kriegen der USA in Südostasien. Es sind viele Geschichten und Personen, die Rosenfeld auf knapp 300 Seiten zusammenbringt.

Es ist auch das Buch einer deutschen Schriftstellerin, die inzwischen in den USA lebt und von dort auf Deutschland und Europa blickt. Wir haben Astrid Rosenfeld nach der Grundidee ihres Romans und dem Leben in den USA unter Donald Trump gefragt.

Deutsche Welle: Was wollten Sie mit dem Romantitel "Kinder des Zufalls" zum Ausdruck bringen?

Astrid Rosenfeld: Es geht in meiner Geschichte ja um mehrere Generationen. Ein Gedanke, der dahinter steckt, ist: Wenn man überlegt, wie viele Zufälle oder Schicksalsschläge nötig sind, damit man überhaupt geboren wird! Wie viele Momente es gegeben hat in der Geschichte unserer Eltern, Großeltern und Urgroßeltern, es geht ja noch unendlich weiter, also wie viele Momente es gegeben hat in deren Geschichten: Geht man nach rechts oder geht man nach links? Wären sie nach links gegangenen, würden wir jetzt hier nicht sitzen.

Wenn man das durchspielt im Kopf, wenn man sich darüber Gedanken macht, dann ist man selber schon ein Wunder! Dass man überhaupt geboren wird. Im Roman geht es um die Zufälle, um diese verschiedenen Lebenswege und Schicksalsschläge - wie das Leben in wie viele verschiedene Richtungen hätte gehen können. Die Zufälle - oder Schicksalsschläge - lenken einen aber in eine Richtung.

Sie setzen Zufall mit Schicksal gleich ...

Ja, manchmal möchte man ja glauben, dass alles vorherbestimmt ist, dass es genauso kommen muss und nicht anders hätte kommen können. Aber vielleicht ist es ja auch nicht so. Vielleicht ist es auch Zufall. Ich weiß das auch nicht. Manchmal denke ich, es ist alles beliebig, es sind alles wirklich nur Zufälle. Und manchmal macht alles so viel Sinn, dass ich denke, es ist alles ein großer Plan, und es gibt so etwas wie ein Schicksal.

Sie haben Ihren Roman zu großen Teilen in den USA angesiedelt - weil Sie dort leben, oder gab es noch andere Gründe?

Ich glaube, in Amerika sind ganz andere Geschichten denkbar als hier. Manche Geschichten können einfach nur dort passieren. Vielleicht nicht mehr so wie früher. Aber die USA waren sehr lange ein Sehnsuchtsort. Es war alles möglich. Etwas davon spürt man auch noch heute. Dort hat man oft das Gefühl - vielleicht weil einfach alles so groß ist, so gigantisch, so unterschiedlich - ja, hier ist alles möglich! Ich habe über das Buch schon nachgedacht, bevor ich dorthin gezogen bin. Dass es dann Texas geworden ist (wo der Roman zum Teil spielt, Anmerkung.d. Red.), hatte etwas damit zu tun, dass ich dort lebe und ich mir gedacht habe, warum soll ich das zum Beispiel in Virginia spielen lassen, wenn das alles hier vor meiner Tür ist?

Sehnsuchtsland USABild: picture-alliance/dpa/F. Schumann

"Kinder des Zufalls" ist auch ein Buch über Deutschland und die Vereinigten Staaten, über zwei Kulturen und Geschichten, über Vietnam und den Zweiten Weltkrieg, über Flucht und Vertreibung. Wollten Sie auch das widerspiegeln?

Vielleicht, ein wenig schon. Das sind die zwei Kulturen, die ich am besten kenne. Diese Geschichte - Menschen gehen auf Schiffe und gehen in die "Neue Welt", diese Träume und Sehnsüchte von "nochmal ein neues Leben anfangen". Das spielt da sicher rein, das ist ja ein klassisches Bild.

Warum haben Sie in dem Erzählstrang, der in den USA spielt, auch über den Vietnam-Krieg geschrieben?

Weil der Vietnam-Krieg mehr als ein Krieg war. Damals ist in Amerika ganz viel passiert. Das spielte sich nicht nur in Vietnam ab, sondern in ganz Amerika. Das hat Menschen verändert, vor allem auch politisch. Für mich haben - das klingt jetzt ein wenig "bescheuert" - Kriege eine besondere Bedeutung, weil dort die Fallhöhe so groß ist: Es geht um Leben und Tod - und sonst um gar nichts. Der Rest wird unwichtig, sehr vieles zumindest.

Ich selbst habe noch keinen Krieg erlebt. Aber vielleicht ist es die Kunst des Schriftstellers, der sich Geschichten ausdenkt, dass man sich dort reinfinden kann. Dadurch, dass es in dieser Zeit spielt, kann man das nicht ohne den Vietnam-Krieg erzählen. Als ich 1994 mit der Schule nach Amerika gefahren bin, da war Vietnam noch ein Tabuthema.

"Kinder des Zufalls" blickt auch nach VietnamBild: Getty Images/AFP

In Deutschland ist der Zweite Weltkrieg zum Teil aufgearbeitet. Hier sagen wir: Wir haben Schlimmes getan. In Amerika aber hat das (der Vietnam-Krieg, Anmerkung d. Red.) heute noch etwas sehr Zwiespältiges: Wie steht man heute dazu? Auch weil diejenigen, die eingezogen wurden, zu 80 Prozent aus  unteren Schichten kamen.

Sie leben seit nunmehr sechs Jahren in Texas. Wie erleben Sie das Amerika des Donald Trump ganz persönlich? Hat es sich auch für Sie verändert?

Schon. Man merkt das Gespaltene total intensiv. Man merkt, dass Menschen viel politischer werden, dass jeder eine Meinung hat, eine unverrückbare Meinung - je nachdem, mit wem man spricht. Man hört nur: "Das ist gut!" oder "Das ist schlecht!" Es hat etwas total Absurdes. Auch die Nachrichten im Fernsehen - das hat mittlerweile etwas "Daily-Soap-mäßiges", etwas ganz Unwirkliches

Sind die Leute politischer geworden?

Bisher hat man gedacht: Wer guckt schon auf meine Wähler-Stimme? Bisher hat man gedacht: Es ist ja eigentlich egal, wer reagiert, man muss auch nicht wählen gehen. Es ist total egal, wie es ist… Und jetzt merkt man vielleicht, dass nicht alles so bleibt, wie es ist. Was man in den USA sieht, auch in Deutschland, ist, dass Menschen wahnsinnig wütend sind. Das ist so eine Art Grund-Wut. Dass äußert sich in solchen Wahl-Ergebnissen. Und man kann man diese Leute zum Teil verstehen, manches ist nachvollziehbar.

Donald Trump spaltet die NationBild: Reuters/Y. Gripas

Wie erklären Sie sich diese Wut in den USA?

Was in Deutschland  gar nicht so im Bewusstsein ist, wie verhasst Hillary Clinton war! Das ist bei so vielen Menschen so. Das wusste auch ich nicht. Wir mochten Bill Clinton ja alle. Dass aber dann wirklich auch viele Demokraten gesagt haben: Die nicht, die wollen wir nicht! Die Clintons stehen für das Establishment.

Die Menschen haben mit Barack Obama gedacht, jetzt ändert sich was. Aber irgendwie hat sich nichts geändert. Ich persönlich denke, Obama wird sehr viel Unrecht getan. Aber da wurde das Land gespalten. Es gab viele Obama-Befürworter, aber eben auch viele, die ihn nicht wollten. Ob das auch etwas mit unterschwelligem Rassismus zu tun hat, das weiß ich nicht. Wir (in Deutschland) haben Obama ja geliebt, aber in den USA war das nicht so.

Und Donald Trump? Welche Erklärungen gibt es für seine Wahl?

Ich erinnere mich, dass bei den Vorausscheidungen der Republikaner, als das anfing mit ihm und den republikanischen Präsidentschaftskandidaten, da war Trump noch anders, weniger radikal, mehr bei sich, normaler irgendwie. Ich persönlich hätte den nie gewählt. Aber er hat sich heute - im Gegensatz zum damaligen Wahlkampf - noch mal verändert.

Schauplatz Texas - hier kennt sich Astrid Rosenfeld ausBild: Benedikt Schnermann

Was bei den Amerikanern viel extremer als bei uns ist, ist diese Ablehnung von "Political Correctness". Das ist den Leuten auf den Keks gegangen, dass man gar nichts mehr sagen konnte. Jeder fühlte sich wegen jedem Quatsch angegriffen. Da haben sich viele gefragt: Warum kann man nichts sagen? Donald Trump hat das dann - aus Sicht der Leute - gemacht: Er sagte, wie es ist. Er sagt halt Sachen, die viele denken. Er kann das auch gar nicht anders, der hat ja nur ungefähr zehn Worte zu Verfügung. Aber das ist das, was den Leuten gefallen hat. Die hatten keinen Bock mehr, dass jeder sich angegriffen fühlte.

Hat sich beim Blick der Amerikaner auf die Europäer, auf die Deutschen irgendwas geändert? Was sind Ihre Erfahrungen? 

Nein, nicht da, wo ich bin. Ich glaube auch, die Trump-Wähler interessieren sich nicht für Europa-Politik, die haben andere Feindbilder, da fällt man als Europäer nicht in diese Gut-Böse-Kategorie.

Sehen Sie diesbezüglich Änderungen in nächster Zeit, etwa dass der Stern Trump sinkt? Könnte das mal umschlagen gegen Trump, weil er sich entlarvt?

Ich glaube das, was die Presse sagt: Es gibt eine Hardcore-Base, das sind 30 Prozent Befürworter. Denen ist es scheißegal, was Trump macht. Der könnte alles machen, die wählen den.

Die restlichen sogenannten Independent-Wähler, die weder Republikaner noch Demokraten sind, die jede Wahl anders wählen, da glaube ich schon, dass man an einem Punkt gelangt, wo man Änderungen will. Es kommt natürlich drauf an, was in den nächsten zwei Jahren passiert.

Astrid Rosenfeld in ihrer WahlheimatBild: Benedikt Schnermann

Jetzt kommen erst mal die Midterms (die Wahlen zur Halbzeit der Präsidentschaft, Anmerkung d. Red.). Gerade für Texas bin ich super gespannt, ob der Kandidat der Republikaner, der erzkonservative Ted Cruz, oder der der Demokraten, Beto O’Rourke, das Rennen macht. Das ist diesmal wirklich spannend, weil ein Demokrat noch nie so nah dran war. Texas wählt ja traditionell Republikaner. Und jetzt ist da ein Demokrat, der von seiner Art ein wenig an Obama erinnert.

Das Gespräch führte Jochen Kürten.

Astrid Rosenfeld: Kinder des Zufalls, Kampa Verlag, 272 Seiten, ISBN: 978-3311100010.

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