Kinder können sich mit dem Coronavirus infizieren und es auch an Oma und Opa weitergeben, an die Eltern und Geschwister. Symptome zeigen Kinder meist nicht und werden kaum getestet.
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Mit der potentiellen Ansteckungsgefahr durch Kinder mit dem Coronavirus beschäftigen sich mittlerweile etliche Studien. So haben am 4. Januar dieses Jahres WissenschaftlerInnen um den WienerMikrobiologen Michael Wagner eine neueStudie vorgestellt. Wagner erklärte dabei, dass im November letzten Jahres in jeder dritten bis vierten untersuchten Klasse ein infiziertes Kind gesessen habe, ohne von der Infektion zu wissen.
Die Studie bediente sich dabei einer eher ungewöhnlichen Vorgehensweise: Die TeilnehmerInnen an der Studie mussten eine Minute mit einer speziellen Salzwasserlösung gurgeln, die sie dann in ein Röhrchen spuckten. Diese Probe wurde einem PCR-Test unterzogen. Das Ganze ist für die Kinder wesentlich angenehmer als wenn jemand ihnen für einen Abstrich ein Wattestäbchen in den Rachen steckt.
Ein Ergebnis der Studie: Auch Kinder sind häufig infiziert, oftmals sogar häufiger als Erwachsene, zeigen aber kaum Symptome. Die Notwendigkeit, auf COVID-19 zu testen, liegt also nicht unbedingt auf der Hand. "Wenn ich nur die infizierten Kinder anschaue und dann frage: 'Gibt es noch andere nachgewiesene Infektion an den Schulen', ohne dass ich auch asymptomatische Kinder teste, dann kann ich keine Aussage machen, woher das Virus stammt", erklärt Wagner im ARD-Magazin Panorama. "Also, wenn der Franz infiziert war, hat man dann die ganze Klasse getestet oder hat man nur gesagt, gibt es noch andere nachweislich Infizierte in der Klasse vom Franz? Eine Aussage kann ich nur machen, wenn ich zumindest die ganze Klasse von den infizierten Schülern getestet habe, und zwar nicht nur einmal."
Kinder können das Virus weitertragen
Bislang waren die meisten WissenschaftlerInnen davon ausgegangen, dass Kinder im Allgemeinen keine große Rolle bei der Verbreitung des Coronavirus spielen. Eine Studie am Helmholtz-Zentrum München kam indes mit Antikörper-Tests zu einem anderen Ergebnis.
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Annette-Gabriele Ziegler hat die Studie geleitet: "Wir haben Kinder auf Antikörper gegen das Coronavirus hin untersucht und feststellen müssen, dass mehr als sechsmal so viele Kinder eine Coronainfektion durchgemacht haben wie bislang angenommen."
Zwischen Januar 2020 und Juli 2020 hatten die WissenschaftlerInnen die Blutproben von knapp 12.000 Kindern in Bayern auf SARS-CoV-2 untersucht. Die TeilnehmerInnen waren zwischen 1 und 18 Jahren alt. Von den Kindern, die mit einem auf das Virus positiv getesteten Familienmitglied zusammenlebten, wiesen etwa ein Drittel Antikörper auf.
Knapp die Hälfte der Kinder entwickeln keine Symptome, und die Antikörper gegen SARS-CoV-2 sind erst nach einer bis vier Wochen nachweisbar.
Die stille Gefahr
Dass Kinder oftmals keinerlei Symptome zeigen, sich die Infektion also quasi im Hintergrund entwickeln und dann ausbreiten kann, liege unter anderem an den sogenannten naiven T-Zellen, erklärt Donna Faber. Sie ist Mikrobiologin und Immunologin an der Columbia University. Sie hat sich unter anderem mit den unterschiedlichen Antikörperreaktionen auf SARS-CoV-2 bei Kindern und Erwachsenen beschäftigt.
Außerdem hat sie eine Studie geleitet, die sich mit der Rolle von sogenannten untrainierten Immunantworten bei Kindern beschäftigt und mit deren Relevanz als Schlüssel für die Eliminierung von SARS-CoV-2.
"Kinder reagieren anders auf Viren im Allgemeinen und auf Coronaviren im Besonderen. Das hat mit diesen naiven T-Zellen zu tun", erklärt die Wissenschaftlerin im Gespräch mit der Deutschen Welle.
"Die neuen T-Zellen können auf neue Krankheitserreger ganz anderes reagieren. Kinder produzieren ständig neue dieser sogenannten naiven T-Zellen, sie haben ein ganzes Arsenal davon. Erwachsene hingegen verlieren im Laufe ihres Lebens die Fähigkeit, neue dieser naiven T-Zellen zu produzieren."
Diese Zellen zirkulieren zwischen den Blutgefäßen und peripheren lymphatischen Organen. Kommen sie in Kontakt mit einem Antigen, erhalten sie das Signal zur Vermehrung und können dann mit der adaptiven, der erworbenen Immunantwort, reagieren.
Die T-Zellen von Erwachsenen hingegen sind auf Infektionen trainiert, die sie bereits durchgemacht haben, zum Beispiel Influenza-Viren. Da reagieren Erwachsene wesentlich effektiver. Jetzt aber seien sowohl Erwachsene als auch Kinder einem neuen Erreger ausgesetzt, erklärt Faber. Darauf könnten Kinder wegen der neuen T-Zellen besser reagieren.
Die Gefahr, dass Kinder ansteckend sein könnten, wurde bislang unterschätzt. Kinder können das Virus durchaus unbemerkt weitergeben. Aber sie werden wesentlich seltener oder gar nicht auf eine Corona-Infektion hin getestet.
Um das Virus einzudämmen, fordert Annette-Gabriele Ziegler wesentlich strengere Vorsichtsmaßnahmen gerade in Kindergärten und Schulen. Dazu gehört es nach wie vor Distanz zu halten, regelmäßig zu lüften, die bekannten Hygieneregeln einzuhalten und die Gruppen von Kindern und Jugendlichen so klein wie möglich zu halten. Zudem sei es geboten vermehrt zu testen, auch wenn es keine offensichtlichen Symptome gibt.
Coronavirus-AHA-Regeln: Wie viel Abstand darf es bitte sein?
Abstand ist wichtig. Aber eine festgesetzte Abstandsregel wird der realen Ausbreitung von Viren nicht gerecht, sagen britische Forscher. Und die CDC warnt: Infektionen drohen schon nach wenigen Minuten.
Bild: picture-alliance/dpa/B. Wüstneck
Aber bitte mit Abstand!
Das sind die AHA-Regeln wie wir sie kennen: Abstand von 1,5 bis 2 Metern halten (in angelsächsischen Ländern: 6 Fuß), Hygiene beachten und Alltagsmaske tragen. Doch das werde der komplexen Realität, wie sich Aerosole ausbreiten, nicht gerecht, schrieben Forscher aus Oxford und London (UK) sowie aus Cambridge (USA) in einer Analyse, veröffentlicht im British Medical Journal Ende August.
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Wie jetzt?
Der britische Premierminister Johnson führte die Abstandsregeln in einem Klassenzimmer vor. Aber was heißt das jetzt genau? Müssen zwischen seinen Fingerspitzen und denen eines potentiellen weiteren Menschen auch nochmal 1,50 Meter liegen? Eigentlich wäre das logisch. Wenn ein Mensch aber schon mit zwei Armlängen 1,50 Meter misst, da kommen schnell mal Strecken von gut 4,50 Meter zusammen.
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Oder doch besser in Schaflängen rechnen?
Der isländische Verband der Schafzüchter hat eigene Regeln aufgestellt: Zwei Schafslängen sind sachgerecht zur Vermeidung einer Infektion. Ob die Alltagsmaske da wohl aus echter Schafswolle gestrickt ist? Dieser junge Schäfer im Senegal zieht dem Tier schon mal die Hammelbeine lang. Vielleicht will er herauszufinden, wie lang ein Schaf ist. Die Isländer wissen es schon: genau ein Meter.
Bild: AFP/J. Wessels
Natürliche Abstandhalter
So geht es natürlich auch. Die Standardlänge einer Hundeleine entspricht ziemlich genau den geltenden Corona-Regeln. Kann es da Zufall sein, dass in der englischsprachigen Welt für Orte an denen Leinenpflicht herrscht meist eine "sechs-Fuß-Leine" vorgeschrieben wird?
Bild: picture-alliance/chromorange
Woher stammt eigentlich die 2-Meter-Regel?
Das Autorenteam um die Professorin für Strömungsdynamik Lydia Bourouiba schreibt, dass die Regel veraltet sei. Der deutsche Mediziner C. Flügge habe 1897 diesen Abstand empfohlen. Sichtbare Tröpfchen, die er in diesem Bereich aufgefangen hatte, waren noch ansteckend. Eine andere Studie von 1948 zeigte, dass 90 Prozent ausgehusteter Streptokokken in Tröpfchen nicht weiter flogen als 1,70 Meter.
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Zwei Meter sind nicht genug
Die Studie von 1948 war im American Medical Journal erschienen. Sie zeigte auch, dass immerhin 10 Prozent der Streptokokken viel weiter flogen: Bis zu 2,90 Meter. Unter solchen Umständen wären vielleicht die Menschen auf dieser Wiese am Düsseldorfer Rheinufer sicher - wenn jeder zweite Kreis frei bleibt. Aber Moment mal! Es geht uns doch dar nicht um Streptokokken (Bakterien) sondern um Viren.
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Viren verbreiten sich über Aerosole
Viren sind viel kleiner als Bakterien und können damit stundenlang herumschweben und sich auch besser in der Raumluft verbreiten. Deshalb empfehlen die Forscher, nicht nur den Abstand zwischen zwei Menschen zum Sicherheitskriterium zu machen sondern noch weitere Faktoren: die Belüftung des Raumes, ob die Menschen Masken tragen, ob sie schweigen, leise sprechen oder singen und rufen.
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Bloß nicht singen oder husten
Zahlreiche Studien jüngeren Datums zeigen zudem, dass beim Husten regelrechte Virenpakete bis zu acht Meter weit geschleudert werden können. Auch lautes Sprechen oder Singen wirbelt einiges an Aerosolen und Tröpfchen in den Raum. Wird indes nur leise gesprochen, wie in einer Bibliothek und sitzen die Menschen dazu noch an der frischen Luft, können die Abstände wieder geringer sein.
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Wie lange bleibe ich in dem Raum?
Entscheidend für die Gefahreneinschätzung ist auch die Dauer des Aufenthalts in dem kontaminierten Raum und wie viele Menschen sich darin aufhalten. Aus all diesen Faktoren haben die Forscher ein Ampelmodell entwickelt. Das klare Ergebnis: In Räumen mit vielen Menschen sollte man sich grundsätzlich nur kurz aufhalten, gut lüften, Alltagsmaske tragen und leise sprechen.
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Auch eine Minute reicht, um sich zu infizieren
Auch sehr kurze Kontakte können reichen, um SARS-CoV-2 weiterzugeben. Die US-Gesundheitsbehörde CDC musste am 21. Oktober ihre Regeln verschärfen. Zuvor hatte sich ein Gefängniswärter bei Gefangenen angesteckt hatte, mit denen er niemals länger als wenige Minuten Kontakt hatte. Ab jetzt gilt als "enger Kontakt": unter zwei Meter, mindestens 15 Minuten aber kumuliert - über 24 Stunden.
Bild: picture-alliance/empics
Hier geht es auch ohne Maske
Hier zeigt die Ampel des britisch-amerikanischen Forscherteams indes grün: Ohne Maske ist es nämlich nur draußen auch über längere Zeit sicher, wenn wenige Menschen in der Nähe sind, alles gut belüftet ist und niemand viel spricht. Aber ob dann die 1,50 Meter reichen?