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Kinder lernen nicht schneller als Erwachsene

Sophia Wagner
2. April 2018

Frankreich führt die Schulpflicht für Dreijährige ein. Aber ist das frühe Lernen wirklich besser für die Kinder? Und lernen sie besonders schnell? Absoluter Käse, meint Entwicklungspsychologin Brigitte Rollett.

Hamburg Kinder im Kindergarten
Sollten Kinder schon mit drei Jahren in die Schule gehen?Bild: picture-alliance/dpa

Das Schicksal von Frankreich hängt von seinem Erziehungssystem ab, meint Präsident Macron. Deshalb soll ab September die Vorschule für alle Kinder zur Pflicht werden. Statt wie bisher ab dem sechsten Lebensjahr, müssen französische Kinder jetzt schon ab ihrem dritten Geburtstag die Schulbank drücken. Die Vorschule ist in Frankreich beliebt und wird auch ohne Pflicht 97 Prozent aller Kinder besucht. Weil Präsident Macron aber fürchtet, dass es sich bei den übrigen drei Prozent vor allem um Kinder aus benachteiligten Familien handelt, wird die Vorschule Pflicht und ab September auch das Schulessen kostenlos.

Vielleicht ist die frühe Schulpflicht ein Vorteil für Frankreich, aber ist sie auch gut für die Kinder? Wie viel Lernen und Struktur tuen Dreijährigen gut?

DW: Frau Rollett, stimmt es, dass kleine Kinder schneller lernen als Erwachsene? 

Brigitte Rollett: Nein, das ist absoluter Käse. Sie lernen sogar wesentlich langsamer. Ihre Gehirne sind noch in der Entwicklung und nicht so geordnet, wie bei Erwachsenen. Gerade bei den Dreijährigen sind wichtige Verbindungen zwischen verschiedenen Gehirnbereichen noch nicht vollständig ausgebildet. Zum Beispiel die Rechts-Links-Unterscheidung ist ein Prozess, der eine gewisse Zeit dauert und erst aufgebaut werden muss.

Gilt das auch für das Lernen von Sprachen?

Ja, das gilt auch für Sprachen. Im Gehirn gibt es zwei Sprachzentren, zwischen denen sich erst über die Zeit eine  stabile Verknüpfung bildet. Das Einzige, was kleine Kinder besser und schneller lernen, ist die richtige Aussprache. Wenn Kinder eine Sprache lernen, hören sie sich oft an wie Native Speaker. Für Erwachsene ist das schwieriger.

Präsident Macron möchte, dass alle Kinder in die Vorschule gehen und führt gleichzeitig auch das kostenlose Schulessen einBild: picture-alliance/dpa/Büttner

Dass man im Alter nicht mehr lernt ist also ein Gerücht?

Ja, das ist längst überholt! Haben sie schon mal von der Londoner Taxifahrer-Studie gehört? Englische Neurologen haben sich angeschaut, wie sich das Gehirn von Taxifahrern während der ersten vier Jahre im Beruf verändert. Das war 2011, da waren Navigations-Systeme noch nicht so verbreitet. Damals hat man festgestellt, dass der Orientierungsbereich im Gehirn nach den vier Jahren wesentlich größer war als beim Rest der Bevölkerung.

Wichtig ist also nur das richtige Training?

Die Kapazität ist da, es geht nur darum, wie man sie ausschöpft. Das tägliche Navigations-Training in den Straßen von London hat bei den Taxi-Fahrern zu einer Veränderung der Gehirnstruktur geführt. Das war ein Meilenstein in der Untersuchung der Gehirnentwicklung. Die Studie hat bewiesen, dass auch Erwachsene noch lernen können.

Eltern müssen sich also keine Sorgen machen, dass ihre Kinder, wenn sie erst mit sechs in die Schule kommen, Nachteile haben?

Ich würde sogar sagen, dass es von Vorteil sein kann. Wenn man zu früh anfängt, Lernen zu strukturieren und zur Leistung zu machen, kann das den Kindern die Motivation schnell verderben und sie überfordern.

Generell in den Kindergarten zu gehen ist aber schon sinnvoll?

Extrem sinnvoll, weil die Kinder im Kindergarten auch soziale und kooperative Fähigkeiten lernen. Und - verstehen sie mich nicht falsch - auch eine spielerische Hinführung auf das spätere Lesen, Schreiben und Rechnen lernen ist wunderbar. Wichtig ist nur, dass man es kindgemäß macht und dabei auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kinder eingestellt ist. Es gibt Kinder, die mit drei Jahren  schon addieren und subtrahieren können, andere müssen erst lernen, viel und wenig zu unterscheiden. Jedes Kind muss bei seinem persönlichen Stand abgeholt werden.

Prof. em. Brigitte Rollett arbeitet am Institut für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie an der Universität Wien. 

 

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