1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Kinder! macht Neues!"

Dieter David Scholz7. November 2001

125 Jahre Bayreuther Festspiele - 50 Jahre Neubayreuth

Folge 3: Bayreuth als Erbschaft und Tempel

Cosimas Konservierung der Bayreuther Festspiele nach Richard Wagners Tod 1883

Blicken wir zurück: 1876 fanden die ersten Bayreuther Festspiele statt. Nach großem finanziellem Misserfolg wurden die zweiten Festspiele 1882 mit der Uraufführung des "Parsifal" endlich der von Wagner erhoffte Durchbruch. Die Festspiele des Jahres 1883, nur wenige Monate nach seinem Tod, wurden zum Requiem für Richard Wagner. "Parsifal" und nichts anderes stand auf dem Programm. Cosima, die Witwe, hatte - entgegen aller Legendenbildungen von der in Trauer erstarrten Witwe - schon wenige Tage nach Wagners Tod entschieden, die Festspiele um keinen Preis zu gefährden, sondern zügig vorzubereiten. Sie ließ die Festspiele des Vorjahres einfach wiederholen. Mit Hermann Levi als Dirigent und mit im Wesentlichen gleicher Besetzung wie im Vorjahr. Auch 1884 gab es weitere "Parsifal"-Festspiele. Auf Anraten ihres juristischen und finanziellen Beraters Adolf v. Gross entschied Cosima, 1885 ein Pausenjahr einzulegen um Ausgaben zu sparen. Die Erbschaftsangelegenheiten hatte sie bis ins Kleinste juristisch regeln lassen, denn Wagner hatte kein Testament hinterlassen. Cosima plante vier Jahre im voraus. Und sie war - aller Skepsis einer breiten Öffentlichkeit zum Trotz - entschlossen, auch selbst Regie zu führen. Ihre erste Regiearbeit datiert ins Jahr 1886, in dem sie den "Tristan" zum ersten mal bei den Bayreuther Festspielen zeigte. Im wesentlichen kopierte sie die Inszenierung der Münchner Uraufführung von 1865.

Cosima Wagner demonstrierte schon bei ihrer ersten Inszenierung, dem "Tristan", pe-dantische Buchstabentreue gegenüber Wagners Regiean-weisungen, die für ihren Bayreuther Regiestil kennzeichnend werden sollte, gepaart mit naturalistischer Draperie des 19. Jahr-hunderts, Untertreibung alles Gestischen und weihevoller Distanz der Personenregie. Das stand übrigens ganz im Gegensatz zu Wagners Temperament und der von ihm gewünschten darstellerischen Drastik und Theatralik.
Cosimas "Tristan"-Inszenierung wurde ein solider künstlerischer Erfolg. Sie hatte damit als neue Leiterin der Festspiele von 1886 sozusagen die Nagelprobe bestanden. Nur die Besucherzahlen waren keineswegs befriedigend. Sie lagen im Schnitt bei 960 verkauften Karten pro Vorstellung. Das Festspielhaus hat aber fast 2000 Plätze! Das Überleben der Festspiele stand auf dem Spiel. An eine Wiederholung konnte im folgenden Jahr nicht zu denken sein. Also pausierte man wieder. Inzwischen regelte ihr Rechts- und Finanzbeistand Adolf von Groß die Eigentumsrechte des "Rings" und des "Parsifal". Auf beide Werke hatte der Baye-rische Staat Eigentumsrechte angemeldet. Doch König Ludwig der Zweite hatte seinerzeit Wagner, der ihm die Werke einst geschenkt hatte, eine Verzichtserklärung geschrieben. Man einigte sich auf einen Vergleich: Wagners Erben wurden zu Eigentümern des gesamten musika-lischen Werks Wagners anerkannt und Bayreuth zum ausschließlichen Aufführungsort des Parsifal. Dafür gestand man München alle Rechte an den Jugendopern "Die Feen" und "Das Liebesverbot" zu. Die nächsten Festspiele fanden 1888 statt. Cosima inszenierte "Die Meistersinger".


Die "Meistersinger"-Inszenierung Cosima Wagners wurde, nicht zuletzt dank Hans Richters Dirigat, ein beispielloser Erfolg. Der Beifall des Publikums und weiter Teile der Presse überschlug sich. Nun endlich schienen sich alle Zweifel am Überleben der Institution in Luft aufgelöst zu haben.
Die Festspiele des Jahres 1889 wurden musikalisch die strahlendsten überhaupt. Felix Mottl dirigierte den "Tristan", Hans Richter die "Meistersinger" und Hermann Levi den "Parsifal". Bayreuth war nun das gesellschaftliche Ereignis, es zog genau die modischen Publikums-massen, die Neureichen und den europäischen Hochadel an, jene Klientel, die Wagner eigentlich ausschließen wollte. Aber Bayreuth war nicht nur chick und ein musikalisches Pilgerzentrum, die Anwesenheit des frischgekrönten Kaisers Wilhelms II. adelte die Bayreuther Festspiele zu einem Ereignis von geradezu nationaler Bedeutung.
Die prophetischen Worte des Philosophen und Kulturkritikers Friedrich Nietzsche hatten sich erfüllt: "Die Deutschen ha-ben sich einen Wagner zurecht gemacht, den sie verehren kön-nen."

Mit dem finanziellen Erfolg von 1889 wagte es Cosima im folgenden Jahr, den "Tannhäuser" erstmals in Bayreuth auf die Bühne zu bringen. Felix Mottl sollte ihn dirigieren. Sie scheute keine Mittel bei der Vorbereitung: Bühnendekorationen von üppigster Phantastik und mittelalterlicher Monumentalität, unglaubliche Chor-, Statisterie- und Tänzermassen. Sogar die berühmte Tänzerin Isodora Duncan trat im Baccha-nale auf. Cosimas Losung lautete: "Wir müssen etwas kolossal Antikes in der ersten Szene zustande bringen und für den zweiten Teil die ganze Seele des Mittelalters vor uns haben." -Mit Cosima begann recht eigentlich die verfälschende Wagner-Idolisierung. Richard erschien ihr... - "... als gewaltige Rettung des germanischen Gei-stes...", ... wie man schom am 10. September. 1873 in ihrem Tagebuch lesen kann. Den "Parsifal" betrachtete sie als heiliges Werk eines neuen Christentums, dem sie missionarisch dienen zu müssen glaubte, wie sie dem Dirigenten Felix Mottl gegenüber am 16. August 1887 bekannte: "Auf unserem Hügel ist nun die feste Burg, da haben wir unseren teuren Heiland frei von allem Unwürdigen, wel-ches eine traurige Menschheit ihm aufgebürdet. In diesem Gottes-Haus sind alle berufen, die nur wahrhaftig und not-gedrungen sind." Dieser Brief Cosimas ist vor allem das Dokument einer Religions-gründung in Bayreuth, einer Religion, als deren Hohepriesterin sich Cosima empfand. Dienst am Werk wurde bei Cosima zum Gottesdienst, der Kreis der Getreuen zur Gemeinde. Der kluge, Wagner-kritische Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick nannte den Kreis der Wagner-Jünger um Cosima nicht zu Unrecht die "Betbruderschaft vom heiligen Richard". Friedrich Nietzsche registrierte den Bayreuther Wagnerismus mit Abscheu. In seiner Schrift "Der Fall Wagner" schrieb er: - "Die Jünglinge beten Wagner an ... Bayreuth reimt sich auf Kaltwasserheilanstalt." Einer der getreuesten Diener Cosimas war Hans von Wolzogen, der Herausgeber der Bayreuther Hauszeitschrift, der "Bay-reuther Blätter".
Die "Bayreuther Blätter", ursprünglich gedacht als Informationsorgan für die Mitglieder der Wagner-Patronats-Vereine, verkamen unter Cosimas Leitung zu einer erzkonservativen, nationalistischen, ja antisemitischen "Deutschen Zeitschrift im Geiste Richard Wagners". Man muß hinzufügen: im vermeintlichen Geiste Richard Wagners. Wagner wurde von Cosima bzw. unter ihrer Aufsicht von den Autoren der Bayreuther Blätter idolisiert zum Religions-gründer einer germanischen, antisemitischen, völkischen Ideologie. Damit machten sich die Autoren des Bayreuther Kreises zu den geistigen Wegbahnern des Nationalsozialismus. Bayreuth wurde so zum Zentrum einer chauvinistischen, nationalistischen Ideologie. Was die Familie Krupp für die Rüstungsindustrie des Deutschen Staates, war Bayreuth für die deutsche Kulturindustrie geworden.

1894 inszenierte Cosima Wagner den "Lohengrin" und brachte auch dieses Werk erstmals in Bayreuth auf die Bühne. Sie zeigte die romantische Oper vor allem als das Drama eines Zusammenpralls von Christen- und Heidentum. Und sie distanzierte sich von den inzwischen vorherrschenden deutschtümelnden Inszenierungen des Werks an den deutschen Opernhäusern.

Inzwischen kamen jährlich mehr Amerikaner, Briten und Franzosen zu den Festspielen. Das Publikum, aber auch die Künstler wurden immer internationaler. Bayreuth war eine Weltattraktion geworden. Das immerhin war Cosimas Verdienst.
Sie hatte darüberhinaus eine Stilschule für Wagnersänger ins Leben gerufen und sie hatte 1894 einen neuen "Ring" in ganz neuen Bühnenbildern herausgebracht. Nach dieser Saison trat Hermann Levi aus gesundheitlichen Gründen als "Parsifal"-Dirigent zurück. (*) Er wurde durch den Assistenten Karl Muck ersetzt.

Alles in allem war die Ära der von Cosima geleiteten Bayreuther Festspiele äußerst erfolg-reich. Aber eine schwerwiegende Niederlage mußte Cosima doch hinnehmen. Gegen Ernst von Possart, der im Münchner Prinzregententheater "Parsifal" aufführen wollte", dessen Schutz-rechte 1913 ausliefen, protestierte sie heftig und appellierte schon seit 1901 an den Deutschen Reichstag, diese Schutzrechte, also das, was wir heute Urheberrecht nennen, auszudehnen, um Bayreuth die alleinigen Aufführungsrechte zu sichern. Ihre Bemühungen blieben vergeblich. Schon 1903 führte die New Yorker Metropolitain Opera den "Parsifal" auf. Dieser Gralsraub traf sie tief. Aber sie war machtlos. Da die Vereinigten Staaten von Amerika dem Berner Urheberrechtsabkommen nicht beigetreten waren, konnte man die Aufführung in den USA nicht verbieten lassen.

Mit dem neuen Jahrhundert brachte Cosima den "Fliegenden Holländer" erstmals auf die Bühne des Bayreuther Festspielhauses. Ihr Sohn Siegfried sorgte für einen Triumph der Bühnen- und Beleuchtungstechnik. Anton van Rooy war der Holländer, die berühmte Emmy Destinn sang die Senta. Es gibt eine historische Aufnahme mit ihr aus dem Jahre 1906.

Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts blühte das Geschäft mit den Bayreuther Festspielen, auch die Wagner-Dynastie blühte auf. Das Familienvermögen vervierfachte sich, man erwirt-schaftete Millionen-Erträge. Inzwischen war auch Wagners Sohn Siegfried zum Dirigenten herangereift.

Cosimas letzte Inszenierung fand 1906 statt, noch einmal brachte sie den "Tristan" auf die Bühne. Es war ihre letzte Spielzeit. Herzattacken zwangen sie zum Rückzug vom Fest-spiel-geschäft. 1907, sie stand bereits im 70. Lebensjahr, übertrug sie ihrem inzwischen 38-jährigen Sohn Siegfried die Leitung der Festspiele. Schon seit 1896 stand er alljährlich am Pult des Festspielorchesters. Aber er hatte sich auch andernorts als Dirigent und Dichter-kom-ponist von Sagen- und Märchenopern einen Namen gemacht. Eines seiner populärsten Stücke war "Der Bärenhäuter".