"Kinder sollen Rechte einklagen können"
28. Februar 2012Sie knüpfen Teppiche, hauen Steine, arbeiten als Haussklaven oder auf Plantagen: Zwischen 160 und 215 Millionen Kinder im Alter zwischen fünf und 17 Jahren müssen täglich mehrere Stunden arbeiten. Diese Zahlen gehen aus Berichten von Kinderhilfsorganisationen wie Unicef und terre des hommes hervor. 115 Millionen Kinder werden regelmäßig ausgebeutet und arbeiten unter gefährlichen Bedingungen, so die Internationale Arbeitsorganisation ILO.
Das Recht dieser Kinder auf Gesundheit, Bildung, Freizeit und Spiel wird täglich aufs Neue verletzt. Festgeschrieben sind diese Ansprüche seit 1989 in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Jetzt sollen auch Minderjährige die Möglichkeit erhalten, sich mit Beschwerden direkt an die Vereinten Nationen zu wenden. Das Zusatzprotokoll zur sogenannten Individualbeschwerde wird an diesem Dienstag (28.02.) in Genf unterzeichnet.
"Die Kinderrechtskonvention ist die Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen, die bisher noch kein Individualbeschwerderecht kennt. Deswegen ist es sehr gut, dass das beseitigt wird und auch Kinder endlich die Möglichkeit haben, individuell ihre Rechte einzuklagen", so Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) gegenüber der DW. Schröder vertritt die Bundesrepublik bei der Unterzeichnung des Zusatzprotokolls in Genf. "Wir gehören zu der Gruppe von Ländern, die diese Initiative seit Dezember 2009 mit großem Druck vorangetrieben hat. Wir sind sehr froh, dass das so schnell umgesetzt wird", so die Ministerin.
Ein langer Weg
Mit der Möglichkeit, sich nach Ausschöpfung des nationalen Rechtsweges direkt an die Vereinten Nationen wenden zu können, habe man schon in anderen Bereichen gute Erfahrungen gemacht, betont auch Jörg Maywald, der Sprecher der "National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention" in Deutschland.
"Kinder können sich oft nicht selbst vertreten. Sie kennen die Rechtswege nicht. Deswegen eröffnet dieses Individualbeschwerdeverfahren die Möglichkeit, dass Kinder durch ihre Eltern, andere Erwachsene oder Kinderrechtsorganisationen vertreten werden", erläutert Maywald die Bedeutung des Zusatzprotokolls. Diese Personen können im Namen des betroffenen Kindes zunächst die Rechtsmöglichkeiten im eigenen Land ausschöpfen. Sollten sie erfolglos bleiben, können das Kind, beziehungsweise seine Vertreter sich direkt an den UN-Ausschuss für Kinderechte in Genf wenden. Der muss die Beschwerde annehmen und darf auch Untersuchungen in dem betroffenen Land selbst vornehmen.
Maywald warnt jedoch vor überzogenen Erwartungen: "Man darf dieses Instrument nicht überschätzen. Das Verfahren endet nicht mit einem Richterspruch. Am Ende steht eine Empfehlung des Ausschusses. Das ist ein langer Prozess. Dabei geht um besonders gravierende Verletzungen von Kinderrechten." Das könne, auf Deutschland bezogen, die Frage der Rechte von Flüchtlingskindern sein, fügt Maywald hinzu.
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die illegal nach Deutschland eingereist sind, dürfen nach geltendem deutschen Asylrecht in Abschiebehaft genommen und in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden. Diese Praxis widerspricht der UN-Kinderrechtskonvention, die das Wohl des Kindes über nationales Recht stellt. Auch Bundesfamilienministerin Kristina Schröder hat noch keine Lösung für diesen Konflikt: "Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, dass alles was in Deutschland geschieht, mit der UN-Kinderrechtskonvention in Übereinstimmung zu bringen ist. Dennoch müssen wir sehr genau prüfen, ob sich in Zukunft Dinge ergeben, die nicht damit in Einklang stehen."
Kinderrechten zum Durchbruch verhelfen
1990 trat die UN-Kinderrechtskonvention in Kraft. Sie gilt weltweit für alle Kinder bis zum 18. Lebensjahr. Mit Ausnahme der USA und Somalias sind alle Länder der Konvention beigetreten. Die Kinderrechtskonvention ist somit theoretisch eigentlich der stärkste Menschenrechtsvertrag der UNO. Darin sind zehn Grundrechte definiert, die das Überleben und die Entwicklung des Kindes berücksichtigen, Kinder vor Diskriminierung schützen und ihnen ein Recht auf Beteiligung einräumen. "Das gilt für alle Kinder, auch für sehr junge Kinder. Wir wissen, dass in Schulen und anderen Orten, bis hin zu den Gerichten, Kinder nicht immer angemessen selbst gehört werden und sich einbringen können", erläutert Jörg Maywald von der "National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention" in Deutschland.
Auf der anderen Seite spielen gerade die Schulen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Kinder über ihre Rechte aufzuklären, betont die Bundesfamilienministerin. Doch nicht nur die Kinder müssen über ihre Rechte Bescheid wissen, so Kristina Schröder: "Auch wenn Menschen nach Deutschland einreisen, müssen sie darüber informiert werden, welche Rechte Menschen allgemein - und damit eben auch Kinder - in Deutschland haben."
Das Individualbeschwerderecht für Kinder wird als wichtiger Schritt für die Stärkung der Kinderrechte begrüßt. Erst wenn mindestens zehn Staaten das entsprechende Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention auch ratifiziert haben, kann es in Kraft treten. Dann muss sich zeigen, ob der lange Weg durch alle juristischen Instanzen bis hin zum UN-Ausschuss für Kinderrecht in Genf den Kindersoldaten und minderjährigen Zwangsprostituierten, Haussklaven oder Baumwollpflückern zur Durchsetzung ihres Rechts auf Bildung, Gesundheit und Freizeit verhelfen kann.
Autorin: Mirjam Gehrke
Redaktion: Miriam Klaussner