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Politik

Kinderarbeit: Das wachsende Problem

Martina Schwikowski
15. Mai 2022

Eine Folge von Corona und Armut: Die Kinderarbeit nimmt zu. Um Gegenmaßnahmen geht es seit Sonntag auf einer Konferenz in Durban. Denn in vielen Ländern Afrikas sind Mädchen und Jungen gezwungen zu arbeiten.

Ein Junge bei der Ziegelherstellung in Malawi (07.06.2019) | Malawi, Lilongwe
Jungen bei der Ziegelherstellung in Malawi (2019)Bild: Amos Gumulira/AFP/Getty Images

Die Straßen in Kameruns Hauptstadt Jaunde sind von jungen Verkäufern bevölkert. Es sind Kinder im Alter von sieben bis vierzehn Jahren, die an großen Kreuzungen und auf Märkten anzutreffen sind - oft bis spät in die Nacht. Auch Kévin und Léa sind dabei. Sie haben Schulferien, aber keine freie Zeit: "Ich verkaufe Wasser, um meinen Eltern zu helfen, meine Schulhefte für das neue Schuljahr zu bezahlen", sagt Kévin. Der Junge ist acht Jahre alt. Die zehnjährige Léa verkauft Erdnüsse, auch sie will sich so ihre Schulhefte finanzieren.

Es sind Szenen wie diese, die Chantal Zanga Sorge bereiten. Die Schulleiterin spricht sich im DW-Gespräch deutlich gegen Kinderarbeit aus. "Kinder haben ein Recht auf Schutz", sagt sie. "Wenn wir sie auf die Straße schicken, wer schützt sie dann?"

Negative Trendwende auch durch Corona

In afrikanischen Ländern leben die meisten der weltweit 160 Millionen arbeitenden Kinder: Die Internationale Arbeitsorganisation ILO geht davon aus, dass über 72 Millionen Kinder in Afrika südlich der Sahara von Kinderarbeit betroffen sind, also fast jedes fünfte Kind. Experten schätzen, dass infolge der Corona-Pandemie Millionen weitere Kinder gefährdet sind.

Arbeitender Nomadennachwuchs in der Salzwüste der Afar Region in Äthiopien (2017)Bild: Michael Runkel/ImageBroker/picture alliance

Laut dem UN-Kinderhilfswerk UNICEF ist der Fortschritt zur Beendigung von Kinderarbeit weltweit zum ersten Mal seit 20 Jahren ins Stocken geraten. Demnach haben Bevölkerungswachstum, wiederkehrende Krisen, extreme Armut und unzureichende soziale Schutzmaßnahmen in den vergangenen vier Jahren in Subsahara-Afrika zusätzliche 17 Millionen Mädchen und Jungen in die Kinderarbeit gezwungen.

Tägliche Gefahren für Gesundheit und Leben

Die jungen Straßenhändler sind täglich dem Wetter, dem Verkehr und mitunter sexueller Gewalt ausgesetzt. Von den Gefahren in der Millionenmetropole Jaunde kann auch die zwölfjährige Juliette Lemana ein Lied singen.

Auf Geheiß ihrer Mutter verkaufe sie die in der Region beliebten Safou-Früchte und geröstete Kochbananen, sagt sie. Manchmal auf dem Markt, manchmal würden die Kinder ihre Ware auch direkt auf der Straße vorbeifahrenden Autos feilbieten. "Aber kürzlich hat ein Motorrad meine Mitschülerin überfahren", berichtet das Mädchen. Doch nicht nur die Unfallgefahr, auch die langen Arbeitszeiten bereiten ihr Sorgen: "Manchmal kommen wir nachts nach Hause und können den Weg nicht mehr finden."

Freigelassener Kindersoldat im Südsudan (2018)Bild: Stefanie Glinski/AFP/Getty Images

Dabei ist Kinderarbeit laut der kamerunischen Aktivistin Pauline Biyong per Gesetz verboten: "Kamerun hat viele Gesetze zum Schutz der Kinder ratifiziert. Dieses Phänomen sollte also marginal sein, aber leider beobachten wir in unseren Städten Tag für Tag, dass Kinder von ihren Eltern als Arbeitskräfte eingesetzt werden. Das ist nicht normal", sagt die Vorsitzende der Liga für die Erziehung von Frau und Kind (LEFE) im DW-Gespräch.

Harte Wahl: Hilfe für die Familie oder Investition in die Zukunft

Armut ist nach wie vor eine der Hauptursachen für Kinderarbeit. Um das eigene Überleben und das der Familie zu sichern, schuften Kinder in den Goldminen von Tansania und der Demokratischen Republik Kongo. Sie gefährden ihr Leben als Kindersoldaten, zum Beispiel im Südsudan. Auch in der Landwirtschaft arbeiten sie - und nehmen oft niedrige Löhne in Kauf, die der Weltmarkt diktiert.

So beim Kakaoanbau in der Elfenbeinküste. Dort versucht die Schweizer Firma Nestlé ihr schlechtes Image im Kakaoanbau aufzupolieren - unter anderem mit dem Bau von Klassenzimmern für Kinder in den Anbaugebieten und Alphabetisierungskampagnen für Marktfrauen. Doch noch immer arbeiteten auf einigen Kakaoplantagen Kinder, räumt Toussaint Luc N'Guessan, Programm-Manager bei Nestlé, im DW-Gespräch ein: "Das Problem der Kinderarbeit ist real."

Polizeieinsatz gegen Kinderarbeit bei der Kakao-Produktion in der Elfenbeinküste (2021)Bild: Sia Kambou/AFP

Auch in Nigeria ist Kinderarbeit ein massives Problem: Laut ILO gehen 43 Prozent der Fünf- bis Elfjährigen in Afrikas stärkster Volkswirtschaft einer Arbeit nach - obwohl internationale Konventionen das verbieten: "Mein Vater hat mich hergebracht, damit ich das Schneidern lerne", sagt ein Junge im nordostnigerianischen Maiduguri. An manchen Tagen verdiene er 150 Naira - das sind weniger als 40 Euro-Cent. Adamu Umar, ein Vater von 15 Kindern, sagte der DW, er lasse seine Kinder als Straßenverkäufer arbeiten, um das Familieneinkommen aufzubessern.

Doch das Opfer, das sie für ihre Familien bringen, komme die Kinder letztendlich teuer zu stehen, mahnen Hilfsorganisationen. Denn ohne Schulbildung schwinden auch die Chancen auf sozialen Aufstieg und ein besseres Leben.

Wunsch und Realität

Im Rahmen der Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen haben sich alle 193 Mitgliedstaaten dafür ausgesprochen, wirkungsvolle Maßnahmen zu ergreifen, um Zwangsarbeit, moderne Sklaverei, Menschenhandel und die schlimmsten Formen von Kinderarbeit bis 2030 abzuschaffen - einschließlich der Rekrutierung von Kindersoldaten. Aber Kontrollen, um die Beschäftigung von Minderjährigen zu stoppen, seien selten, kritisiert das Kinderhilfswerk Plan International.

Müllsammler in Abidjan, Elfenbeinküste (2015)Bild: Issouf Sanogo/AFP/Getty Images

Wo die Not groß ist, fehlt oft die Einsicht. "Die Kinder müssen lernen, selbst zum Einkommen beizutragen, das ist nichts Schlechtes", sagt in Jaunde Gisèle, die auf dem Markt von Ekounou Safous schmort. "Während der Ferien haben sie nichts zu tun und es ist normal, dass sie uns helfen, den Schulbeginn vorzubereiten, indem sie zumindest die Hefte kaufen." Und fügt lakonisch hinzu: "Kamerun ist hart."

Argumente wie diese lässt Aktivistin Lucy Yunana in Maiduguri nicht durchgehen. Sie fordert, die Regierung müsse bei Missachtung strenge Strafen verhängen, um die Eltern zur Einsicht zu bewegen. Denn, so Yunana: "Es ist unsere Verantwortung als Eltern, dass wir für unsere Kinder sorgen und nicht unsere Kinder für uns."

Kinderarbeit statt Schule im Slum von Lagos

02:33

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Mitarbeit: Elisabeth Asen (Kamerun), Julien Adayé (Elfenbeinküste), Al-Amin Gombe (Nigeria)

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