Kinderbilder: ein Streifzug durch die Geschichte
2. September 2025
Der Auftrag Philipp I. an den Maler war eindeutig: Seine Töchter Eleonora und Isabella, links und rechts neben seinem Sohn Karl zu sehen, sollten auf keinen Fall blass oder kränklich wirken, sondern mit rosa Wangen das blühende Leben verkörpern - ausstaffiert in prächtigen Gewändern und möglichst hübsch anzusehen.
Das 1502 fertiggestellte Gemälde wurde dann mehrfach kopiert und an andere Königshöfe geschickt: eine gängige Praxis unter den Herrscherhäusern Europas, um den weiblichen Nachwuchs als potentielle Heiratskandidatinnen ins Spiel zu bringen. Die Botschaft: Hier kann man eine sehr gute Partie machen.
"Trafen die Kandidaten später aufeinander, so ist es überliefert, war die Enttäuschung tatsächlich manchmal auf der einen oder anderen Seite größer", so die Kunsthistorikerin Katrin Dyballa gegenüber der DW - waren die Gemälde doch oft sehr schmeichelhaft.
Das Bild sei ein Paradebeispiel der Heiratspolitik, die die Habsburger (ein österreichisches Adelsgeschlecht, Anm. d. Red.) über viele Jahrhunderte auf die Spitze getrieben hätten, um die Macht der Dynastie weiter auszubauen, sagt Dyballa. Schon im Kleinkindalter - die Schwestern waren vier und knapp zwei Jahre alt - habe man die Mädchen auf dem Heiratsmarkt angepriesen.
Die Expertin macht auf die Wappen über den Köpfen der Kinder aufmerksam: "Karl, der spätere Karl V., hat das Vollwappen über seinem Kopf schweben. Bei seinen beiden Schwestern ist die linke Fläche des Wappens leer, und das bedeutete einfach, dass dort das Wappen des zukünftigen Ehemanns eingeschrieben oder aufgemalt werden sollte."
Auch Jungen aus Adelskreisen wurden früh auf ihre zukünftigen Rollen vorbereitet - und bereits im Kindesalter in königlicher Gardeuniform oder als Feldherr in Rüstung festgehalten.
Vom Jesuskind über Putten zum Individuum
Im Mittelalter waren derartige Gemälde von Königsfamilien eher selten, die Kunst beschränkte sich damals auf mythologische und religiöse Motive. Und hier war ein Kind allgegenwärtig: Jesus auf dem Schoß der Muttergottes. Mal mit Patschhändchen und Babyspeck, mal verklärt und fast erwachsen anmutend. Kinder waren auch in der Rolle von Engeln sehr beliebt: Am berühmtesten sind wohl bis heute Raffaels Putten, die sich seit 1512/13 in den Wolken zu Füßen der Sixtinische Madonna räkeln.
Mit der Schwelle zur Neuzeit rückte dann das Individuum ins Zentrum der Malerei: Das wohlhabende Bürgertum eiferte schon bald dem Adel nach - und ließ seinen Nachwuchs ebenfalls im opulenten Barockstil porträtieren. Gern "ausstaffiert in Fantasie-Kostümen, die an mythologische oder historische Gestalten erinnerten", sagt Katrin Dyballa. "Damit wollte man die guten Eigenschaften einer historischen Persönlichkeit sinnbildlich auf die Kinder übertragen." So wie zum Beispiel die Reinheit und die Keuschheit der Jagdgöttin Diana oder die Schönheit des Adonis.
Erst belächelt, dann Vorbild: Bauern
Der Großteil der Bevölkerung, Bauern, Handwerker und Städter aus ärmlichen Verhältnissen, konnte sich solche Auftragswerke nicht leisten. "Sie hatten wahrscheinlich auch gar kein Interesse daran, weil andere Dinge im Vordergrund standen", so Dyballa - etwa wie die tägliche Mitarbeit in der Familie.
"Kinder sind sehr viel früher als heute als produktive Wesen wahrgenommen worden, das Konzept von Freizeit hat es nicht gegeben", erklärt die Historikern Claudia Jarzebowski, Autorin des Buches "Kindheit und Emotion", gegenüber der DW." Insofern hat es auch kein Konzept von Arbeit in dem Sinne gegeben, so wie man heute ins Büro geht oder in die Fabrik, sondern eben von Haushalten - und an den Abläufen in diesen Haushalten sind Kinder früh beteiligt worden. Sie mussten Beeren sammeln, Gänse hüten und waren oft nicht älter als zehn oder elf, wenn sie als Knechte oder Mägde verdingt wurden."
Bauern und ihre Kinder seien aus Sicht der höheren Stände tölpelhaft und dümmlich gewesen - und wurden dementsprechend auf Gemälde gebannt, damit man sich in den Salons der Reichen über sie lustig machen konnte, so Dyballa. Im 17. Jahrhundert änderte sich das: "Die Bauern galten dann auch aufgrund der bescheidenen Verhältnisse, in denen sie lebten, eben auch als Vorbild für Bescheidenheit und Frömmigkeit", - an denen man sich ein Vorbild nehmen sollte. Und so wurden ab dem 17. Jahrhundert auch die Abbilder von Bauernkindern als bildwürdig erachtet.
Beliebtes Motiv: Bettelkinder
Der Spanier Bartolomé Esteban Murillo, einer der berühmtesten Barockmaler, war vor allem auf Heiligen- und Madonnenbilder spezialisiert. Doch eines Tages begann er damit, überdimensionale Bilder von Straßenkindern zu malen - in einem Format also, das sonst Szenen aus der Antike, der Bibel oder eben wohlhabende Familien zeigte.
Er wollte Mitleid erzeugen und die Reichen dazu bewegen, karitativ tätig zu werden, so Dyballa. Schon bald eiferten ihm andere Maler nach - vor allem in England, wo die Bilder sehr beliebt waren. Es gab allerdings eine wichtige Voraussetzung: "Es waren natürlich Straßenkinder mit schmutzigen Füßen und zerlumpten Kleidern, aber die Gesichter und auch die Körper der Kinder mussten schön dargestellt werden." Denn die wohlhabende Kundschaft hängte sich die Bilder nur in ihre Räume, "wenn die Kinder nicht geschunden oder verkrüppelt waren".
Die Erfindung der "modernen Kindheit"
Der französische Soziologe Philippe Aries stellte Mitte des 20. Jahrhunderts die These auf, dass es bis zum 18. Jahrhundert kein Bewusstsein für Kindheit gab. Kinder seien schon sehr früh wie kleine Erwachsene behandelt worden. Auch habe man wegen der hohen Kindersterblichkeit keine enge Bindung zum Nachwuchs aufgebaut.
Falsch, sagt Katrin Dyballa. "Es gab auch im Mittelalter und 16. Jahrhundert die Kindheitsphase, aber natürlich war der Übergang zum Erwachsensein früher; die Verantwortung hat schon früher eingesetzt."
Auch die mangelnde emotionale Bindung zum Kind wurde widerlegt. Es gibt Zeugnisse darüber, dass Eltern verstorbene ungetaufte Säuglinge heimlich unter der Kirchentreppe oder im Altarraum verscharrten, weil sie nicht auf den Friedhof bestattet werden durften: Auf "heiligem Boden" gab es zumindest eine Chance doch noch in den Himmel zu kommen, was nach christlichem Glauben damals nur getauften Kindern vorbehalten war, erklärt Historikerin Claudia Jarzebowski.
Es gab auch Porträts von Kindern auf dem Totenbett oder Anspielungen auf die Antike: Dann wurde der Nachwuchs als Knabe Ganymed dargestellt, der einst von Göttervater Zeus in Gestalt eines Adlers auf den Olymp entführt wurde - weil er ihm so sehr gefiel.
Die Liebe zum Kind war also in allen Jahrhunderten gegeben; schon in der Antike gibt es Büsten und Reliefs, die die Nähe zum eigenen Fleisch und Blut widerspiegeln. Die Idee einer Kindheit im heutigen Sinne, die frei und unbelastet sein sollte, entstand aber erst in den bürgerlichen Gesellschaften des 18. und 19. Jahrhunderts, stellt Jarzebowski klar - in den Gesellschaftsschichten, die es sich leisten konnten, ihre Kinder nicht in Arbeitsprozesse einzubinden. Immer öfter bannten Maler Kinder im Spiel versunken oder herumtollend auf die Leinwand, und die stolzen Eltern schmückten damit die Wände ihrer Wohnstuben.
Die Fotografie ändert alles
Mit dem Aufkommen der Fotografie boten sich plötzlich ganz neue Möglichkeiten. Ab Ende des 19. Jahrhunderts war sie bereits weit verbreitet: In alten Fotobüchern findet man stocksteif aufgestellte Kinder im Sonntagsornat - oder die Urgroßeltern im Babyalter nackt auf dem Bärenfell.
In späteren Jahrzehnten wurde die Fotografie zum erschwinglichen Zeitvertreib für jedermann, und dementsprechend wurde auch der Nachwuchs in allen möglichen Posen und Lebensphasen abgelichtet. Als Kleinkind auf dem Töpfchen, nackt am Strand mit Schaufel und Eimerchen, bei der Einschulung oder der Geburtstagsparty.
"Man brauchte keinen Maler oder Bildhauer mehr beauftragen, sondern griff einfach selbst zur Kamera", sagt Dyballa. "Die Darstellung von Kindern wurde ungleich spontaner und momenthafter." Bis zum Zeitalter des Smartphones wurden solche Aufnahmen normalerweise nur im Familienkreis herumgezeigt, doch das Handy hat eine neue Ära eingeläutet. Eltern posten unbedarft zahlreiche Fotos ihrer Sprösslinge im Netz; Influencer präsentieren regelmäßig Fotos und Videos von ihren Kindern und dem Familienleben, weil das zu einem Plus an Followern und Likes führt - mit teils fatalen Folgen, wenn Pädophile diese Bilder abgreifen.
"Man hatte als Kind Jahrhunderte lang kein Mitspracherecht, wie man dargestellt wurde", so Dyballa.
Doch in modernen Gesellschaften gibt es mittlerweile Konventionen, die das Recht am eigenen Bild schützen. "Und immer öfter bekommen Eltern zu hören: Du kannst doch dieses Foto von mir nicht auf Facebook posten," so Claudia Jarzebowski aus eigener Erfahrung. "Ich glaube, dass da das Bewusstsein unter den jungen Leuten stärker geworden ist."
Mehr über die Darstellung des Kindes in unterschiedlichen Epochen zeigt ab dem 28. November die Ausstellung "Kinder, Kinder! Zwischen Repräsentation und Wirklichkeit" im Bucerius Kunst Forum.