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GesellschaftFrankreich

Kinderfotos im Netz - eine unterschätzte Gefahr?

17. April 2023

Immer öfter stellen Eltern massenweise Bilder ihrer Kinder ins Netz. Das verletzt nicht nur deren Persönlichkeitsrechte - es birgt auch Risiken. Per Gesetz will Frankreich jetzt als erstes Land weltweit dagegen vorgehen.

Ein Baby, dessen Gesicht nicht zu erkennen ist, hält den Finger einer weiblichen Hand
Kaum auf der Welt, schon auch im Netz - viele Eltern wollen ihre Follower schon früh an ihrem Babyglück teilhaben lassenBild: Fabian Strauch/dpa/picture alliance

Die Geburt eines Babys, sein erstes Lächeln, seine ersten Schritte - über solche frühen Meilensteine im Leben ihres Nachwuchses sind Eltern meist überglücklich. Oft werden diese besonderen Momente auch im Bild festgehalten und stolz dem Verwandten- und Bekanntenkreis präsentiert. Das konnte für andere mitunter nervig werden, war aber nie ein Problem, solange das Fotoalbum danach wieder im eigenen Bücherregal verschwand. Mit dem Einzug sozialer Medien aber werden Kinderfotos immer häufiger auch öffentlich im Internet gepostet, und das kann durchaus ungewollte Folgen nach sich ziehen.  

1300 Fotos vor dem 13. Geburtstag

"Letztlich geht es ganz oft um Anerkennung, etwa über Mechanismen wie Likes oder Herzen", erklärt Sophie Pohle, Referentin für Medienbildung beim Deutschen Kinderhilfswerk in Berlin. Gepostet werde mitunter schon das erste Ultraschallbild, aber auch Strandfotos, Kindergeburtstage oder Einschulungsfeiern. "Im Prinzip gibt es nichts, was nicht gezeigt wird." Manchmal werden sogar Kleinkinder schon zu Werbezwecken vermarktet, werben Influencer mit ihnen für Kosmetika oder Babykleidung. Dabei besitzt jeder Mensch ein Recht am eigenen Bild, das gilt auch und ganz besonders für Kinder.

Die ehemalige Kinderschutzbeauftragte für England, Anne Longfield, warnte schon 2018 in einem Bericht, dass von jedem Kind im Durchschnitt bereits rund 1300 Bilder im Netz kursieren, bevor dieses 13 Jahre alt ist. Das Phänomen besitzt sogar einen eigenen Namen: "Sharenting", zusammengesetzt aus den englischen Worten "to share" (teilen) und "parents" (Eltern).

Foto-Postings mit Folgen

Doch das Netz vergisst nichts. Dieser schon oft gehörte Satz kann tatsächlich zum Problem werden. Etwa, wenn die Kinder selbst mit ihren Fotos nicht glücklich sind. "Das, was Eltern als süß und niedlich beschreiben würden, empfinden Kinder manchmal als unfassbar peinlich", erklärt die Referentin des Deutschen Kinderhilfswerkes. "Und wenn soetwas in öffentlichen Umlauf gerät, kann das natürlich ein Angriffspunkt für Mobbing, Beleidigungen oder Hass-Kommentare sein." Auch wenn später bei einer Bewerbung "in der Personalabteilung gegoogelt wird, wer sich da bewirbt, und dann tauchen dort Bilder auf, die wirklich unangenehm sind, kann das ein Problem werden". Um auf genau diese Risiken hinzuweisen, hat etwa Bloggerin Toyah Diebel schon 2019 das Projekt #deinkindauchnicht ins Leben gerufen.

Hinzu kommt: Oft ist auf den Bildern nicht nur das Gesicht des Kindes zu sehen, sondern auch sein persönliches Umfeld: Kinderzimmer, Wohnhaus, der eigene Garten. Aus den zugehörigen Textposts lassen sich oft weitere Daten herauslesen, etwa der Name des Kindes oder sein Geburtsdatum. "Mitunter lassen sich aus diesen verknüpften Daten auch Rückschlüsse darüber ziehen, wo das Kind wohnt", warnt Sophie Pohle. Das ist nicht nur aus Datenschutzgründen ein Problem: "Natürlich gibt es so immer auch ein Risiko, dass solche Informationen und Bilder in falsche Hände geraten und beispielsweise auch in pädophilen Kreisen kursieren." Schon 2019 hat das von Bund und Ländern gemeinsam ins Leben gerufene Onlineportal jugendschutz.net in einem Bericht darauf hingewiesen, dass etwa "Instagram von Menschen mit sexuellem Interesse an Kindern zur Vernetzung missbraucht wird. Kinderbilder werden z.B. gesammelt, mit sexuellen Kommentaren oder Hashtags versehen und geteilt".

Auch vermeintlich unverfängliche Kinder- und Jugendfotos könnten durch allzu unvorsichtiges Posten auf Sozialen Netzwerken in die Hände Pädophiler geratenBild: empics/picture alliance

Was oft unterschätzt wird: "Eltern haben ein relativ gutes Bewusstsein darüber, dass das öffentliche Posten auf Facebook, TikTok oder Instagram problematisch ist", erklärt Sophie Pohle. "Gleichzeitig empfinden sie Messenger wie Whatsapp als relativ privat und teilen daher dort umso ungehemmter." Etwa mittels der Statusfunktion, bei der jedoch mitunter der gesamte Bekanntenkreis Zugriff auf die Bilder bekomme. "Der springende Punkt ist, wie groß das Verantwortungsbewusstsein von Eltern an so einer Stelle ist und wie sich das niederschlägt, etwa in Privatsphäre-Einstellungen auf den entsprechenden Netzwerken. Teile ich die Bilder wirklich öffentlich oder nur mit meinen Followern?", so Pohle. Aber auch bei einem Privatchat könne man nicht sicher sein, dass ein Foto vom Gegenüber nicht doch einmal ungefragt weitergegeben wird.  Das Deutsche Kinderhilfswerk hat dahereinen eigenen Leitfaden herausgegeben, was beim Posten von Kinderbildern im Netz besonders zu beachten ist. 

Der wohl bislang weltweit bekannteste Rechtsstreit um ein Babyfoto: Das Kind auf dem Plattencover der Band "Nirvana" klagte 30 Jahre später in den USA wegen "kommerzieller Kinderpornografie" - scheiterte aber bislang vor GerichtBild: Geffen Records

Frankreich: Sharenting-Verbot per Gesetz

Um ein besonders exzessives Verbreiten auch würdeverletzender Bilder einzudämmen, geht Frankreich nun einen weltweit bislang einmaligen Weg: Es will Eltern per Gesetz verbieten, Bilder ihrer Kinder ohne deren Erlaubnis auf Social Media zu teilen. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eltern kann gerichtlich eingegriffen werden, indem etwa einem Elternteil verboten wird, Bilder seines Kindes ohne die Genehmigung des anderen zu veröffentlichen oder weiterzugeben. In Extremfällen können Eltern sogar das Recht verlieren, über die Bildrechte ihrer Kinder zu verfügen.

Besonderes Augenmerk wirft der neue Gesetzesentwurf auch auf das "Ausnutzen von Kinderbildern auf Online-Plattformen". So müssen Einkünfte durch kommerziell genutzte Kinderfotos auf ein Konto eingezahlt werden, über das die Kinder ab 16 Jahren selbst verfügen können. Zudem wird ein einklagbares "Recht auf Vergessen" verankert, demzufolge Kinder auf Wunsch selbst nachträglich Bilder und Videos von sich aus dem Netz entfernen lassen können.

Kinder beim Veröffentlichen von Fotos an der Entscheidung beteiligen

Sophie Pohle bewertet den französischen Gesetzentwurf insgesamt positiv. Denn er stärkt die bereits in der UN-Kinderrechtskonvention festgeschriebenen Persönlichkeitsrechte von Minderjährigen. "Es geht dabei nicht darum, dass das Posten von Kinderbildern im Netz generell verboten werden soll, sondern darum, den exzessiven und würdeverletzenden Umgang mit ihnen auf Social Media zu unterbinden", so Pohle.

"Das Recht am eigenen Bild heißt ja, dass jeder Mensch selbst entscheiden darf, was von ihm öffentlich an Bildmaterial verbreitet werden darf und was nicht. Und daher ist es aus kinderrechtlicher Sicht absolut wichtig, auch die Kinder selbst an der Entscheidung zu beteiligen und auch ein 'Nein' des Kindes zu akzeptieren und sich nicht einfach darüber hinwegzusetzen."

Kinder lernen auch von ihren Eltern, was sie posten und wie sie auf Sozialen Netzwerken unterwegs sindBild: Robin Utrecht/picture alliance

In anderen Teilen der Welt gibt es bislang noch kein solches Gesetzesvorhaben wie in Frankreich. Daher, sagt Sophie Pohle, ist Aufklärung das wichtigste Mittel, um die Kinder vor den ungewollten Folgen des Sharentings zu schützen. In Kitas, Schulen, auf den Social-Media-Plattformen, aber auch und gerade bei den Eltern selbst.  Familien müssten in erster Linie "ein gemeinsames Verständnis darüber entwickeln, wie sie respekt- und verantwortungsvoll mit Fotos von sich selber umgehen", so Pohle. "Denn spätestens ab dem eigenen Smartphone sind die Kinder selbst auf Social Media unterwegs und dann natürlich auch stark geprägt dadurch, wie das in ihrer Familie vorher gehandhabt wurde."

Thomas Latschan Langjähriger Autor und Redakteur für Themen internationaler Politik
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