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Politik

Kinderimpfungen - nur Wahlkampfgetöse?

3. August 2021

Die Entscheidung der Politik, Corona-Impfungen für Kinder zu erlauben, sorgt für eine heftige Kontroverse. Ärzte kritisieren eine Missachtung der Impfkommission Stiko. Elternvertreter befürchten Druck auf die Familien.

München | Corona-Impfung für Jugendliche
Bild: Frank Hoermann/SVEN SIMON/picture alliance

Die Entscheidung der Gesundheitsminister von Bund und Ländern, Corona-Schutzimpfungen für Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren voranzutreiben, sorgt für eine heftige Kontroverse. Der deutsche Hausärzteverband wirft den Ministern eine Missachtung der Ständigen Impfkommission (Stiko) vor. Warum deren Entscheidung nicht abgewartet werde, sei ihm "schleierhaft", sagte der Verbandsvorsitzende, Ulrich Weigeldt, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Das Ganze klingt ein wenig nach Wahlkampfgetöse."

Ablenkungsmanöver der Politik?

Weigeldt warf den Gesundheitsministern eine "Missachtung der Kompetenz" der Stiko vor und warnte, dass der Beschluss zum Impfangebot zu Verunsicherung führen könne. Das Corona-Risiko liege mehr bei den nicht impfwilligen Erwachsenen als bei den Kindern und Jugendlichen. Zudem gebe es für Kinder und Jugendliche mit hohem Risikopotenzial ja bereits eine Impfempfehlung.

"Hier versucht man dicke Backen zu machen, sich aufzublasen gegenüber einer Kommission, die per Gesetz eingesetzt worden ist, um wissenschaftlich unabhängig zu prüfen", sagte auch der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank-Ulrich Montgomery, mehreren Medien. Er sprach ebenfalls von Ablenkung und Wahlkampfgetöse. "Ich glaube, die Politik versucht hier davon abzulenken, dass es ihr nicht gelingt, die Impfangebote an die 18- bis 59-jährigen heranzubringen", fügte Montgomery hinzu. Die hier stockende Impfkampagne sei das eigentliche Problem.

Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, erklärte, den derzeitigen Stiko-Empfehlungen sei nichts hinzuzufügen. "Leider wälzt die Politik ihr Versäumnis, andere Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um etwa Präsenzunterricht nach den Sommerferien wieder zu ermöglichen, jetzt auf Kinder und Jugendliche und deren Eltern ab, indem ein erheblicher Impfdruck aufgebaut wird", kritisierte er.

Die Schweiz ist schon weiter. Eingang zu einem Kinderimpfzentrum in ZürichBild: Gaetan Bally/KEYSTONE/picture alliance

Dagegen sagte der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, der "Rheinischen Post", er persönlich befürworte die Corona-Impfung bei Jugendlichen. "Das Risiko von Nebenwirkungen durch die Impfung ist extrem gering, das zeigen alle Daten aus anderen Ländern." Fischbach forderte die Stiko zu einer zügigen Neubewertung auf.

Elternvertreter fürchten einen wachsenden Impfdruck auf die Familien. "Viele Eltern stehen dem Impfangebot sehr skeptisch gegenüber, mindestens so lange die Ständige Impfkommission keine Empfehlungen dafür abgibt", sagte Ines Weber, Vorstandsmitglied des Bundeselternrats, dem RND. Obwohl ausreichende Studien zur Verträglichkeit fehlten, fühlten sich Eltern unter Druck gesetzt, ihre Kinder impfen zu lassen, um ihnen den Schulbesuch zu ermöglichen.

Stiko-Chef Mertens beklagt Aktionismus der Politik

Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, der Virologe Thomas Mertens, spricht von "unglücklicher Hektik" und beklagt Aktionismus der Politik, den er sich auch mit dem kommenden Schulbeginn, dem Überfluss an Impfstoff und den nun nicht mehr ausgelasteten Impfzentren erkläre. Dabei brauche die Stiko nur noch rund zehn Tage für die Aktualisierung ihrer Empfehlung, sagte Mertens. Eine grundsätzliche Änderung könne er aber nicht versprechen. Die Impfkommission könne nicht auf der Grundlage von Daten aus den USA entscheiden, wo die Impfung von Kindern und Jugendlichen bereits explizit empfohlen wird. Die Situation dort sei nicht vergleichbar, "jede Kommission muss das für ihr Land bewerten", sagte Mertens.

Die Stiko-Wissenschaftler um Kommissionschef Thomas Mertens (Archivbild), wehren sich gegen den Vorwurf der ZögerlichkeitBild: teutopress/imago images

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verteidigte die Entscheidung von Bund und Ländern. Die Impfung für Jugendliche bleibe freiwillig. "Das ist durchaus im Einklang mit der Stiko." Es gehe auch ausdrücklich nicht darum, Druck auf die Familien zu machen.

Die europäische Arzneimittelbehörde EMA und die EU-Kommission gaben bereits vor Wochen grünes Licht für die uneingeschränkte Zulassung der Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna ab zwölf Jahren, anders als die deutsche Stiko.

qu/ml (afp, epd, dpa)

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