Kinderkardiologe: "Es klingt kompliziert. Das ist es auch."
Interview: Gudrun Heise 17. Mai 2016
Jedes 100. Kind kommt mit einem Herzfehler zur Welt. Um einige der kleinen Patienten kümmern sich Spezialisten am Kinderherzzentrum in Bad Oeynhausen. Deniz Kececioglu über die oftmals sehr schwierigen Operationen.
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Deutsche Welle: Herr Kececioglu, welche Herzfehler kommen bei Neugeborenen und Kleinkindern am häufigsten vor?
Deniz Kececioglu: Rein statistisch gesehen Löcher in der Herzscheidewand. Aber die, mit denen wir tagtäglich zu tun haben, sind eher kompliziertere Herzfehler. Die müssen wir schon im Säuglingsalter behandeln, entweder mit einer Herzoperation oder mit einem Katheter. Zum Beispiel, wenn sich eine Herzseite nicht richtig entwickelt hat.
Wie behandeln Sie solche Fälle?
Die kompliziertesten Herzfehler sind die, bei denen die beiden Herzkammern nicht richtig angelegt sind. Die Hauptkammer, die linke Herzkammer, pumpt das Blut durch den Körper, und die rechte Kammer pumpt das Blut durch die Lunge. Je nachdem, welche Seite unterentwickelt ist oder gar vollständig fehlt, muss das Herz chirurgisch so umgebaut werden, dass die vorhandene Kammer als Hauptpumpe für den Körperkreislauf dient, denn der braucht die meiste Energie. Der Lungenkreislauf wird so gestaltet, dass aus diesem Hauptkreislauf etwas Blut über ein Kunststoffröhrchen in die Lunge geleitet wird. Das klingt kompliziert - und ist es auch.
Dieses Röhrchen ist bei kleinen Kindern und Babys wesentlich kleiner als bei Erwachsenen. Muss dieses Röhrchen nach einer Zeit ausgetauscht werden?
Das Röhrchen ist eine vorübergehende Maßnahme und hat in der Regel einen Durchmesser von 3,5 Millimetern. Das ist ausreichend für Neugeborene und für Säuglinge bis etwa zu einem Alter von zwei bis sechs Monaten - je nachdem, wie gut sich das Kind körperlich entwickelt. Danach folgt in jedem Fall eine zweite Operation. Dabei wird aber nicht das Röhrchen ausgetauscht, sondern man verbindet die obere Körperhohlvene mit der rechten Lungenschlagader. Sauerstoffarmes Blut wird also direkt in die Lunge geleitet.
Ist das dann die letzte Operation, die das Kind durchmachen muss?
Nein. Es reicht normalerweise für die ersten zwei bis vier Lebensjahre - das hängt unter anderem vom Gewicht des Kindes ab und von seiner Entwicklung. Etwa ab dem dritten, vierten Lebensjahr muss man aber eine dritte Operation durchführen. Dabei führt man das Blut der unteren Körperhälfte direkt am Herzen vorbei in das Lungenkreislaufsystem. Wenn man das gemacht hat, fließt das verbrauchte, sauerstoffarme Blut am Herzen vorbei direkt in die Lunge. In der Lunge nehmen wir über die Atmung Sauerstoff auf. Dieser Sauerstoff gelangt in die Blutbahn und wird dann zum Herzen zurückgeführt. Der Vorteil einer solchen Operation ist, dass die Blauverfärbung der Kinder verschwindet, die sogenannte Blausucht.
Das Herz - ein schlagendes Wunderwerk
Das Herz schlägt im Laufe eines Menschenlebens rund drei Milliarden mal. Eine Wahnsinnsleistung!
Bild: Fotolia/Dmytro Tolokonov
Wunderwerk der Natur
Das Herz ist ein Wunderwerk der Natur: Der faustförmige Hohlmuskel zieht sich etwa siebzigmal in der Minute zusammen und pumpt so am Tag bis zu 10.000 Liter durch den Körper. Und das ein Leben lang. Wenn nötig - beim Joggen etwa - transportiert das Herz sogar fünfmal so viel Blut durch den Körper.
Bild: picture-alliance/dpa
Doppelte Arbeit
Eigentlich besteht unser Herz aus zwei Pumpen. Denn es gibt nicht nur einen Blutkreislauf, sondern gleich zwei. Die rechte Herzkammer pumpt Blut in die Lunge, wo es sich mit Sauerstoff auftankt. Gleichzeitig befördert die linke Herzkammer die gleiche Menge Blut in den Körperkreislauf. Gar nicht so einfach. Denn im Körperkreislauf herrscht viel höherer Druck als im Lungenkreislauf.
Bumm, Bumm
Jede Herzhälfte besteht aus einem Vorhof und einer Herzkammer. Das Blut kann nur in eine Richtung fließen, da sich zwischen den Vorhöfen und den Kammern sowie zwischen den Kammern und den sich anschließenden Gefäßen Herzklappen (grün) befinden, die wie Rückschlagventile arbeiten.
Echte Muskelarbeit
Das Herz ist nur ein Muskel - aber ein ganz besonderer. Er ähnelt denen an Arm und Bein, denn er kann sich genauso schnell und kraftvoll zusammenziehen. Aber er ist besonders ausdauernd und ermüdet nicht. Außerdem sind alle Herzmuskelzellen miteinander gekoppelt, damit immer der gesamte Herzmuskel gleichzeitig kontrahiert.
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Natürlicher Schrittmacher
Versuchen Sie mal, Ihr Herz durch Willenskraft am Schlagen zu hindern! Das klappt nicht, da das Herz nicht von Nerven gesteuert wird, sondern seinen eigenen Taktgeber hat: Spezielle Muskelzellen im Sinusknoten erzeugen regelmäßig einen kleinen Stromstroß, der sich blitzschnell über das ganze Herz ausbreitet und es kontrahieren lässt. Ist der Sinusknoten defekt, übernimmt der AV-Knoten.
Aus dem Takt
Kommt das Herz aus dem Rhythmus, beispielsweise beim Kammerflimmern, entspannt es nicht mehr, sondern bleibt ständig verkrampft. Dann kann das Organ kein Blut mehr pumpen. Ein Schockgeber, der Defibrillator, unterbricht die lebensbedrohliche ständige Erregung im Herzen, damit der natürliche Taktgeber wieder übernehmen kann. Auch ein Laie kann das Gerät bedienen.
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Lebensretter
Schlägt das Herz eines Patienten zu langsam, hilft ein künstlicher Herzschrittmacher nach. Das Gerät erzeugt elektrische Impulse und leitet sie an den Herzmuskel weiter. Erstmals implantierten Ärzte einen Schrittmacher im Jahr 1958. Ein moderner Herzschrittmacher hat eine Funktionsdauer zwischen fünf und zwölf Jahren, durchschnittlich sind es acht Jahre.
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Am offenen Herzen
Um am Herzen operieren zu können, müssen die Ärzte es kurzzeitig stoppen und den Kreislauf stilllegen - eigentlich ein Todesurteil. Aber in den 50er Jahren lösten Wissenschaftler das Dilemma: Sie entwickelten die Herz-Lungen-Maschine. Das Gerät übernimmt für kurze Zeit die Funktion von Herz und Lunge, reichert das Blut mit Sauerstoff an und pumpt es durch den Körper.
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Durch die Leiste ins Herz
Die moderne Medizin ermöglicht es, das Herz zu untersuchen oder es zu operieren, ohne den Brustkorb des Patienten aufzuschneiden. Dazu führt der Arzt einen Herzkatheter - quasi einen dünnen Kunststoffschlauch - durch Leiste, Ellenbeuge oder Handgelenk ein und schiebt den Schlauch über Venen oder Arterien bis zum Herzen. Der Patient wird vorher nur örtlich betäubt.
Bild: picture-alliance/Andreas Gebert
Faltbare Herzklappe
Ist eine der Herzklappen kaputt oder ausgeleiert, muss eine neue her. Ärzte greifen entweder zu biologischem Ersatz vom Schwein oder zu mechanischen Herzklappen aus Metall. Inzwischen gibt es auch künstliche Herzklappen, die zusammenfaltbar sind (siehe Foto) und sich daher minimal-invasiv über einen Katheter einsetzen lassen. Eine Operation am offenen Herzen ist dann nicht mehr nötig.
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Verstopfte Gefäße
Die Herzkranzgefäße versorgen den Herzmuskel mit Blut, sprich Nährstoffen und Sauerstoff. Verstopft eines dieser Gefäße, stirbt das nicht mehr durchblutete Gewebe ab - Herzinfarkt! Mit einem Bypass überbrückt der Herzchirurg die verengte Stelle (im Bild grün). Dafür nimmt er eine Vene des Patienten, die nicht mehr gebraucht wird, oder eine Gefäßprothese aus Kunststoff.
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Lebensretter aus Metall
Ist ein Herzkranzgefäß verengt, kann der Arzt einen Katheter in das Blutgefäß einführen und die Engstelle mit einem Ballon aufdehnen. Damit sich das Gefäß hinterher nicht wieder zusammenzieht, hält man es mit einem Stent offen: Das sind feine Hülsen aus Metall, welche die Blutgefäßwand von innen stützen. Die Röhrchen können zusätzlich auch mit Medikamenten beschichtet sein.
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Wenn das eigene Herz nicht mehr will
Die erste Herztransplantation führten Herzchirurgen im Jahr 1967 durch. Damals eine Sensation. Inzwischen ist die OP keine Seltenheit mehr: Pro Jahr transplantieren Ärzte weltweit einige Tausend Spenderherzen von verstorbenen Menschen. Die Empfänger müssen allerdings ein Leben lang Medikamente nehmen, die verhindern, dass der eigene Körper das fremde Organ abstößt.
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Leben auf Pump
Spenderherzen sind rar. Wenn das eigene Herz nicht mehr richtig funktioniert, etwa bei einer Insuffizienz, lässt es sich mit einem Kunstherz unterstützen. Das eigene, kranke Herz bleibt im Körper, unterstützt wird es von einer implantierten Pumpe. Antrieb und Energieversorgung der Pumpe liegen außerhalb des Körpers.
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Ein künstliches Herz
Traum der Forscher ist ein Kunstherz, welches das kranke Herz des Patienten vollständig ersetzt. Es soll ohne Verbindungsschläuche zur Außenwelt in den Körper eingesetzt werden können und wartungsfrei viele Jahre schlagen. Prototypen gibt es bereits.
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Was würde passieren, wenn die Kinder nicht operiert würden?
Wenn man bei so komplizierten Herzfehlern überhaupt nicht operiert, ist die Sterblichkeit im Neugeborenen- oder jungen Säuglingsalter enorm hoch. Es ist zu befürchten, dass diese Kinder im ersten Lebensjahr versterben.
Welches sind ganz schwierige Fälle für den Chirurgen?
Wir stoßen an unsere Grenzen, wenn zum Beispiel die Lungengefäße in der Lunge extrem unterentwickelt sind oder die Lungenvenen schmal oder klein sind. Das sind Bereiche, wo die Chirurgen nicht hinkommen: In der Lunge selber kann man nicht operieren. Man kann das Herz operieren und in der Nähe des Herzens die Gefäße erweitern. Wenn aber ein ganzer Gefäßbaum zu schmal, zu unterentwickelt ist, dann stoßen wir an die Grenzen, die uns die Natur gesetzt hat.
Was ist für Sie das Besondere an der Kinderherzchirurgie?
Wir haben einmal einen relativ einfachen Herzfehler im Katheterlabor behandelt. Es war medizinisch nichts Großartiges, aber wenn man dann die Erleichterung der Mutter sieht, wenn man sieht, wie der Mutter die Freudentränen kommen, das ist für mich Erfolg. Es ist nicht das, was vielleicht objektiv schwierig oder leicht ist, was wir als Ärzte schaffen oder nicht schaffen, sondern es ist die Erleichterung der Mütter - denen fällt wirklich ein Felsbrocken vom Herzen.
Professor Deniz Kececioglu ist leitet die Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler in Bad Oeynhausen.