Kindersoldaten im Kongo
12. Februar 2009Ob Kriegsverbrecher-Prozesse auch der Aufarbeitung von Bürgerkriegen dienen oder gar der Versöhnung, ist noch ungewiss. Besonders im Kongo – und vor allem, weil im Osten des Landes noch immer erbittert gekämpft wird. Die Kriege überholen sich. Natürlich ist der seit 2002 eingerichtete Internationale Strafgerichtshof in Den Haag nicht exklusiv dazu da, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausschließlich in Afrika zu ahnden. Doch der Einsatz von Kindersoldaten ist ein Kriegsverbrechen – und weil er Tausende von ihnen zum Dienst an der Waffe gezwungen haben soll, ist seit Ende Januar ein Kongolese der erste Angeklagte des Gerichts - der frühere Hema-General Thomas Lubanga. Der Prozess gegen ihn wurde mehrfach verschoben. Nun aber, fast drei Jahre nach den ersten freien und fairen Wahlen, hoffen die Kongolesen auf ein wenig Gerechtigkeit.
Wer ist Thomas Lubanga?
Als Anführer der Hema-Miliz Union der Kongolesischen Patrioten UPC ist Thomas Lubanga zu zweifelhaftem Ruhm gelangt, nun wird er noch einmal Geschichte schreiben. Als erster Angeklagter muss er sich vor dem noch jungen Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten. Lubanga gilt als eine der schillernden Persönlichkeiten im Ituri-Konflikt im Nordosten Kongos, wo sich die Volksgruppen der Hema und der Lendu seit Jahren bekämpfen. Zusammen mit ugandischen Soldaten hatte er 2002 die Regionalstadt Bunia in Ituri erobert. Bei den Kämpfen sollen mehr als 8000 Menschen getötet und mehr als eine halbe Million vertrieben worden sein.
Kalaschnikows für Kinder
Die meisten Kämpfer in Lubangas Privatarmee waren damals kaum größer als ihr Gewehr. Etwa zehntausend Kinder unter 15 Jahren soll Lubanga rekrutiert haben – „Kadogo“ heißen die Soldatenjungs. Drei von ihnen vertritt Rechtsanwalt Franck Mulenda. "Als Vater kann man nur schockiert sein – denn Kinder wurden ihrer Kindheit beraubt, sie haben als Erwachsene in Miniaturform leben müssen. Ich sage Ihnen was: Einer der kleinen Jungen hat mir gesagt, er habe Arzt werden wollen, und heute ?... Er ist so traumatisiert, dass er das nicht mehr kann. Das sagt doch alles! Kinder müssen geschützt werden. Es sind kostbare Wesen, man darf ihnen nicht einfach ihre Kindheit stehlen. Stellen Sie sich vor – ein Kind von 12 Jahren, das töten und Bomben bauen muss – das ist grausam."
Gebrochener Wille
Auf dem Weg zur Schule oder zum Wasserholen lauerten Lubangas Milizen den Kindern auf und entführten sie. Oft zwangen sie die Minderjährigen dazu, eigene Angehörige zu ermorden, um sie zu demoralisieren und die Hemmschwelle zum Töten herabzusetzen. Viele der Mädchen, die jüngsten vielleicht zehn Jahre alt, wurden vergewaltigt. Doch all diese Gräueltaten stehen gar nicht zur Debatte. Die Anklage beschränkt sich aus strategischen Gründen auf die Beweisführung, dass Lubangas UPC tatsächlich Kinder als Soldaten eingesetzt hat – ein schwerer Verstoß gegen das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes. Rechtsanwalt Franck Mulenda.
Wann ist ein Kind ein Kind?
Es hört sich einfach an und ist doch unglaublich schwierig: Die Anklage muss beweisen, dass ein Kind damals tatsächlich ein Kind war – mangels verlässlicher Papiere fast ein Ding der Unmöglichkeit. Trotzdem ist Opferanwalt Mulenda zuversichtlich, dass Lubanga lebenslang hinter Gittern bleiben wird. Allerdings kritisiert er, dass das Gericht viel zu kurz springt: Chefankläger Luis Ocampo Moreno hätte den Fall Lubanga ausweiten können und müssen – auf andere Anklagepunkte: "Es ist wirklich bedauerlich – natürlich ist der Einsatz von Kindersoldaten ein massives Verbrechen. Aber es sind ja in diesem Zusammenhang noch ganz andere Dinge passiert. Lubanga müsste sich auch wegen anderer Greueltaten verantworten. Nur dann würden auch andere Verdächtige nervös werden."
Sündenbock? Was ist mit Nkunda?
Noch steht ein Mann ganz allein stellvertretend für den vielleicht brutalsten Krieg der Neuzeit vor Gericht. "Thomas Lubanga wird hier nicht als Sündenbock geopfert", beschwichtigt Franck Mulenda, "andere werden ihm auf die Anklagebank folgen, wenn sie sich strafbarer Taten schuldig gemacht haben." Genau das geschieht gerade: Seit gut einem Jahr hat der im März 2006 verhaftete Lubanga Gesellschaft im Gerichtsgefängnis von Den Haag: Germain Katanga, der frühere General der kongolesischen Regierungsarmee, soll ebenfalls Kindersoldaten in den Kampf geschickt haben. "Klar, das ist ein Signal, und andere Verbrecher dürfen schon jetzt Angst haben", sagt der Rechtanwalt. "Aber der Oberste Gerichtshof des Kongo kritisiert, wie furchtbar träge das alles läuft. Wir sagen dem Chefankläger ständig, dass es schneller gehen muss. Der Internationale Strafgerichtshof hat so viel Geld und arbeitet doch so langsam.... und was wird aus uns? Und den Kindern?" Und, müsste man ergänzen, wann wird Tutsi-General Laurent Nkunda angeklagt - es gilt als erwiesen, dass auch der abtrünnige Offizier der kongolesischen Armee bei seinem Privatkrieg in Nord-Kivu Kindersoldaten eingesetzt hat.
Die Mühlen der Justiz
Paul Madidi, der die Arbeit des Internationale Strafgerichtshofes in Kinshasa koordiniert, beschwichtigt. Das Gericht sei schließlich eine neue Einrichtung, und die Mühlen der Justiz mahlten auch in Den Haag nicht schneller: "Der Fall Lubanga steht am Beginn, und die ganze Welt wird genau darauf schauen, wie der Internationale Strafgerichtshof diesen Fall behandeln wird. Für uns alle hängt viel davon ab. Der Fall ist sehr wichtig, schließlich handelt es sich hier um eine Premiere für den Strafgerichtshof."
Das Internationale Recht wartet auf die USA
Klingt gut, hat aber einen großen Haken: Das Mandat des Gerichts begann mit seiner Einsetzung am 1. Juli 2002. Alle Verbrechen, die vor dieser Zeit begangen wurden, darf der Strafgerichtshof nicht ahnden. Auch wenn es im Kongo davon mehr als genug gegeben hat. Und außerdem fehlt eine gewichtige Stimme für das Gelingen des Gerichts: Unter dem Vertrag von Rom zur Gründung des Internationalen Strafgerichtshofes fehlt noch immer die Unterschrift der USA. Der frühere US-Präsident Bill Clinton hatte diesen Vertrag kurz vor dem Ausscheiden aus dem Amt unterzeichnet. Sein Nachfolger George W. Bush weigerte sich jedoch, Schritte für eine Ratifizierung einzuleiten. In einer Antwort auf ein Schreiben des Europarats vom Juli 2007 bekräftigten die USA ihre Weigerung, dem IStGH-Vertrag beizutreten. Nun liegen die Hoffnungen auf einem Neuanfang mit US-Präsident Obama: in Den Haag und auch bei den Waffenkindern im Kongo.